piwik no script img

Die Bombenspur nach Pakistan

■ Hanauer Staatsanwaltschaft: Deutsche Firma lieferte wichtige Komponenten zum Bau von Atombomben

Helle Aufregung im Wiesbadener Landtag. Wie vor einem Jahr, tauchte am Dienstag abend erneut der Verdacht auf, durch illegale Lieferungen einer hessischen Firma an Pakistan sei der Atomwaffensperrvertrag verletzt worden. Seit Monaten ermittelt die Hanauer Staatsanwaltschaft gegen den früheren Geschäftsführer der im Atombusines tätigen „Neue Technologie GmbH“ und deren Geschäftspartner PTB („Physikalisch Technische Beratung“). Hauptvorwurf: Lieferung von Tritiumgas, eines Stoffes, der erst für die richtige Wirksamkeit einer Plutoniumbombe sorgt. Die Beschuldigten sind weitgehend geständig. Bundesumweltminister Töpfer und sein hessischer Kollege zogen die Notbremse und haben der NTG die Genehmigung zum Umgang mit atomrechtlich relevanten Stoffen entzogen.

Die Bombe platze am Dienstag abend: Der NDR enthüllte nach „zuverlässigen Informationen“ den illegalen Export von Nuklear-Technologie nach Pakistan. Anders als bei allen bisher gehandelten Fällen von nuklearer Proliferation, also der Lieferung von Material zum Bau von Atombomben, bestand diesmal kein Zweifel, denn ein Geständnis liegt bereits vor. Danach haben der Geschäftsführer der „Neue Technologie GmbH“ in Gelnhausen und der Inhaber der Firma „Physikalisch Technische Beratung“ in Ortenberg seit 1982 und bis zum Sommer diesen Jahres illegal eine umfangreiche Palette verschiedenster atomtechnischer Anlagenteile und Stoffe vor allem nach Pakistan, aber auch nach Indien und Südafrika geliefert (siehe Dokumentation). Die Staatsanwaltschaft in Hanau war durch ein Nebengleis den Atomgeschäften auf die Spur gekommen. Die NTG hatte den technischen Geschäftsführer wegen Bereicherung auf Kosten der Firma entlassen, doch das Unternehmen verzichtete auf eine Strafanzeige und auf Rückforderungen der veruntreuten Gelder. Mit diesem Verzicht sollten die jahrelangen illegalen Auslandsgeschäfte vertuscht werden.

Das hessische Kriminalamt hat inzwischen die Sonderkommission „AG NTG“ eingerichtet. Ermittelt wird wegen Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz, Verdacht der Untreue und Steuerhinterziehung. Der Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag taucht hier nicht auf, der leitende Hanauer Staatsanwalt, Albert Farwick, wollte sich dazu gestern auch nicht äußern. Dies hat allerdings formal -juristische Gründe. Der Atomwaffensperrvertrag ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der keine strafrechtlichen Vorschriften enthält. Daß hier ein Verstoß vorliegt, ist nach den bisher aufgedeckten Fakten sicher. Der Vorsitzende des Nukem-Untersuchungsausschusses im Bundestag, Hermann Bachmaier (SPD), sprach gestern von „Enthüllungen mit erheblicher Relevanz“. Auch die Reaktionen in Bonn und Wiesbaden unterstreichen dies.

Die sofortige Anordnung von Bundesumweltminister Töpfers, der Firma die Genehmigung zu entziehen, und die Erklärung des hessischen Umweltministers Weimar, der noch am Dienstag zwei Genehmigungen der Firma NTG außer Kraft setzte, sprechen hier Bände. Die Genehmigungen betreffen den Umgang mit fünf Kilogramm Urandioxid und 350 Gramm angereicherten Urans235. Nach Angaben des Gewerbeaufsichtsamtes hat die NTG von diesen Genehmigungen aber ohnehin keinen Gebrauch gemacht. In der Firma befinde sich kein spaltbares Material, wurde nach einer Inspektion mitgeteilt.

Die NTG mit Sitz in Gelnhausen-Hailer ist zu 87,6 Prozent im Besitz des Fürsten von Ysenburg und Büdingen. Auf zwei weitere Hanauer Gesellschafterinnen entfallen die restlichen Anteile. Die „Nuklear Technik GmbH“ wurde 1986 in „Neue Technologie GmbH“ umbenannt.

Die NTG ist im Anlagen- und Komponentenbau im Kraftwerksbereich tätig. Weitere Arbeitsbereiche sind die Wiederaufbereitungstechnik wie Gamma-Labors und „Heiße Zellen„-Anlagen. Auch die Beschleunigertechnologie und Hochvakuum-Technik, Nuklearmedizin und Tieftemperaturtechnologie zählt zum Firmen-Repertoire. Reinigungsanlagen für AKWs gehören ebenso zum Betätigungsfeld wie die zum Atomwaffenbau nötige Tritiumtechnologie.

Die NTG beliefert alle bundesdeutschen AKWs und im Atomgeschäft tätigen Firmen wie BBC-Reaktor GmbH (Mannheim), Deutsche Babcock (Oberhausen), Euratom (Karlsruhe), Hochtemperatur-Reaktorbau GmbH (Mannheim) und etliche mehr.

Weltweit werden unter anderem Südafrika, Belgien, Frankreich, Indien, die Schweiz und die USA mit NTG -Produkten beliefert. In den USA gehört die University of California/Los Alamos zu den NTG-Kunden. Los Alamos ist das US-amerikanische Atomwaffenzentrum. Unter anderem wurden dort die Sprengköpfe für die PershingII entwickelt.

Das Bonner Umweltministerium ist nach eigener Darstellung erstmals am 1.Dezember mündlich von der Hanauer Staatsanwaltschaft über den Vorgang unterrichtet worden. Den Ermittlungsbericht der Staatsanwaltschaft erhielt Töpfer am Montag von seinem hessischen Kollegen. Der Bonner Umweltminister unterrichtete nach seiner Darstellung unverzüglich die zu beteiligenden Bundesministerien. Für einen möglichen Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz sei das Wirtschaftsministerium zuständig. Dieses informierte nach Angaben seines Sprechers das Bundesamt in Eschborn. Diese Behörde solle jetzt sämtliche Anträge auflisten, die die NTG in der letzten Zeit gestellt hat.

„Die Annahme, es gebe so etwas Ähnliches wie eine funktionierende staatliche Kontrolle in diesem sensiblen Bereich, hat sich in der Bundesrepublik als vollständige Fiktion entlarvt. In Hessen und im Bund haben sich Untersuchungsausschüsse mit dem Verdacht beschäftigt gleichzeitig konnten bundesdeutsche Firmen waffenfähige Materialien verschieben“, kommentierte der grüne Landtagsabgeordnete Ruppert von Plottnitz die Ermittlungen wegen illegaler Geschäfte der NTG mit kerntechnischen Anlagen. In einer Plenarsitzung des Landtags erklärte der SPD-Abgeordnete Lothar Klemm: „So unwahrscheinlich im Januar 1988 die Diskussion darüber erschien, daß Proliferation aus der Bundesrepublik nach Pakistan möglich sein solle, so sehr scheint sich dieser Verdacht inzwischen erhärtet zu haben.“

-man-/mb

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen