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Deutsche Eltern wollen nicht mehr deutsche Kinder

■ Probleme mit Kindern von meist polnischen Aussiedlerfamilien in Berliner Schulen / Regulärer Unterricht trotz fehlender Sprachkenntnisse / Berliner Eltern fürchten um Unterrichtsqualität für ihre Sprößlinge und fordern pädagogische Aufstockung

Die ohnehin problemgeplagten Berliner Schulen sehen sich seit diesem Schuljahr mit einer weiteren Schwierigkeit konfrontiert: Im letzten Jahr strömten weit über 1.500 neue Mitschüler in alle Jahrgangsstufen, die zwar allesamt Deutsche sind, vom Unterricht aber dennoch erst einmal kein Wort verstehen. Es sind die Kinder der meist polnischen Aussiedlerfamilien, die nach Berlin gekommen sind. Sie werden aufgrund ihres Status sofort in eine deutsche Regelklasse integriert, obwohl sie dem Unterricht wegen ihrer Sprachschwierigkeiten kaum folgen können.

Zwar kam der im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelte Aussiedlerzuwachs alles andere als überraschend, doch sind die Schulen dem Ansturm neuer Schüler kaum gewachsen. So gibt es weder polnische noch russische Unterrichtsmaterialien für einen sinnvollen Deutschunterricht, noch ausreichend vorbereitete Lehrer. „Den Kindern bleibt nichts anderes übrig, als sich in einer Klasse völlig anzupassen und die Sprache durch reine Imitation der anderen zu lernen“, so eine Lehrerin.

Vornehmlich werden die Neu-Berliner in jenen Schulen untergebracht, an denen der Anteil ausländischer Schüler bislang sehr gering war; Lehrer, Mitschüler und Eltern stehen nun also vor einer Situation, die sie bis dato noch nicht kannten - und keineswegs akzeptieren wollen. Vor allem die meist mittelständischen Eltern reagieren zunehmend mit Ablehnung auf die steigende Zahl von Aussiedlerkindern in den Klassen und sehen die Betreuung und Schulnoten ihrer Sprößlinge gefährdet.

An der Ruppin-Grundschule in Schöneberg, an der bis jetzt knapp 50 Aussiedlerkinder in normalen Regelklassen mitunterrichtet werden, hat sich daher mittlerweile ein eigener Arbeitskreis aus den Reihen der Elternvertretung gegründet. Sie fühlen sich von der Schulleitung und von Volksbildungsstadtrat Lawrentz (CDU) im Stich gelassen. „Das einzige, was wir immer wieder hörten, waren Appelle an unsere Solidarität und der Hinweis, daß es sich ja nicht um Ausländer, sonder um Deusche handelt“, so eine betroffene Mutter.

Mit der Betonung des angepaßten und leistungsorientierten Verhaltens der Aussiedlerkinder werden von Politikerseite ungeniert polnisch sprechende und griechisch oder türkisch sprechende Menschen systematisch gegeneinander ausgespielt. So wies der Schöneberger Volksbildungsstadtrat Lawrentz in einer Sitzung des Schulausschusses die Klagen der Eltern unmißverständlich von sich: „Das sind doch keine Türken.“ Er lehnt inzwischen jegliche Gespräche mit den Eltern ab.

Denen aber ist es egal, ob in den Klassen ihrer Kinder türkische oder deutsch-polnische Kinder vom Untericht nichts mitbekommen und aus Frust oder Langeweile stören. Sie fordern zusätzliche Pädagogen an den Schulen und vor allem eine - wie sie meinen - „gerechtere Verteilung des Problems“.

Mit diesem Argument haben sie jedoch einen schweren Stand, denn mit einem Blick auf die Verhältnisse an Kreuzberger Schulen verlieren die Klagen der Schöneberger Eltern an Schlagkraft.

Natürlich ist die Frequenz ausländischer Kinder in Kreuzberg viel höher als bei uns“, räumt Jörg Troike von der Elternvertretung der Ruppin-Grundschule ein, „aber man kann doch nicht einfach sagen, Aussiedlerkinder sind Deutsche, und deshalb braucht man nichts zu tun.“

Immerhin will der Schulsenat noch einmal zusätzlich 250 neue sogenannte Beschäftigungspositionen schaffen. Die Zahl ist bislang jedoch nur eine rein rechnerische Größe; ob und wie sie in konkreten Unterricht umgesetzt wird, bleibt fraglich.

Christine Dankbar

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