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Mainzer Weinfaß bleibt vorerst zu

Der größte Weinpanscher-Prozeß der Republik wird nach nur einer Stunde vertagt / Anklage: 49 Millionen Liter Wein verfälscht / Verteidiger: Schöffenwahl verstieß gegen Gleichberechtigung / Die Angeklagten sitzen allesamt in Untersuchungshaft  ■  Aus Mainz Fabian Fauch

49 Millionen Liter Wein sollen sie gepanscht haben, die sieben Moselaner Angeklagten, die seit gestern vorm Mainzer Landgericht stehen. Ihr Erlös dabei laut Staatsanwaltschaft: rund 100 Millionen Mark. Doch Weinstaatsanwalt Heinz-Dieter Bracht kam nicht einmal dazu, die Anklage zu verlesen. Die Verteidigung rügte Formfehler: Zwei der Schöffen seien falsch besetzt worden. Der Vorsitzende Richter der 5. Strafkammer, Horst Wieland, vertagte daraufhin die Verhandlung auf kommenden Freitag. Zu diesem Termin könnte der Prozeß unterbrochen werden, um eventuelle Fehler zu beheben. Die Anklageschrift des bislang größten Panscherei -Prozesses der Bundesrepublik umfaßt annähernd 1.800 Seiten. Das Sündenregister, das den sieben von der Mosel vorgehalten wird, nennt fast alle der derzeit denkbaren Panschereien: mit Kristall- und Rübenzucker, mit Traubenmostextrakt oder billigen Mosten und Weinen aus dem Ausland - nur das giftige Glykol fehlt auf der Liste. Die Anklage selbst lautet auf „Betrug und Vergehen gegen das Weingesetz“. Die Hauptangeklagten sind diesmal keine Winzer. Es handelt sich vielmehr um einen der größten deutschen Weinkaufleute, um Manfred Scheer. Ihn vertritt Rechtsanwalt Egon Müller, der auch Otto Graf Lambsdorff verteidigte.

Angeklagte in U-Haft

Ferner dreht es sich um den Weinbau-Ingenieur Franz-Joachim Pickel und den Betriebswirt Peter Henn. Mittlerweile verstorben ist einer der fünf Mitbeschuldigten, denen Mittäterschaft oder Beihilfe zur Last gelegt wird. Alle Angeklagten befinden sich derzeit in U-Haft. Verteidiger Müller pochte bei seiner Rüge vor allem darauf, daß Mann und Frau bei der Wahl der SchöffInnen gleichbehandelt werden müßten. Von 344 Vorgeschlagenen seien nur 59 Frauen gewesen, unter den 18 gewählten HauptschöffInnen befänden sich sogar nur drei. Müller sagte, er sehe darin einen Verstoß gegen die Gleichberechtigung. Ein ähnlicher Fall von Schöffenrüge habe dem Bundesgerichtshof (BGH) schon vorgelegen.

Verteidigerstrategien

Die Rüge sei jedoch damals erst nach dem Urteil eingereicht worden. Der BGH habe, so Müller, daraufhin anerkannt: das Gesetz sei verletzt worden; die Verletzung aber habe keinen Einfluß auf das Verfahren. Für die Schöffen-Rüge vor einem Verfahren bedürfe es einer neuen BGH-Entscheidung. Die Anwälte Pickels und Henns schlossen sich Müllers Rüge an, die Verteidiger der vier Mitangeklagten enthielten sich. Mit weiteren - teils strategischen - Einwendungen ist zu rechnen. Etwa damit, daß die Verteidigung die lange Ermittlungsdauer (seit 1982) einklagt - als Verstoß gegen die Konvention zum Schutze der Menschenrechte. Aber: die Methoden der heutigen Wirtschaftskriminalität sind immer schwieriger zu durchschauen.

Die Staatsanwälte stehen vor immensen Tatzusammenhängen. Entsprechend lange währen die Ermittlungen - wenn sie gründlich sein sollen. Schon am ersten Tag werden weitere Taktiken der Verteidiger deutlich: Richter Wieland gab bekannt, der Angeklagte Pickel habe sich in einem 40seitigen Papier ausführlich zu Verfahren und anderen Angeklagten geäußert. Das schien selbst Scheers Verteidiger Müller neu zu sein, der es sich sofort geben ließ.

Der Fall „Scheer, Pickel, Henn“ birgt auch politische Brisanz in einem Bundesland mit starker Weinlobby.

Ausnahmegenehmigungen

Denn Scheer erhielt einst eine sonderbare Ausnahmegenehmigung der Bezirksregierung Trier, wie die 'FAZ‘ 1985 berichtete. Danach durfte seine Firma auch „nicht verkehrsfähige“ (gepanschte) Weine der zusammengebrochenen Mosel-Kellerei Brösch zu Billigpreisen über einen Weinhandel absetzen. Diese Details gehören zum Panscherei-Fall „W.“, der 1985 die Justiz beschäftigte. Dabei tauchten die Namen Brösch und Scheer gemeinsam auf - im Titel der damaligen Anklageschrift: „Altweingeschäft: Firma Brösch - Firma Scheer - Firma W.“. Die Ermittlungen in jenem Fall könnten auch in den neuen Prozeß einfließen. Für die Hauptverhandlung veranschlagte die Wein-Staatsanwaltschaft bislang ein Jahr. Der Prozeß wird auf jeden Fall in Mainz zu Ende geführt - auch wenn Justizminister Peter Caesar (FDP) die Mainzer „Landeszentrale für Wein- und Lebensmittel -Strafsachen“ - einzigartig in der BRD - zum 1.April 1989 nach Bad Kreuznach verlegt, wie auch das Weingericht. Viele Experten zweifeln Caesars Entscheidung an. Richter, Staatsanwälte und der Generalstaatsanwalt bangen um die Wirksamkeit der Behörde. Von „Zerschlagung“ und „Wahlgeschenk“ ist in der Regionalpresse die Rede. Vorwürfe, die Caesar zurückweist. Der bislang mandatslose Justizminister kommt aus Idar-Oberstein, das wie Bad Kreuznach zu Caesars eventuellem Wahlkreis für die nächste Landtagswahl zählt.

Im eher abgelegenen Bad Kreuznach - nicht in der Medienstadt Mainz - könnte 1989 ein Verfahren aus der Reihe der Glykol-Skandale beginnen. Noch schweben die Ermittlungen gegen den Weinkonzern Pieroth, beäugt von einem Verwandten aus Berlin. Der Wirtschaftssenator Pieroth (CDU) kandidierte im Wahlkreis Bad Kreuznach - wo er als einflußreich gilt einst für Bonn.

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