: Wieland Herzfelde-betr.: "Wiz - Der Stalinismus und die Intellektuellen", taz vom 10.12.88
betr.: „Wiz - Der Stalinismus und die Intellektuellen“,
taz vom 10.12.88
Die taz bietet wieder einmal Grund zur Freude, hat sie doch einem Michael Rohrwasser die Gelegenheit gegeben, erneut eine linke, natürlich linke, Legende zu zerstören: Herzfelde habe sich als Opfer des Stalinismus ausgegeben, obwohl er treuer Parteifunktionär und überzeugter Stalinist gewesen sei. Die Essenz eines 92jährigen Lebens? Eine fürwahr erstaunliche, dem Beitrag nach sogar literaturwissenschaftliche Leistung eines immerhin ganzseitigen taz-Artikels, der dem Tode Wieland Herzfeldes gewidmet war.
Oh, besäße der Autor dieses Artikels nur ein wenig von der Ernsthaftigkeit Wieland Herzfeldes, er hätte geschwiegen. Doch weil zukünftige Generationen wohl kaum der Gefahr ausgesetzt sein werden, daß er bei seinem Ableben im Zentrum von Nachrufen stehen wird, drängt es ihn wohl zu Lebzeiten zu dieser Geschwätzigkeit.
Wer war nun eigentlich dieser Wieland Herzfelde? Ein Mensch, der in seinem Leben nichts anderes zu Wege gebracht hat, und das wird durch das Gemunkel im Dunkel bleibender Munkler bezeugt, als Ernst Ottwalt zu denunzieren, einer, der sonst aber zu schweigen verstand? Das Ableben eines solchen Mannes wäre wohl kaum die berühmte Vierzeilenmeldung wert gewesen. So hätte der forsch forschende Michael Rohrwasser nicht die Möglichkeit gehabt, die taz wiederzubeleben. Und wir wären schließlich nicht damit bestraft worden, dem jetzt entgegnen zu müssen.
War Wieland Herzfelde möglicherweise nicht doch Verleger von Babel, Dos Passos, Ehrenburg, Gorki, Graf, Jung, Kollontay, Plivier, Sinclair, Smedley, Tolstoi und anderen? Vielleicht sogar einer der seltenen Art, einer, der hinter die Werke seiner Autoren zurücktrat und deshalb nicht lästig wurde? Vielleicht wäre die Welt sogar um die durchaus wichtigen Bücher des geläuterten Freicorpsmannes Ottwalt ärmer, hätte es den Verleger Herzfelde nicht gegeben? Mag es nicht sein, daß diese Eigenart Herzfeldes der Grund dafür war, daß er keine „Erinnerungen“ geschrieben hat, daß er lieber eine Monographie über seinen Bruder John Heartfield verfaßt und das Malik-Archiv aufgebaut hat, das von seiner Liebe zu Literatur und vor allem von dem zeugt, was er am liebsten getan hat, durch Bücher die Menschen zum Lesen anzustiften.
Doch diese Gedanken kommen unserem strafenden Erzengel nicht. Ein gut florierendes Briefmarkengeschäft fällt ihm noch ein. So fragt er nach dem Koch und nicht nach dem Geld für die Speisen. Doch unser Michael soll Brecht lieber an Land lassen, wenn er sich aufs Glatteis begibt. Immerhin ist es wiederum der jetzt exilierte Malik-Verlag Wieland Herzfeldes gewesen, der eine erste Ausgabe Gesammelte Werke Brechts veröffentlicht hat.
Wieland Herzfelde hat nie verschwiegen, welche Bedeutung Heartfield als Buchgestalter und Grosz als Maler für den Malik-Verlag gehabt haben. Eine Bedeutung, die den Malik -Verlag tatsächlich zu einer Legende hat werden lassen. Die Bedeutung Wieland Herzfeldes ist lange Zeit darüber unterschlagen worden. Deshalb müssen wir uns in diesem Zusammenhang auch einmal selbst zur Sprache bringen: Hätte es vor fast sechs Jahren nicht die Gründung des Neuen Malik -Verlages gegeben, hätte dieser Verlag nicht zum 90. Geburtstag Herzfeldes im Frühjahr 1986 eine Chronik des Malik-Verlages herausgegeben, die bewußt deshalb die Rolle Herzfeldes für den Verlag herausgestellt hat, weil die Bedeutung Heartfields mittlerweile Anerkennung gefunden hatte, und hätte dieser Verlag schließlich nicht Wieland Herzfelde gebeten, noch einmal einige der Bücher in Originalausstattung, also mit den Umschlägen von John Heartfield, herauszugeben, die den Verlag berühmt gemacht haben... Wir vermuten, Herzfelde wäre so gestorben, wie er es in seinen letzten Jahren manchmal und bitter beklagt hat: „Sie tun so, als ob ich nie gelebt hätte.“
Jo Hauberg, Neuer Malik Verlag, Kiel
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