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Ein Köfferchen voll Mythen

■ „Der Kuss fürs Leben“ - BLUE BOXs nächster Coup: Engel, Liebe, Völlerei, Märchen, die postmoderne Suche nach dem Glück und ein Beinah-Happy-End zur Weihnacht im Cafe Grün

Ein Köfferchen voll Mythen. Heiligabend gibt den passenden Rahmen: in der Geschichte kommen nämlich auch Engel vor. Auch: denn gleichzeitig ist sie Völlerei (der Farben), ein Märchen (die Suche nach dem Glück), eindeutig postmodern (was der Weihnachtsmann ja leider noch nicht ist), und sie hat ebenfalls nur ein Beinahe-Happy-End (die Sache mit Jesus ist ja auch erst auf den zweiten Blick gutgegangen).

„Ein Kuss fürs Leben“ nannten Mari Cantu und Katalin Pazmandy ihr Video-Band. Die Hauptfiguren sind, wie eben angedeutet, eine kleine Schar Engel, die unter dem Oberbefehl einer Wahrsagerin stehen. Die kümmert sich um das Glück der Anderen, ob die das wollen oder nicht. Da ist ihr der mächtige, bullige Menschenfresser ein Dorn im Auge. Dessen einzige Schwäche ist die Liebe, und aus diesem Grunde hält er eine alte und häßliche Frau gefangen, verwöhnt sie auf seine Weise mit Kuchen und Klamotten. Die Alte könnte zufrieden sein, aber dann wärs ja ein Märchen. „Der Menschenfresser hat einen schlechten Geschmack“, damit begründet sie ihr Un-glücklichsein.

Ausgesprochenes Pech allerdings hat da der junge Mann, der

auf der Suche nach dem Glück ist und die Wahrsagerin konsultiert. Die tischt ihm nämlich eine schöne Geschichte auf: ein einziger Kuß würde sein Leben grundlegend verändern. Die Geliebte des Menschenfressers soll Opfer des erotischen Attentats sein. Auf der Stelle sollte sich das welke Fleisch in ein junges Mädchen verwan deln. Aber der junge Mann küsst zunächst den falschen Frosch und (ver)zweifelt an der gutgemeinten Prophezeiung.

Viel Liebe haben die beiden Regisseurinnen darauf verwendet, diesem reizvollen Videomärchen eine grellbunte Fassade zu verleihen. Da ist kaum eine Einstellung zu finden, die ohne ein kräftiges Blutrot, ein zartes Rosa oder wenigstens giftiges Quittengelb auskommen mag. Aber keine Angst, daß da vielleicht mittels der Farbenpracht so etwas wie Gefühl vermittelt werden soll. Denn Identifikationsmöglichkeiten bietet das Video keine. Ein interessanter Weg, den die Videokunst hier beschreitet: die Ästhetik des Bildschirms wird aufgegriffen, das kleine Bild zusätzlich noch flach gebügelt. Es soll gar nicht die Illusion erweckt werden, daß es hier um großes Kino geht, die den Zuschauer mit auf eine Reise nimmt. Anfänglich

mag der enorme Entfremdungs effekt, mit dem die Videokünstler hier arbeiten, auf Dilettantismus hindeuten. Sie scheuen selbst vor eklatanten Eingriffen in die althergebrachte Filmsprache nicht zurück. War da nicht gerade ein Achsensprung? Wen kümmerts, außer den Rezensenten. Keine Stelle im Video ist lippensynchron, eine Tatsache, die einen traditionellen Filmemacher in den Wahnsinn treiben könnte. Sie benutzen den Mangel als Effekt. Alles trägt dazu bei, die zeitgeistige Künstlichkeit zu unterstützen. Also nur die Mode als Methode? Daß es da um die alten Begriffe von Gut und Böse geht, macht dieses moderne Märchen fast etwas altmodisch. Die gespielte Künstlichkeit hinterläßt ihre Spuren. Die ironische Haltung der beiden Regisseurinnen zum Beispiel, die mit grosser Leichtigkeit und offenbar viel Spaß eine völlig verquarzte Geschichte fabulieren, deren spröder Charme vielleicht erst beim zweiten Mal Hinsehen eine nicht nur unterhaltsame Sprache spricht.

Roland Mayer

„Ein Kuss fürs Leben - Der Menschenfresser“ von Mari Cantu / Katalin Pazmandy, Ungarn 1985 am Heiligen Abend um 23 Uhr im Cafe Grün, Fedelhören 73D

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