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Der V-Mann war immer zentral plaziert

■ Der Verfassungsschutz saß in der Kanzlei eines Verteidigers im Schmücker-Verfahren / Von Till Meyer

Am 5.Juni 1974 starb der V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes Ulrich Schmücker an den Folgen eines Kopfschusses. Im Auftrag des Amtes sollte er in militante Gruppen eindringen. Für seinen Tod übernahm eine Gruppe „Schwarzer Juni“ die Verantwortung. Als mutmaßliche Täter verhaftete der Staatsschutz später sechs Personen, darunter Ilse Schwipper. Nach 13 Jahren Prozeß und zweimaliger Revision wird klar, wer der Herr des Verfahrens ist: der Berliner Verfassungsschutz. Wegen der Verwicklungen des Amtes in diesen Fall ist bis heute ungeklärt, was in jener Nacht tatsächlich passierte. Jetzt wurde ein weiterer V-Mann enttarnt, der gar in der Kanzlei eines der Verteidiger gesessen hat.

Als der Rechtsanwalt Philipp Heinisch, Verteidiger im Schmücker-Verfahren, im Frühjahr 1988 Auskunft darüber begehrte, ob es zutreffe, daß in den siebziger Jahren ein V -Mann des Verfassungsschutzes in seiner Kanzlei plaziert gewesen sei, wurde dies vom Chef des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz, Dieter Wagner, entschieden zurückgewiesen. „Es gehört nicht zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes, Organe der Rechtspflege in ihrer rechtmäßigen Amtsausübung zu überwachen“, erklärte Wagner zur Untermauerung seines Dementis. Dieses vollmundige Bekenntnis zum Rechtsstaat war allerdings die pure Farce. Wagner hatte gelogen.

Nur wenig später, am 24.Mai 1988, gestand Wagners oberster Dienstherr, Innensenator Kewenig, den Skandal hinter verschlossenen Türen. Ins Vertrauen zog Kewenig keinen Geringeren als den Vorsitzenden der West-Berliner Anwaltskammer Jürgen Borck - selbstredend unter der Maßgabe „streng vertraulich“.

Borck gegenüber räumte Kewenig ein, daß die Vorwürfe, die der 'Spiegel‘ einen Monat zuvor veröffentlicht hatte, im wesentlichen zutreffen. Der 'Spiegel‘ hatte berichtet, daß die Alliierten auf Antrag des Verfassungsschutzes die Telefonleitungen der Rechtsanwaltskanzlei Heinisch angezapft hatten. Zusätzlich zu dieser Lauschaktion, die mindestens von 1975 bis 1980 währte, sei vor und während des gesamten ersten Schmücker-Verfahrens bis zum Juni 1976 ein V-Mann als Rechtsanwaltsgehilfe in der Kanzlei tätig gewesen. Es handelt sich dabei um den in der Linken zwar häufig als V -Mann verdächtigten, aber bis zum jetzt bekannt gewordenen Kewenig-Geständnis nie enttarnten Christian Hain, Deckname Flach.

Allerdings beteuerte Kewenig gegenüber Anwaltskammerpräsident Borck, Hain sei für die Spitzelarbeit in der Anwaltskanzlei keineswegs eigens angeworben worden, sondern habe bereits vorher in den Diensten des Verfassungsschutzes gestanden. Und wie aus Kewenigs Beichte dem Anwaltskammerpräsidenten gegenüber indirekt weiter hervorgeht, erwies sich V-Mann Hain auch in der Rechtsanwaltskanzlei als ausgesprochen tüchtig: So ist es seinem Fleiß zu danken, daß die Vertreter der Anklage im Schmücker-Prozeß, die Staatsanwälte Jürgen Przytarski und sein damaliger Sekundant und heutiger Staatssekretär im Berliner Innensenat, Wolfgang Müllenbrock, über die gesamte Strategie der Verteidiger im vorab bestens informiert waren. Damit hatte sich die Anklage bis auf die Verteidigerbank vorgearbeitet. Nach Kewenigs Version allerdings ohne zu wissen, wie sie zu ihrem Glück gekommen war: Angeblich hätten die Anklagevertreter im Schmücker-Verfahren nicht gewußt, auf welchem Weg die Interna der Gegenseite auf ihr Anklagepult gelangt seien. Dankbar benutzt haben sie sie trotzdem.

Von Kewenig dermaßen ins Vertrauen gezogen, vergaß der Präsident der Anwaltskammer Borck, zur Rettung seines Berufsstandes zu schreiten. Statt den Rechtsanwaltskollegen Heinisch unverzüglich über diesen eklatanten Bruch des Verfassungsrechts auf Verteidigung durch den Verfassungsschutz zu informieren, befolgte er Kewenigs Maßgabe „streng vertraulich“ und hielt den Skandal unter der Decke. Unter dem Geschäftszeichen IAR 283.88 (Präs.) verschwand der brisante Vermerk über das aufschlußreiche Gespräch mit dem Innensenator im Aktenschrank des Kammerpräsidenten.

