Todesschuß und Wolgadeutsche

Deutschtümelnde Siegesfeier der niedersächsischen CDU  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

An der Stirnwand des Saales ist ein überdimensionales Ernst -Albrecht-Porträt plaziert, darüber das Spruchband „Niedersachsen bleibt in guten Händen“. Auf der Bühne spielen die beiden Blasorchester aus Langenhagen und Groß Steinum gemeinsam „So ein Tag, so wunderschön wie heute“. Immerhin 4.000 CDU-Funktionäre und Mitglieder, vier Prozent des niedersächsischen CDU-Parteivolkes, sind am Dienstagabend aus allen Teilen des Landes in Reisebussen nach Hannover gefahren. In der Niedersachsenhalle feiern sie den Abstimmungssieger Ernst Albrecht frenetisch. Die drei Redner Albrecht, Kohl und Hasselmann wollen die abgeschlaffte niedersächsische CDU-Basis wieder „geistig -moralisch aufrüsten“.

„Wir haben gesiegt für Niedersachsen und für die Christdemokratische Union Deutschlands“ verkündet stolz Ernst Albrecht. Verloren hätten „erstens Gerhard Schröder“ und „zweitens der 'Spiegel'“, der „Woche für Woche Unwahrheiten und Verleumdungen“ verbreitet habe. Die SPD verleumde die „20.000 niedersächsischen Polizeibeamten“, wenn sie auf Flugblättern von „illegalen Einsätzen“ schreibe. „Wenn die Sozialdemokraten zu feige sind, den Todesschuß gesetzlich zu regeln, muß man sich nicht wundern, wenn in Situationen, wie wir sie erlebt haben, dieser Schuß unterbleibt“, sagt Albrecht und bringt kurz danach das christliche Bekenntnis, daß „die Nächstenliebe auch ihren Widerschein im politischen finden muß“. Das Parteivolk soll endlich wieder auf die Straße, „Stände aufbauen, Flugblätter verteilen, auch von Haus zu Haus gehen“. Schon für Januar kündigt Albrecht die „große Offensive“ an. Nicht etwa „zur Rettung der Regierung“, nein „zur Rettung der Nordsee“ sollen die CDU-Mitglieder Handzettel verteilen. Auch wenn im Dunkel bleibt, welche Forderungen die CDU-Flugblätter enthalten sollen - Ernst Albrecht erntet stehende Ovationen.

„Die Botschaft ist“, zumindest am Anfang der Kohlschen Rede noch, „ganz einfach“. Doch Kohl taucht bald ab zu „Wesen, Ziel, Vernunft dieser Gechichte“, blickt nach vorn ins Jahr 1992 zu seinem Liebling, dem „Europäischen Binnenmarkt“, zurück zum Kriegsende: „Ich weiß nur eins, daß ich 1945 fünfzehn war und 1953 achtzehn“, sagt der Kanzler, und in diesen acht Jahren seien Millionen von Flüchtlingen aufgenommen worden. Deswegen will Kohl auch heute noch alle „Aussiedler in die BRD einsiedeln“. Schon für Albrecht war zuvor „Deutschland das Vaterland aller Wolgadeutschen“ gewesen. Der CDU-Landes- macht es dann gefälliger als der CDU-Bundesvorsitzende. Ein schneidiger Spruch, Beifall, der nächste Spruch wieder Beifall, so heizt zum Abschluß Hasselmann die 4.000-köpfige Menge noch einmal auf. Hasselmann verspricht, auch für den nächsten Wahlkampf wieder Parteispenden zu sammeln, und „wenn die Deutschen in der Wirtschaft so gut sind wie im Tennis“, fürchtet er selbst den EG-Binnenmarkt nicht. „Es macht mir Spaß und uns allen“, gipfelt er, und dann kommt noch die Nationalhymne.