: Trauerhaus Rathaus
■ Bürgermeister Scherf lud iranische Flüchtlinge ein. Bremerin wider Willen berichtete vom Mord an ihrem Bruder
Bremer Rathaus, einen Tag vor Weihnachten. Im feinen Gobelin -Zimmer weint eine junge Frau. Weint so sehr, daß auch der stellvertretende Bürgermeister, der sie eingeladen und Pressevertreter dazugebeten hat, ein bißchen betreten wirkt und nicht recht weiter weiß.
Seit sechs Jahren lebt die junge Frau in Bremen - wider Willen. Sie hat Angst, unter ihrem wirklichen Namen in der Zeitung zu erscheinen und sie hat Grund dazu. Vor ein paar Tagen hat sie erfahren, daß ihr 27jähriger Bruder hingerichtet wurde. Ohne Grund und ohne Prozeß. Im Iran.
Sheila G. (Name v. d. Red. geändert) ist schon vor sechs Jahren vor dem Khomeini-Regime geflohen. Als die islamischen Fundamentalisten die ersten großen Verhaftungswellen unter Oppositionellen organisierten, hatte sie das Glück, einen Paß zu besitzen. Über die Türkei kam sie in die Bundesrepublik. In Bremen fand sie einen Studienplatz. Ihr Bruder hatte 1982 keinen Paß. Er hat sechs Jahre lang in Gefängnissen gesessen, wurde gefoltert und jetzt getötet, kurz nach dem allseits gefeierten Waffenstillstand zwischen Iran und Irak. Sheila beteuert: Ihr Bruder hat nichts getan. Er war nur anderer Meinung.
Vor einem Monat ist Sheilas Mutter aus Teheran geflohen und zu ihrer Tochter nach Bremen gekommen. Vom Tod ihres Sohns
weiß sie noch nicht. Und sie soll es auch nicht durch einen dummen Zufall aus der Zeitung erfahren. Auch das ist ein Grund, warum G. ihren wirklichen Namen nicht gedruckt sehen will.
Sheilas Bruder ist nicht der einzige, der in den letzten Wochen seit dem von der Öffentlichkeit gefeierten Waffenstillstand zwischen Iran und Irak umgebracht wurde. Schätzungen über die Zahl der Opfer sind vage, schwanken zwischen 600 und 24.000 Toten. Und Sheila ist auch nicht die einzige Iranerin, die im Exil lebt. Ungefähr zwei Millionen Menschen haben unter Khomeinis Diktatur das Land verlassen. Unter den Flüchtlingen, die nach Bremen gekommen sind, stellen sie die drittgrößte Gruppe. Allerdings: Längst nicht alle Asylanträge werden genehmigt.
An den Bürgermeister und an alle Bremer hat Sheila G. eine Bitte: Sie möchten alles tun, damit eine unabhängige Delegation in ihre Heimat reisen kann und sich über die Methoden der politischen Verfolgung ein Bild machen kann. Einen Brief von Bremer Kirchengemeinden an Außenminister Genscher will auch Bürgermeister Henning Scherf unterschreiben. Denn: „Daimler, MBB und Vulkan sind nicht alles. Auch das Schicksal derjenigen, die unfreiwillig in Bremen leben, gehört zu Bremen.„
kvr
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