: „Allah drückt ein Auge zu“
■ Für zigtausend Bremer ist heute ein Tag wie jeder andere / Aber: Auch kleine Mohammedaner möchten gern was vom Weihnachtsmann bekommen / Spezialweihnachtsbäume - für Allah „fast unsichtbar“
Unsere meisten inländischen Mitbürger haben es vermutlich übersehen: Heute ist ein stinknormaler Dezembertag, der nicht mit einer heiligen Nacht endet, sondern einfach so vorbeigeht: Ohne Einkaufsrummel, ohne Weihnachtskrippe, ohne Onkel Karls obligaten Weihnachtssuff und
ohne daß Tante Frieda ihren Moralischen kriegt, weil es bestimmt das letzte Mal ist, daß die Familie so schön beisammensitzt.
Nein, wir reden nicht von den letzten altlinken Konsumrausch-Kritikern, die am Heiligen Abend betont unchristlich Alltag spielen, und auch nicht von bedau
ernswert diensthabenden Taxifahrern, Telefonseelsorgern und Feuerwehrleuten. Wir meinen zigtausende von Menschen, die einfach nicht an den lieben Gott und deshalb auch nicht ans Christkind glauben.
Was tut einer am Heiligen Abend, den es aus einem anderen
Land mit anderen Religionen nach Bremen verschlagen hat? Ganz einfach: Was er immer tut. Im türkischen Kulturverein am Dobben werden Männer sitzen und mit der gleichen würdigen Ruhe Backgammon spielen wie gestern und vorgestern. Ein paar werden abends zu christlichen Nachbarn gehen und auf die Geburt des Herrn anstoßen. Darf man das als strenggläubiger Mohammedaner? „Ja, man muß vorher nur die Vorhänge zuziehen, daß Allah es nicht sieht.“
Auch in der Giros-Bude herrscht weihnachtliche Vorfreude. Nicht aus religiösen, sondern aus Umsatz-Gründen: Weil die christliche Konkurrenz schließt, hofft man auf besonders gute Giros-Geschäfte.
In einem türkischen Geschäft im Ostertor steht - zwischen Glitzernippes, Messingkitsch, Gasfeuerzeugen und Elektrorasierern ein - Weihnachtsbaum. Aktendeckelhohes Plastikgrün mit qietschbunten Kerzen, Kom
plettpreis 25 Mark. Bitte, wer kauft denn sowas? „Na, viele unserer Landsleute. Vor allem, wer Kinder hat. Versuchen Sie mal einem Sechsjährigen zu erklären, warum seine Freunde alle Geschenke unter so einem Baum finden, bloß er nicht.“
Tatsächlich. Ein Verkäufer in einem türkischen Imbiß „gesteht“ ganz offen. Er hat einen Tannenbaum gekauft, sogar einen richtig großen. Die Begründung hat mir gefallen: Wenn sein Sohn mal groß ist, soll er selbst entscheiden, ob er Mohammedaner bleiben oder Christ werden oder noch etwas ganz anderes oder überhaupt nichts glauben soll. Und was sagt Allah zu so einem so toleranten Vater und Weihnachtsbaumschmücker? „Ach wissen Sie, mit unserer Religion ist es wie mit eurer Religion: Es gibt viele Gummiparagraphen. Da muß man selbst entscheiden, was man darf.“ Beim Rausgehen wünscht er: „Frohe Weihnachten.“
kvr
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