CORPORATE IDENTITY

■ Wettbewerb Hochhaus für das Victoria-Areal

Bauen in Berlin ist zu einem Synonym für langweilige Unentschlossenheit geworden. Damit soll jetzt Schluß sein! Die Stadt braucht wieder ein architektonisches Image. Identifikation mit der Einzigartigkeit ist angesagt. Auf gut preußisch heißt das Corpsgeist und meint das Einschwören auf symbolträchtige Repräsentation.

Das Leitmotiv zukunftsorientierter Imagepflege Berlins soll ein „neues Symbol, das Wucht und Stärke dokumentiert“, werden. Hinter der martialischen Metapher versteckt sich ein 144 Meter hohes luxuriöses Büro- und Hotelgebäude der Chicagoer Architekten Murphy und Jahn, das für die Neugestaltung des hinter dem Kranzler-Eck gelegenen Geländes, dem sogenannten Victoria-Areal, geplant ist. Das treppenartig gestufte Ensemble umschließt in seinem Inneren einen öffentlichen Platz, der unter überdimensionalen Torbauten Zugänge eröffnet. Wie die Form des Unikums, das das Rund eines städtischen Marktplatzes zitiert, so verweisen die einzelnen Baukörper auf Traditionen der Architekturavantgarde der zwanziger Jahre: auf Mendelssohns bandartig geschwungene Geschäftshäuser, auf Mies van der Rohes rationale Funktionalität, das industrielle Design des Bauhauses und auf den sowjetischen Konstruktivismus. Murphy/Jahns Entwurf interveniert in die fragmentarische Stadtlandschaft um den Bahnhof Zoo mit dem Ziel, hier das Zentrum der kommenden Hochhausstadt Berlin entstehen zu lassen.

Das Chicagoer Modell ist das Resultat des nun vorgestellten Gutachterverfahrens, das die Senatsverwaltungen für Bau und Stadtentwicklung gemeinsam mit dem Grundstückseigner, der Victoria Versicherungsgesellschaft, auslobten. Eingeladen wurden 15 Architektenteams, drei sind noch, zusammen mit Murphy/Jahn, im Rennen.

Jürgen Sawades Entwurf nimmt sich in Anspruch und Wirkung bescheidener aus. Sein Glas-Alu-Stein-Komplex, dessen Längsachse quer zu einer langen Passagenstraße liegt, steht im Kontext der Hochhausscheibenarchitektur aus den fünfziger Jahren. Im Gegensatz dazu erinnert Müller/Rhodes rhombenförmig aufgestelztes Turmhochhaus mit postmoderner Fassade an die Solitäre Frankfurter Prägung. Drastisch bringen sich die Architekten Nielebock & Partner mit ihrem Entwurf ins Spiel. Sie planen wie Murphy/Jahn ein Ensemble. Drei quadratische Türme erheben sich über einer gekreuzten verglasten Passage und sollen den Beginn der City mit „down town„-Charakter einläuten. Vorbild ist hier das Panorama italienischer Stadttürme.

Markiert der Wettbewerb einen weiteren Schritt auf dem Weg zur repräsentativ geplanten City-Neugestaltung, neben der die gegenwärtige Bausubstanz spielerisch klein wirkt, so sind die teilweise doch faszinierenden Entwürfe politisch und ästhetisch gleichermaßen fragwürdig.

Die Euphorie, mit der hier der moderne Zeitgeist für das Zentrum beschworen wird, meint im Kern nichts anderes als die altgediente Definition eines undemokratischen, zentralistischen City-Begriffs. Finanzielle Relevanz und ökonomische Nutzung orientieren sich allein an der Prosperität und dem politischen Prestige, nicht aber an Partizipation, dem Bedürfnis nach Öffentlichkeit und Dialog. Die Peripherie gerät ins Abseits.

Die Form zu finden, die ästhetisch dem demokratischen Bedürfnis Rechnung trägt, bleibt auch hier wieder ein Geheimnis. Mit gigantischen Türmen allein und mit den Ewigkeitssymbolen der Architektur, auch wenn sie im eleganten Kleid der Avantgarde daherkommen, ist es nicht getan. Das Victoria-Areal ist ein Ort, wo Tag und Nacht rennende und hetzende Menschen, quietschende S-Bahnen und hupende Autos vorbeitoben, mit beängstigender Rasanz. Eine bauliche Chiffre für großstädtisches Leben haben die Entwürfe gerade deshalb nicht gefunden, weil eher ostentative Ruhe und stetes Beharren als pulsierende Dynamik von ihnen ausgeht.

Identität findet Berlin darin weniger denn je. Oder sollen potemkinsche Dörfer weiter das stimulieren, was touristische Linsen schon immer für echt berlinerisch hielten: glitzernde Ersatzwelten.

rola