: Wiederaufbau an Nicaraguas Atlantikküste
■ Was passiert mit den Geldern des taz-Spendenkontos? Erste Ergebnisse aus Bluefields
Zwei Monate ist es nun her, daß der Wirbelsturm „Joan“ weite Gebiete Nicaraguas verwüstete. Vor allem die Atlantikküste traf die Wucht des Hurrikans entsprechend sah es in der Küstenstadt Bluefields aus. Seitdem bemüht sich Managuas Regierung um den Wiederaufbau. Nach Berichten unserer Korrespondenten ist die Arbeit vor Ort effizient organisiert. In Absprache mit der nicaraguanischen Regierung richtete die taz ein Spendenkonto ein, wodurch vor allem der Wiederaufbau von Schulen finanziert werden soll. Unser Verbindungsmann Tonio Milone schickte einen ersten Bericht über die Verwendung der Gelder. Der taz-Korrespondent Ralf Leonhard reiste ins Katastrophengebiet. Die Situation in Bluefields hat sich nur scheinbar verändert.
Die schmutziggrauen Fächer der umgestürzten Palmen hängen schlaff ins Wasser, kahle Laubbäume recken ihre abgestorbenen Äste in den sommerlichen Himmel. Beim Herannahen des Motorengeräusches erheben sich anmutige Reiher, und buntschillernde Vögel kreischen im Ufergestrüpp der Mangrovensümpfe. Angestautes Treibholz und ein halb aus den Fluten ragendes rostiges Schiffswrack müssen umschifft werden. Der Bootsmann hat den Blick auf die kommenden Hindernisse gerichtet, die grün-weiße Baseballmütze, die für „Schering„-Pestizide wirbt, tief in die Stirn gezogen. Ab und zu flitzen wir an einem Lastkahn oder einem überladenen Passagierboot vorbei. Das leichte Glasfiberboot mit dem 60 -PS-Außenbordmotor fliegt fast übers glatte Wasser des Rio Kukra.
Frieden durch Autonomie
„Vor nicht allzulanger Zeit hätten wir hier nur mit bewaffneter Begleitung durchfahren können“, erzählt Maura Diaz, die stellvertretende Verantwortliche des Unterrichtsministeriums für die Region. Die Perlenlagune war lange Zeit eine Hochburg der „Misurasata“, der Miskito -Partisanen unter dem Kommando von Brooklyn Rivera. Die Regierung hatte damals versucht, den vermeintlichen Separationsbestrebungen der Miskitos mit militärischer Gewalt zu begegnen, und damit praktisch die ganze indianische Küstenbevölkerung auf die Seite der Freischärler gebracht. Als die Sandinisten ab 1984 den Frieden und ein Autonomieprojekt anboten, um sie politisch zurückzugewinnen, begann die soziale Basis Riveras abzufallen. Seit zwei Jahren herrscht in der Südatlantikregion Frieden. Die meisten Krieger sind in ihre Heimatgemeinden zurückgekehrt. Militärische Einheiten, die sich trotz des herrschenden Waffenstillstandes nicht auflösen wollen, können sich in die Nordatlantikregion absetzen. Dort haben ehemalige Miskito -Rebellen ganze Gemeinden zur Selbstverwaltung übertragen bekommen. Erst vor kurzem hat eine Gruppe aus Sandy Bay von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und ist in voller Bewaffnung nach Yulu, in der Nähe von Puerto Cabezas, gezogen.
In Pearl Lagoon, rund 50 Kilometer nördlich von Bluefields am Südende der Perlenlagune, wo mehr Kreolen als Mestizen und Indios leben, wirkt sich die Autonomie, die seit dem Vorjahr Gesetzeskraft hat, bisher vor allem in kleinen Dingen aus. „Die Leute müssen Entscheidungen in Fragen des Unterrichts oder der Fischerei nicht mehr von Bluefields absegnen lassen“, erklärt Noel Campbell, der als Delegierter der Regierung und der FSLN die höchste Verwaltungsinstanz der Bucht ist. Jede Gemeinde kann jetzt außerdem ihren Koordinator wählen, nur der Regierungsvertreter wird von „oben“ eingesetzt.
