Deutsche autonom in Kasachstan?

■ Russisches Jugendmagazin bringt Licht in die Geschichte der sowjetdeutschen Minderheit

Moskau (taz) - In die gegenwärtige Diskussion um die Neugründung einer autonomen Sowjetdeutschen Republik hat das Moskauer Jugendmagazin 'Sobesednik‘ Bewegung gebracht. In der neuesten Nummer steht ein Interview mit dem Chefredakteur der in Kasachstan erscheinenden deutschsprachigen Zeitung 'Die Freundschaft‘, Konstantin Ehrlich. Daraus geht hervor, daß die sowjetische Führung bereits 1979 alle Vorbereitungen zur Bildung einer autonomen Sowjetdeutschen Republik in Kasachstan getroffen hatte.

Das Zentrum sollte die Stadt Jermentau bilden, wo bereits Regierungsgebäude zur Verfügung standen. Auch eine Schattenregierung für die deutsche Republik sei bereits gebildet worden. Das ganze Projekt sei durch eine Intrige vereitelt worden. Ehrlich selbst sei damals in Zelinograd, Kasachstan, Zeuge von Demonstrationen gegen eine deutsche Autonomie geworden. Auf dem ZK-Plenum der kasachischen KP im Juli dieses Jahres habe der Gebietssekretär von Zelinograd eröffnet, daß diese Ausschreitungen nicht spontan, sondern „von bestimmten Leuten inszeniert waren“.

Ehrlich sagt, daß es bisher auch für die offiziellen Vertreter der Sowjetdeutschen schwierig gewesen sei, Dokumente zur jüngeren Geschichte dieser Bevölkerungsgruppe einzusehen, die 1941 aus ihrem Heimatgebiet an der Wolga deportiert wurde. Er selbst habe erst kürzlich von einem Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjet aus dem Jahre 1972 erfahren, der es den Deutschen grundsätzlich gestatte, sich wieder an der Wolga anzusiedeln. Die etwa zwei Millionen Betroffenen hätten davon aber „keinen blassen Schimmer“.

Ehrlich verwahrt sich auch ironisch gegen Stalins Vorwurf, die Rußlanddeutschen, Krimtataren und andere deportierte Völker, hätten in ihrer Mitte Zehntausende von Spionen verborgen: „Ist das nicht reichlich viel?“ In seinem Bekanntenkreis habe es keinen Fall von Kollaboration mit der Hitler-Armee gegeben.

Barbara Kerneck