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Wieland Herzfelde-betr.: "Wiz - Der Stalinismus und die Intellektuellen", taz vom 10.12.88

betr.: „Wiz - Der Stalinismus und die Intellektuellen“,

taz vom 10.12.88

„Der Fall Ottwalt ist auch ein Mittel (das gegen die Kommunisten eingesetzt wird)... Woher sie alle genau wissen wollen, was man O. zur Last legt, weiß der Teufel. Es würde unsere Situation sehr erleichtern, wenn irgend etwas Authentisches darüber einträfe, damit dieses Aus-den-Fingern -Saugen erschwert wird. Es gibt hier sogar geschmackvolle Leutchen, die öffentlich besonderen Wert darauf legen, meinen Namen bei der Gelegenheit recht herauszustellen. Da kann man nix machen.“ Wieland Herzfelde an Willi Bredel (13. Januar 1937, zitiert nach David Pike: Deutsche Schriftsteller im sowjetischen Exil 1933-1945, Frankfurt a.M. 1981, S.305, Erläuterung von Pike).

In der Tat ist es sehr schwierig, auf Anschuldigungen, wie Michael Rohrwasser sie in seinem Artikel gegen den gerade verstorbenen Herzfelde vorbringt, zu reagieren. Ebensowenig, wie es Beweise für Herzfeldes angebliche Denunziation von Ernst Ottwalt gibt, existieren Beweise für seine Unschuld. Da Rohrwasser den Grundsatz „Im Zweifelsfall für den Angeklagten“ zugunsten von „Das Opfer ist immer unschuldig, der Überlebende schuldig“ außer Kraft gesetzt hat, bleibt mir nur die Möglichkeit, zu zeigen, welcher Mitel sich ein Literaturwissenschaftler in dem „Wiz„-Artikel bedient, um trotz seines Beweismangels zu suggerieren, Herzfelde sei ein Denunziant und Stalinist gewesen.

Einen ambivalenten Nachruf hatte die taz in Auftrag gegeben, einen eindeutigen hat sie erhalten - eindeutig gegen Herzfelde. Dessen schriftstellerische Tätigkeit wird abqualifiziert, indem er als „Dichter“ in Anführungszeichen bezeichnet wird. Seine Erinnerungen, bei denen es sich um verschiedene Werke unterschiedlichen Umfangs und literarischen Anspruchs handelt, werden in das Licht der Unzuverlässigkeit gestellt, indem ihnen wiederholt das Adjektiv „verklärend“ beigefügt wird, indem ihnen der Vorwurf der Lückenhaftigkeit gemacht wird, indem ihrem Verfasser unterstellt wird, er hätte sich der Joyce-Episode so erinnert, „als sei er als Verteidiger von Joyce beinahe ein Opfer des Stalinismus geworden“ (Hervorhebung von mir), er hätte „seine Lebensanekdoten zu schmieden gewußt“, er hätte sie geschrieben, um sich „den eigenen Frieden zu sichern“.

Obwohl Rohrwasser diese Mittel inflationär benutzt, gibt es nur zwei Beispiele für Herzfeldes angebliche Verklärung seiner Vergangenheit. Das erste betrifft die Literaturzeitschrift 'Neue Deutsche Blätter‘, die Herzfelde gemeinsam mit Anna Seghers, Oskar Maria Graf und Jan Petersen im Prager Exil herausgegeben hat und die laut Rohrwasser „von Becher als Gegengewicht zu Klaus Manns 'Sammlung‘ ausersehen“ war. Johannes R.Bechers Mitarbeit an den 'NDB‘ beschränkte sich nicht auf die Ausersehung, er griff vielmehr massiv im Sinne der Parteilinie in die redaktionelle Arbeit ein. So die Schilderung bei Pike (S.272 -278), der u.a. Herzfeldes Briefe und Aussagen wiedergibt und dabei keineswegs den Eindruck erweckt, bei diesen handle es sich um „verklärende Erzählungen“ (Rohrwasser). Von einer Unterstützung der Zeitschrift durch die Komintern, an die sich Herzfelde laut Rohrwasser „nicht mehr erinnern will“, ist weder bei Pike noch in sonstigen mir bekannten Quellen die Rede; wohl hatte sich Herzfelde, nachdem er die 'NDB‘ anderthalb Jahre lang selbständig finanziert hatte, 1935 mit der Bitte um finanzielle Hilfe an die Moskauer Institutionen gewandt und daraufhin „offenbar... irgendeine Unterstützung“ (Pike S.277) erhalten, von wem, ist jedoch ungeklärt. Herzfeldes angebliches „Selbstbild eines Literaturfreundes, kaltgestellt durch die Partei“ (Rohrwasser) wird von Graf gestützt, der im März 1936 an Becher schrieb, daß man in Moskau „die NDB kläglich eingehen ließ. Man hat uns mit Findigkeit und mit einem gewissen heiteren Sinne ruhig zu Tode geschulmeistert, war stets weit davon entfernt, unsere Schwierigkeiten zu begreifen und hat uns nicht im mindesten unterstützt.“ (zitiert nach Pike, S.277f.).