Hurrikan vereitelt
lokale Autarkie
Das gußeiserne Kanonenrohr mitten im Dorf erinnert daran, daß die Engländer einst diese Küste besiedelten und gegen Piraten verteidigen mußten. Erst Präsident Jose Santos Zelaya annektierte 1894 die Atlantikküste und gab Nicaragua damit seine heutigen Umrisse. Die Umgangs- und zweite Unterrichtssprache ist aber nach wie vor Englisch mit schwerem karibischem Akzent, das mit spanischen Elementen durchmischt ist.
In praktisch allen Gemeinden wurden die Schulhäuser umgeworfen oder zumindest abgedeckt. Ein Trakt mit drei Klassenzimmern des Instituto Las Perlas hat kein Dach mehr, die Fußböden der Esteban-Taylor-Schule sind mit Roßäpfeln und den aufgeweichten Holzplatten der Zwischendecke übersät. Bis zu 40 Kinder werden in diesen Klassenzimmern in die Welt des Wissens eingeführt. Oberlehrer Hilton Mairena hofft, daß bis zum Beginn des Schuljahres am 20.Februar zumindest die Dächer wieder an ihrem Platz sind. In Pearl Lagoon mit seinen auf elf Gemeinden verteilten 7.000 Einwohnern sind insgesamt 175 Häuser zerstört worden. Was schwerer wiegt, ist der Verlust einer Anzahl von Fischerbooten, denn von der Kleinfischerei lebt der Großteil der Bevölkerung. Derzeit wird nur für den lokalen Markt gefischt, weil die Aufbereitungs- und Vermarktungsbetriebe in Bluefields auf Monate unbrauchbar sind. Die restlichen Einwohner schlagen sich mit dem Anbau von Grundnahrungsmitteln durch. Einige Steinhäuser, die neben den hölzernen Pfahlbauten besonders ins Auge stechen, sind von Matrosen errichtet worden, die auf ausländischen Passagierschiffen anheuern und nach einem halben Jahr mit einer Tasche voller Dollars nach Hause kommen - Leute, die im Luxusrestaurant von Bluefields mehr auf den Tisch legen, als ein Mittelschullehrer im Monat verdient.
Auch in Kukra Hill hat die Naturkatastrophe mehr als nur wirtschaftlichen Schaden angerichtet. „Wir waren erstmals wieder imstande, uns selbst zu versorgen“, erzählt FSLN -Sekretär Erico Vargas. Die mehrheitlich von Mestizen besiedelte Ortschaft Kukra Hill liegt 32 Kilometer oder knappe 40 Minuten Bootsfahrt nördlich von Bluefields. Der Hurrikan „Joan“ hat hier nicht mit derselben Wucht zugeschlagen wie in Bluefields oder auf der einst paradiesischen Insel Corn Island. Doch die Reisernte fiel fast vollständig dem verheerenden Wirbelsturm zum Opfer, der am 22.Oktober die nicaraguanische Atlantikküste verwüstete. Ein Schaden, der auch psychologische Konsequenzen hat, waren die Bewohner doch stolz darauf, erstmals auf den Zukauf von Grundnahrungsmitteln verzichten zu können. „Noch heute werden hier manche Leute hysterisch, wenn die Brise etwas stärker weht“, weiß Luciano Garcia, der Delegierte des Erziehungsministeriums, zu berichten. Im Ölpalmenhain, dem Zukunftsprojekt der Siedlung, hat „Joan“ rund 100 Hektar Palmen von insgesamt 1.270 Hektar umgemäht und die gesamte Infrastruktur dem Erdboden gleichgemacht. Die einzige Zuckermühle der Atlantikküste ist schwer beschädigt. Die Schulen sind beide weitgehend abgedeckt, auf dem Boden steht das Wasser. Es sind schmucklose Steinbauten, die bessere Zeiten gesehen haben. Die Möbel, die weder dem Sturm noch der Plünderung zum Opfer gefallen sind, wurden im einzigen Raum eingeschlossen, dessen Dach an seinem Platz geblieben ist.
