: Keine U-Haft mehr für 14jährige
Niedersachsens Justizminister will Änderung des Jugendgerichtsgesetzes durchsetzen / Hohe Selbstmordrate in den ersten acht Tagen der Haft / Im Saarland die meisten U-Häftlinge zwischen 14 und 15 Jahren ■ Aus Hannover Jürgen Voges
Der niedersächsische Justizminister Walter Remmers will per Gesetzesänderung die Untersuchungshaft bei 14- und 15jährigen Jugendlichen generell abschaffen. Falls das Bundesjustizministerium diese Beschränkung der Untersuchungshaft bei der anstehenden Reform des Jugendgerichtsgesetzes nicht berücksichtige, werde er selbst einen entsprechenden Antrag bei der Beratung des Gesetzes im Bundesrat einbringen, erklärte Remmers gestern in Hannover.
Jugendliche im Alter von 14 und 15 Jahren hätten aufgrund ihrer verletzlichen Persönlichkeitsstruktur kaum eine Chance, die besonders belastende Situation des Wegschließens zu verarbeiten, begründete Remmers gestern seine Forderung. Bei Untersuchungsgefangenen dieses Alters sei mit „Identitätsverlusten bis hin zu dauernden Störungen der seelischen Entwicklung zu rechnen“. Für die Abwicklung des Strafverfahrens sei die Untersuchungshaft bei diesen Jugendlichen hingegen nicht notwendig. Außerdem bestehe bei so jungen Gefangenen immer Selbstmordgefahr. In den letzten acht Jahren hätten sich 25 Prozent aller Selbstmorde von Gefangenen in Niedersachsen in den ersten acht Tagen der Haft ereignet, berichtete Remmers.
Niedersachsen hat bereits in den vergangenen Jahren die Zahl der Untersuchungsgefangenen im Alter von 14 und 15 Jahren drastisch gesenkt. Auslöser für die Bemühungen war der Selbstmord eines Jugendlichen, der sich im Jahre 1983 in der Jugendstrafanstalt Hameln verbrannt hatte. Nachdem das Justizministerium zunächst eine Studie über jugendliche Untersuchungsgefangene in Auftrag gegeben hatte, erhielten im Jahre 1986 die Staatsanwaltschaften die Anweisung, über jeden Fall zu berichten, in dem gegen 14- oder 15jährige U -Haft verhängt wurde. Die Zahl der Untersuchungshäftlinge dieses Alters sank daraufhin von 59 im Jahre 1986 auf 27 im Jahre 1987 und gerade noch zehn in diesem Jahr.
Der Entwurf zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes, in den Remmers seine Forderung aufgenommen haben will, wird gegenwärtig zwischen Bundesjustiz und Bundesinnenministerium abgestimmt und soll im Frühjahr das Bundeskabinett passieren. Während in Niedersachsen nur in 1,1 Prozent der Fälle, in denen es zu einer Gerichtsverhandlung gegen 14 oder 15jährige kommt, vorher U-Haft verhängt wurde, sind es im Saarland 7,4 Prozent. Ausgerechnet das von Oskar Lafontaine regierte Bundesland liegt damit bundesweit an vorderster Stelle.
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