Noch deutlicher werden Rohrwassers Bemühungen, Herzfelde und seine Erinnerungen in ein zweifelhaftes Licht zu rücken, an seiner Darstellung der Radek-Affäre, die gemeinhin gerade als Beispiel für Herzfeldes kritischen Geist gilt (so zum Beispiel F.J.Raddatz in der 'Zeit‘, 11.April 1986). Es gibt Versionen des Geschehens von Karl-Heinz Jakobs, von Graf und von Herzfelde. Letzterer ist bezeichnenderweise der einzige, der bei Rohrwasser in dieser Angelegenheit nicht zu Wort kommt. Trotz der Widersprüche zwischen den drei Darstellungen bleibt festzuhalten, daß Herzfelde die Rede für Joyce gehalten hat (was in der Joyce-Rezeptionsforschung übrigens immer noch teilsweise geleugnet wird) und daß er dabei Radek öffentlich widersprochen hat.

Über die „Episode“ (Rohrwasser) von der Denunziation Ottwalts sind weder Rohrwasser noch mir Beweise bekannt. Für ihn ist nichtsdestotrotz erwiesen, daß Herzfelde der Denunziant gewesen sei, er spricht von einem „Mitwisser“ (der ungenannt bleibt), von dem „Bericht der Denunziation“, von „Herzfeldes Denunziation“. Andreas Mytze habe in seiner Ottwalt-Biographie die Denunziation rekonstruiert. In der gedruckten Fassung dieser Biographie, die mir vorliegt, referiert Mytze mündliche und schriftliche Aussagen von Zeitgenossen, die Herzfelde zum Teil beschuldigen, und stellt eigene Vermutungen über das Geschehen an. Dies kann man schwerlich als Rekonstruktion bezeichnen. Rohrwasser hat angeblich die „Indizien“ auf seiner Seite; diese entpuppen sich jedoch als die oben erwähnten Gerüchte und als allgemeine Feststellungen über Parteidisziplin und NKWD -Methoden. Ihm erscheinen diese als ausreichende Begründungen, um von den „Denunziationen durch den fügsamen Stalinisten“ (Hervorhebung von mir) zu sprechen. Mir nicht. Meiner Ansicht nach erklären sie nicht, warum der Mann, der im Juni 1934 Erich Wollenberg nach dessen Parteiausschluß und Flucht aus Moskau in Prag in Kenntnis dieser Vorgänge seine Hilfe angeboten und ihm seine an Herzfelde adressierte, aber durch einen Kode als eigentlich an Wollenberg gerichtet gekennzeichnete Post ungeöffnet übergeben hat (so Wollenberg im Gespräch mit Hans-Dieter Heilmann, Juli 1973), einen seiner Autoren denunziert haben soll.

Ernst Ottwalt wurde 1936 in Moskau verhaftet, ist aber nicht „1937 als 'Gestapo-Agent‘ erschossen worden“ (Rohrwasser). Susanne Leonhard, deren flüchtige Bekanntschaft mit Ottwalt einen Vorwand zu ihrer Verhaftung 1936 in Moskau lieferte, schreibt in Gestohlenes Leben (5. Auflage, Herford 1968): „Frau Waltraut Nicolas (die Frau Ottwalts, G.L.), die im Januar 1941 nach Deutschland ausgewiesen wurde, schrieb mir, ihr Mann sei nicht erschossen worden. Sie habe ihn in den Jahren 1937 bis 1939 gelegentlich gesehen, und noch im Jahre 1940 habe er ihr aus Archangelsk geschrieben. Im Mai 1958 sei ihr vom Moskauer Roten Kreuz (über das DRK) mitgeteilt worden, daß Ernst Nicolas (Ottwalt) im August 1943 gestorben ist.“ (S.79, Anm.26).

Der von Rohrwasser kolportierte und bestärkte Verdacht, Ottwalt sei von Herzfelde denunziert worden, erhält erst durch die Behauptung, Ottwalt sei 1937 erschossen worden, seine Brisanz und kommt daher einem Rufmord nahe.

Gabriele Leschke

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