Scheinbare Normalisierung
in Bluefields
Nach dem Ausflug in die idyllischen Küstengemeinden wirkt Bluefields mit seinen 40.000 Einwohnern wieder wie eine betriebsame Metropole. In den zwei Monaten, die nach dem verheerenden Hurrikan vergangen sind, hat die Stadt scheinbar wieder zu ihrem alten Rhythmus zurückgefunden. Die Straßenhändler und die Marktfrauen haben wieder von den Gehsteigen der Hauptstraße Besitz ergriffen. Nurmehr wenige Obdachlose bevölkern die San-Jose-Schule, die meisten Familien haben in der Zwischenzeit aus den Überresten des zerstörten Hauses und aus zugekauftem Material ein neues, kleineres Zuhause aufgebaut. Die Hilfssendungen, die lange Zeit in Puerto Limon, in Costa Rica auf Transport warteten, sind inzwischen angekommen und verteilt worden. Jede Familie hat zehn Blatt Wellblech bekommen. Um Streitereien zwischen den Nachbarn zu vermeiden, hat das Katastrophenkomitee das Zinkblech nicht nach Bedürftigkeit, sondern gleichmäßig verteilt. Als die Adventistenkirche mit einer Kleidersendung ausschließlich die Mitglieder ihrer Gemeinde beglückte, hatte es Streit und Unzufriedenheit gegeben. „Sonst können wir uns nicht beklagen“, meint der Fischer Tomas Hammond, der dem Katastrophenkomitee tadellose Effizienz bescheinigt. Auch an den kubanischen Hilfsleistungen hat er nichts auszusetzen. Aber „hoffentlich ist das keine Hilfe mit doppeltem Boden“, meint er. Die massive Hilfe, die Fidel Castros Sendboten überbrachten, hat die latent antikubanische Stimmung an der Atlantikküste nicht ganz zu beseitigen vermocht. Dabei waren die Kubaner die ersten, die Zelte, Decken und Grundnahrungsmittel einflogen, als Managua durch den herannahenden Sturm noch gelähmt war. Kubafeindliche Propaganda, die nach dem Hurrikan wie ein Trommelfeuer über die Contra-Sender im benachbarten Costa Rica losbrach und von der Rechtsopposition wiedergekäut wurde, tat das ihre, um das Mißtrauen gegenüber den sozialistischen Fremdlingen aufrechtzuerhalten.
Fidel Castro und die taz
Hand in Hand
Zuletzt ist eine Schiffsladung Welleternit aus Havanna eingetroffen. Damit sollen in erster Linie öffentliche Gebäude gedeckt werden. Auch die größeren Schulen in der Stadt haben bereits eine Anzahl zugeteilt bekommen. Die taz wird nur die Kosten der Bauarbeiten übernehmen. Dadurch werden aus dem taz-Fonds Mittel frei, womit Schulen in den Gemeinden aufgebaut und eingerichtet werden können. Ray Hooker, der Abgeordnete, der die südliche Atlantikküste in der Nationalversammlung vertritt, träumt von einer zentralen Schule auf Corn Island. Die acht kleinen Schulen, die dort, über die Insel verstreut, existierten, sind zu Kleinholz geworden.
Der pünktliche Beginn des Unterrichtsjahres am 20.Februar wird in Bluefields als besonders wichtig betrachtet. Denn die Leute sollen sehen, daß es trotz aller Schwierigkeiten vorwärts geht. Bisher hatten die Blufilenos ein Nahziel vor Augen: die provisorische Instandsetzung ihrer eigenen Behausung, Nahrungsmittel wurden in ausreichendem Maß gratis verteilt. Wer nicht absolute Bedürftigkeit nachweisen kann, muß demnächst fürs Essen wieder zahlen und wird den Teuerungsschock doppelt schwer erleben. Nach und nach ist das ganze Stadtzentrum beleuchtet worden, und langsam wird auch in den anderen Stadtteilen die Straßenbeleuchtung wiederhergestellt. Doch bis die Haushalte ans Stromnetz angeschlossen werden, können noch Monate vergehen. Nicht nur, daß die Brigaden des Elektrizitätswerks in jedem Haus die Stromkreisläufe zu überprüfen haben - es fehlen auch neue Stromzähler, die eigentlich in Nicaragua Mangelware sind und für teures Geld importiert werden müssen. Kinos und Diskotheken haben zumindest ihre Ausrüstung, wenn nicht auch das ganze Gebäude verloren. Wenn nicht gerade eine Band auf dem Hauptplatz Musik macht, gibt es überhaupt keine Abendunterhaltung - ein Problem, das durch die wachsende Zahl Besoffener unterstrichen wird, die nachts durch die Straßen torkeln. Ein Psychologenteam des „Programms für seelische Gesundheit“ aus Managua ist schon hier gewesen, und Ray Hooker spricht von gezielter Sportförderung, um die Leute bei Laune zu halten. „Viel können wir nicht bieten“, seufzt der Abgeordnete, „das Land ist völlig bankrott.“
Ralf Leonhard
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