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Gottes Hand und eine verklemmte Fliege

Ein erschöpfender Rückblick auf das turbulente Sportjahr 1989 / Mannigfaltige Ereignisse werfen ihre langen Schatten voraus und zurück  ■  Von Matti Lieske

Kitzbühel, 20.Januar: Eingedenk der bitteren Erfahrungen im Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft, als sein Team zwei Elfmeter zuwenig bekam, verpflichtet Teamchef Franz Beckenbauer in Hinblick auf das entscheidende WM -Qualifikationsspiel gegen die Niederlande den Frankfurter Vizepräsidenten Bernd Hölzenbein als Schwalbentrainer. Hölzenbein tritt sein Amt mit den Worten an: „Der Atze und ich setzen uns heute noch zusammen und überlegen, ob der Teamchef, der DFB-Präsident und Torwarttrainer Maier die richtigen Leute für die Nationalmannschaft sind.“

Vail, 1.Februar: Alberto Tortellino, der früher, bevor er einen Millionen-Werbevertrag mit Nudelkönig Pellegrini (Inter Mailand) abschloß, unter dem Namen Tomba Sieg an Sieg reihte, wird bei den Skiweltmeisterschaften in Vail (Colorado) nach dem ersten Lauf im Slalom disqualifiziert, weil er im Zielraum anstatt, wie es sich gehört, die Skier in die Kamera zu recken, zwei Packungen „Miracoli“ schwenkt und immerfort „Pastapower, Pastapower“ brüllt. Auf den Riesenslalom muß der Bologneser dann verzichten, weil er nicht durch die Pforte des Starthäuschens paßt.

Karlsruhe, 3.-5. Februar: Das bundesdeutsche Team scheidet gegen Indonesien sensationell in der ersten Runde aus dem Tennis-Davis-Cup aus. Zwei der drei Punkte für Indonesien holt Ivan Lendl, der wenige Tage zuvor überraschend die indonesische Staatsbürgerschaft erhielt, nachdem er es, wie er sagte, satt hatte, „sein Leben auf der Türschwelle der USA“ zu verbringen. Den Siegpunkt für die Asiaten erkämpft das indonesische Doppel, das allerdings davon profitiert, daß Boris Becker vor dem Aufschlag zum deutschen Matchball eine Fliege verschluckt und in einem Mönchengladbacher Krankenhaus operiert werden muß, weil sich das heimtückische Insekt in seiner Luftröhre verklemmt hat.

Rotterdam, 26.April: Im WM-Qualifikationsspiel gegen die Niederlande wechselt sich Teamchef Bernd Hölzenbein, nachdem es eine Halbzeit lang keinen einzigen Elfmeter gegeben hat, empört selbst ein. Beim ersten bundesdeutschen Angriff der 2.Halbzeit wird er „wegen Unsportlichkeit“ des Feldes verwiesen, weil er aus Mangel an alter Spritzigkeit etwas zu spät kommt und erst spektakulär über van Breukelens Fuß stürzt, als dieser sich gerade den Ball zum Abstoß zurechtlegt.

Tauberbischofsheim, 29.April: Um drei Uhr nachts wird Fechtguru Emil Beck im Fechtzentrum Tauberbischofsheim von einem 'Stern'-Reporter tot aufgefunden. In seiner Brust steckt ein Degen. Während die Goldfechterinnen Bestürzung (Sabine Bau: „Das hat er nicht verdient“), Entsetzen (Anja Fichtel: „Huch!“) oder Besinnliches (Zita Funkenhauser: „Wer den Degen erhebt, wird durch den Degen umkommen“) äußern, tappt die Kriminalpolizei völlig im Dunkeln.

Stockholm, 1.Mai: Bei der Eishockeyweltmeisterschaft in Schweden siegt einmal mehr ungeschlagen die Sowjetunion. Einiges Aufsehen erregt der sowjetische Trainer Viktor Tichonov, der während der Spiele seiner Mannschaft mit einer Knute in der Hand an der Bande entlangpatrouilliert. Läuft ein Spieler ins Abseits oder versiebt eine Torchance, bekommt er beim nächsten Wechsel einen kräftigen Hieb ins Genick verpaßt. „Glasnost“, grinst Tichonov auf die erstaunten Fragen von Journalisten. „Früher haben wir das in der Kabine abgemacht.“

Tauberbischofsheim, 7.Mai: Der Fall Beck ist geklärt. Nachdem Emil Beck wieder einmal dabei gescheitert war, ein hohes Amt im bundesdeutschen Sport zu erlangen, hatte er ein Angebot aus Hollywood angenommen. In Russ Meyers Neuverfilmung von Die Drei Musketiere sollte er den d'Artagnan spielen. Beim nächtlichen Training für diese Rolle hat sich Beck nach den Worten eines Polizeisprechers „beim Spiegelfechten selbst durchbohrt“.