Noch rechtzeitig vor Beendigung des Untersuchungsausschusses zur Skandalspirale des Berliner Verfassungsschutzes fiel der so abgebunkerte Vermerk allerdings einem Mitglied des 20köpfigen Vorstands der Anwaltskammer in die Hände. Dieser erwies sich als besserer Vertreter seines Standes und informierte seine Vorstandskollegen. Für kommenden Mittwoch, den 4.Januar 1989, wurde daraufhin eine Vorstandssitzung der Anwaltskammer anberaumt, auf der entschieden werden sollte, ob das Kewenig-Geständnis an die Öffentlichkeit gebracht werden solle. Mittlerweile soll sich die Tagesordnung für diese Vorstandssitzung auf Anregung Borcks allerdings ändern: In einem Rundschreiben an die „lie ben Vorstandskollegen“ reagierte Borck Ende Dezember auf eine drohende Veröffentlichung seines vertraulichen Dialogs mit Kewenig. Borck will nunmehr „Konsequenzen aus der Indiskretion“ seiner Vorstandskollegen diskutiert wis- sen.

Schmücker-Verfahren

endgültig beerdigt?

Weitaus relevanter dürfte jedoch sein, welche Konsequenzen die Revisionsinstanz für das Schmücker-Verfahren aus dieser nun quasi amtlichen Bespitzelung der Anwaltskanzlei zieht. Nachdem mit Hain jetzt der fünfte V-Mann im Schmücker -Komplex aufgeflogen ist, dürfte eine Einstellung des gesamten Verfahrens wohl kaum noch zu umgehen sein. Das wäre mittlerweile auch der Berliner Innenbehörde sicherlich recht. Denn falls die dritte Revisionsinstanz einer vierten Auflage des Schmücker-Prozesses stattgeben würde, bestünde die Gefahr, daß noch mehr „streng Geheimes“ nach Art des Berliner Verfassungsschutzes an die Oberfläche kommt.

Schon jetzt ist bekannt, daß die Waffe, mit der Schmücker in der Nacht vom 4. auf den 5.Juni 1974 im Grunewald erschossen wurde, umgehend in die Hände des Berliner Verfassungsschutzes gelangte. In jener Nacht war sie unmittelbar nach der Tat von dem damals noch nicht enttarnten V-Mann Volker Weingraber Edler von Grodeck, der sie im Auftrag seiner Gruppe „Schwarzer Juni“ verschwinden lassen sollte, seinem V-Mann-Führer Michael Grünhagen übergeben worden. Weingraber selbst jedoch wurde bis zum dritten Durchgang des Schmücker-Verfahrens im Prozeß nie erwähnt. Nach erfolgreichen Spitzeldiensten in Frankfurt, Norddeutschland und West-Berlin bis in die Mitte der siebziger Jahre hinein lebt Weingraber heute ausgestattet mit einer neuen Identität in Italien. Ende der siebziger Jahre kassierte er vom Berliner Amt ein stattliches Schweigegeld in Höhe von 700.000 Mark.

Immer im innersten Kreis

Weniger angenehm ging das doppelte Spiel für drei andere V -Män- ner im Schmücker-Komplex aus: Schmücker selbst, statt von „Schwarzer Juni„-Anarchos hauptsächlich von V-Leuten umgeben, bezahlte sein riskantes Indianerspiel im Untergrund mit dem Leben. Götz Tilgner, ein weiterer V-Mann im „Schwarzen Juni“, starb noch vor Eröffnung des ersten Schmücker-Prozesses unter dubiosen Umständen an einer Tablettenvergiftung. Der Mitangeklagte und Kronzeuge der Anklage Jürgen Bodeux, ebenfalls ein Informant des Verfassungsschutzes, mußte zweieinhalb Jahre seiner fünfjährigen Haftstrafe absitzen.

Der nun enttarnte fünfte im Bunde, Christian Hain, gehörte ebenso wie seine vier V-Kollegen zum engeren Kreis um die Hauptangeklagte im Schmücker-Verfahren, Ilse Schwipper. Schon bevor Hain 1972 von Wolfsburg nach Berlin übersiedelte, kannte er Ilse Schwipper „aus der gemeinsamen politischen Arbeit in Wolfsburg“, berichtet er der taz in einem Interview. Nach ihrer Festnahme im August 1974 war es Ilse Schwipper selbst, die ihrem Rechtsanwalt Heinisch den Jurastudenten Hain als tatkräftige Unterstützung für seine Rechtsanwaltskanzlei empfahl.