Paris, 22.Juli: Skandal bei der Tour de France: Der vor der letzten Etappe uneinholbar führende US-Amerikaner Greg LeMond wird des Dopings überführt. Zwar beteuert der Radprofi verzweifelt, daß er nichts zu sich genommen habe „außer Doughnuts, falschen Hasen und Jellybeans“, doch auch die Gegenprobe ist positiv. Es wird das mittlerweile auf der Dopingliste stehende Mittel „Provenicid“ nachgewiesen, das vor allem dazu dient, die Einnahme von Anabolika und Jellybeans zu vertuschen.

Paris, 25.Juli: Neue Enthüllung im Dopingskandal LeMond: Das Pasteur-Institut in Paris macht die sensationelle Entdeckung, daß die zweite positive Urinprobe gar nicht von dem Radfahrer, sondern von Abu Nidal stammt. US-Präsident Bush äußert sich bestürzt: „Da sieht man mal wieder, daß die Ayatollahs vor gar nichts zurückschrecken, wenn es darum geht, den Vereinigten Staaten zu schaden.“

Bled, 9.September: Bei der Ruderweltmeisterschaft in Jugoslawien bekommt ZDF-Reporter Wolfram Esser seinen Herzenswunsch erfüllt und darf im Achter als Steuermann mitfahren. Im Finale fällt er unangenehm dadurch auf, daß er während der letzten hundert Meter, anstatt den Schlag vorzugeben, unausgesetzt „Deutschland, Deutschland“ brüllt. Das eingespielte Team holt zwar trotzdem Gold, aber als Esser nach der Siegerehrung, wie es so Brauch ist bei den Ruderern, kollektiv ins Wasser geworfen wird, taucht er vor Scham nie mehr auf.

Flushing Meadow, 10.September: In einem enttäuschenden Finale besiegt der Indonesier Ivan Lendl bei den US Open in New York einen demotiviert wirkenden Boris Becker mühelos in drei Sätzen. Lendl, der, nachdem ihn seine Freundin Samantha Fraenkel kürzlich verließ, jetzt immer einen seiner Schäferhunde in der Angehörigenloge Platz nehmen läßt, gibt während des gesamten Turniers nur einen Satz ab: gegen Mats Wilander, kurz vor dessen verletzungsbedingter Aufgabe. Für Wilander wird zum Finale eigens ein Stehplatz in der Spielerloge eingerichtet, auf Wunsch des Schweden möglichst weit von der Angehörigenloge entfernt.

Paris, 23.September: Der Dopingskandal bei der Tour de France zieht weitere Kreise. Bei der Pariser Polizei meldet sich ein Mann, der zuverlässig bezeugt, daß er kurz vor dem Ende der Tour de France den Sicherheitsberater des US -Präsidenten Bush, Oliver North, dabei beobachtet habe, wie er mehrere Urinfässer aus einer Pariser Toilette rollte. Bush selbst beteuert: „Diesmal habe ich wirklich nichts gewußt.“

Neapel, 4.Oktober: Diego Maradona bekommt den Fairneß -Preis der FIFA verliehen. Beim Spitzenspiel der italienischen Liga Napoli - Inter war der Argentinier vom Mailänder Bergomi mit einem Fausthieb niedergestreckt worden. So sahen es jedenfalls die Fernsehkameras, 80.000 Zuschauer und sogar ein Linienrichter. Maradona verhinderte jedoch einen Platzverweis des Milanesen, indem er Schiedsrichter Agnolin mitteilte: „Es war nicht Bergomi, es war die Hand Gottes.“

Berlin, 10.Oktober: Findigen Journalisten gelingt es, die Spur der verschwundenen Tour-de-France-Urinfässer in der Bundesrepublik aufzunehmen. Der Prokurist einer Hanauer Firma gesteht, daß sein Unternehmen die Behälter in den Iran verfrachtet habe. Auf die Frage, wie es gelungen sei, die Grenzkontrollen zu passieren, antwortet er: „Wir haben das Zeug einfach als Atommüll deklariert. So gab es keine Schwierigkeiten.“

New York, 12.November: Steffi Graf stellt ihre Autobiographie Einmal Grand Slam, immer Grand Slam vor, in der sie besonders einschneidende Erlebnisse aus ihrer langen Karriere erzählt, zum Beispiel den Augenblick, als sie in Wimbledon 1988 zum ersten Mal länger als gewohnt aufbleiben durfte. „Das war super“, plaudert sie, noch immer fasziniert von dieser unvergeßlichen Erfahrung, „ich wußte bis dahin gar nicht, was Dunkelheit ist.“ Auch die Schattenseiten, die derartige Ausschweifungen für eine Spitzensportlerin bergen, werden den Lesern keineswegs vorenthalten: „Danach hätte ich fast das Finale gegen Martina verloren. Da wußte ich, wie recht Papa meist hatte.“ Meist, wohlgemerkt. Breiten Raum nimmt nämlich die schmerzliche Trennung von ihrem „Vater und Freund“ ein. „Er hat einfach meine Hochzeit mit Willi Daume nicht verkraftet“, verrät die Tenniskönigin voller Betrübnis, „aber vielleicht kommt er eines Tages darüber hinweg. Er ist ja noch so jung.“

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