Mit dieser Empfehlung im Rücken und ausgestattet mit dem guten Leumund, in einer linken Rechtsanwaltskanzlei tätig zu sein, gelang dem Spitzel Hain der Einstieg in relevante Teile der linksradikalen West-Berliner Szene. So konnte er seine Informationen jahrelang als akzeptierter Genosse im Zentrum der West-Berliner „Roten Hilfe“ sammeln. Dort genoß er - wie später auch in der „Knastgruppe Wedding“ - allseits Vertrauen „als hochangesehener Aktivist“, wie ein Altgenosse von damals heute berichtet. „In der Roten Hilfe gab es immer auch einen inneren Kreis. Da war Hain mittendrin“, so der Genosse weiter. Ein anderer Genosse, der Hain aus seinen Aktivitäten von Mitte der siebziger bis Anfang der achtziger Jahre in West-Berlin kennt: „Wenn der Hain wirklich V-Mann war, dann muß man die Geschichte über bestimmte Teile der militanten Linken neu schreiben.“

Observationsfotos

frisch auf den Tisch

Verdacht war bei ihnen schon früher gelegentlich aufgekommen: So blieb für die Genossen bis heute ungeklärt, warum ein Waffendepot, von dem nur ein innerer Kreis inklusive Hain wußte und das mehrere Hausdurchsuchungen unentdeckt überdauert hatte, eines Tages plötzlich leer war. Verhaftungen gab es damals allerdings nicht.

Ebenfalls in subversivem kleinen Kreise wurde Ende der siebziger Jahre beschlossen, Auto und Eigenheim eines Berliner Bauspekulanten zu demolieren. Noch während das Objekt ausgekundschaftet wurde - woran auch Hain beteiligt war -, tauchte bei einem der Aktivisten der Staatsschutz auf. Der sich in völliger Konspiration wähnende Genosse staunte nicht schlecht, als ihm der Staatsschutz Fotos seiner Konspi-Gruppe beim Auskundschaften des Baulöwen vorlegte. Der Beamte bemerkte dazu: „Was immer Sie auch vorhaben, lassen Sie es sein, wir sind Ihnen auf der Spur.“

Damit war diese Aktion gestorben, der Argwohn gegen Hain in der Szene allerdings gewachsen. Plötzlich erschien auch das Verschwinden wichtiger Papiere aus der Wohnung eines Genossen ebenso wie das Verschwinden einer Rote-Hilfe-Kasse mit 2.800 Mark in einem anderen Licht.

Der rührige Hain sorgte jedoch nicht nur in West-Berlin für eine Kette von Ungereimtheiten. Er verfügte zudem über diverse Kontakte ins Bundesgebiet, wie zum Beispiel nach Frankfurt und Salzgitter. Dort gab es auch eine Verbindung zu den V-Leuten Susak, Loudil und Berger, die allesamt in den Verfassungsschutzanschlag auf die Gefängnismauer der Strafanstalt Celle verwickelt waren. Und nicht nur das. Bis heute undurchsichtig ist die Beschaffung von Sprengstoff durch Hain in Griechenland, Sprengstoff, der später im Rahmen einer Hausdurchsuchung bei Startbahn-Gegnern in Frankfurt gefunden wurde.

Hain aber überstand die sich wiederholenden Verdächtigungen mit „Charme und Dreistigkeit“, wie ein Altgenosse heute resümiert. Vor allem die Dreistigkeit hat der Mann sich bis heute bewahrt: Nachdem er im April vergangenen Jahres im 'Spiegel‘ als V-Mann bezeichnet worden war, ließ er es sich kurz darauf nicht nehmen, einer Veranstaltung zum Thema „Verfassungsschutz und Schmücker-Prozeß“ in der Berliner TU beizuwohnen. Als ein Genosse, der ihn aus alten Zeiten kennt, erklärte: „Ich will nicht mit einem Mann des Verfassungsschutzes im gleichen Raum sitzen“, stellte Hain wortgewaltig Empörung zur Schau. Er bestieg das Podium und schimpfte zur eigenen Ehrenrettung: „Das alles ist eine Verleumdungskampagne des Verfassungsschutzes gegen mich, um von den wirklichen Schweinereien des Amtes im Schmücker -Verfahren abzulenken.“ Nicht zuletzt dank der Unterstützung seiner ebenfalls anwesenden alten Freundin Ilse Schwipper durfte er im Saale verweilen. Heute lebt der rührige und für seine Dienststelle so ausgesprochen ergiebige V-Mann Hain als Besitzer des Taxi-Unternehmens „Hain & Keil“ in West -Berlin.

Eine steilere Karriere haben die Hintermänner dieses Verfassungsschutzsumpfes im Schmücker-Komplex zu verzeichnen - die beiden damaligen Anklagevertreter, die Staatsanwälte aus der Abteilung P2, Przytarski und Müllenbrock. Über den Posten eines Senatsdirektors avancierte Müllenbrock bis zum Staatssekretär beim Innensenat. Przytarski seinerseits erklomm immerhin den Posten des Vizechefs des Landesamtes für Verfassungsschutz, bis er wegen seiner Verwicklung in den Berliner Bauskandal vor einem Jahr auf den gleichwertig dotierten Posten des Direktors des Landesverwaltungsamtes versetzt wurde.

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