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1988: Der Monopolkapitalismus ging seinen Weg

■ Rekord vom Vorjahr bei Fusionen weit übertroffen / Fast alle betroffen: Von Autovermietern bis zu Zuckerfabriken / Devise des EG-Binnenmarktes: „Big is beautiful“

Stuttgart (dpa/taz) - Das jetzt zu Ende gegangene Jahr 1988 darf was die Beteiligung deutscher Unternehmen betrifft als Rekordjahr der Firmenfusionen gelten. Im Schatten der Schlagzeilen um den Übernahmepoker von Daimler-Benz am Luft -und Raumfahrtkonzern Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) vollzogen sich Firmenehen oder bahnten sich Kooperationen an, die in ihren jeweiligen Branchen als nicht weniger spektakulär gelten können. Wirtschaftsmagazine sprechen, wenn sie das Jahr 1988 bilanzieren, von einem „Monopoly mit Milliarden“ oder ganz einfach von „Unternehmens-Shopping“ frei nach dem Motto „Big is beautiful“.

Im Vorfeld des gemeinsamen europäischen Binnenmarkts sind derzeit fast alle Branchen dem „Reiz der Größe“ verfallen. Die Eurokonzerne rüsten sich: Zuckerfabriken, Mineralölunternehmen, Autovermieter, Lebensmittelläden, Sach - und Lebensversicherer, Maschinenbauer, Brauereien und der gesamte High-Tech-Bereich der Elektronik stehen über die nationalen Grenzen hinweg zur Disposition.

Genaue Angaben über die Zahl der Übernahmeaktionen und die transferierten Summen gibt es noch nicht. Kenner der Branche meinen, daß die Zahlen von 1987, als deutsche Unternehmen über 135 Milliarden Mark für Beteiligungen anlegten, im Jahr 1988 bei weitem übertroffen wurden. Das Bundeskartellamt in Berlin registrierte damals über 880 Fusionen. Seit 23. Dezember liegt dem Amt der „Riesenbrocken“ Daimler/MBB auf dem Tisch. Sie müssem jetzt einen Unternehmensgiganten auf „marktbeherrschende“ Positionen - auch im sensiblen Rüstungsbereich - durchleuchten. Der Konzern bingt es in seiner „Endstufe“ auf 400.000 Mitarbeiter und einen Umsatz von über 80 Milliarden Mark. Bereits jetzt steht jedoch fest, daß nach einem zu erwartenden Fusionsverbot aus Berlin eine „Ministererlaubnis“ der Bonner Regierung erfolgen wird mit der Begründung, die Fusion diene „dem Gemeinwohl“ der Bundesbürger. Den Preis für den zunächst angepeilten Einstieg mit 30 Prozent am MBB-Stammkapital beziffern Insider auf knapp eine Milliarde Mark.

Ähnlich schlagzeilenträchtig ist der Griff eines anderen deutschen Konzerns in Richtung England. Rund 2,7 Milliarden Mark will sich die Siemens AG (München/Berlin) ihren zusammen mit der General Electric Co Plc (GEC/London) geplanten Einstieg beim britischen Elektronikunternehmen Plessey Co (Plc/Ilford) kosten lassen. Ziele wie bei allen Expansionen sind der Ausbau der Marktposition, die Erschließung neuer Absatzmärkte und neuer Technologien. Inzwischen wird allerdings darüber spekuliert, für wie ernst die Drohungen der Plessey-Manager zu nehmen sind, General Electric zu schlucken, um das eigene Geschlucktwerden abzuwenden.

Das Jahr 1988 begann mit einer „Bier-Ehe“ zwischen Hannen Alt und Tuborg. Die Tuborg-Brauerei (Kopenhagen) erwarb die gut 80prozentige Reemtsma-Beteiligung an der Hannen-Brauerei GmbH (Mönchengladbach). Keine Einwände hatte auch im Februar 1988 das Bundeskartellamt gegen einen Zusammenschluß des Branchenvierten mit dem Branchensechsten unter den Pauschalreise-Veranstaltern. Die ITS International Tourist -Service GmbH Köln durfte bei der Jet-Reisen GmbH (Frankfurt) einsteigen.

„RWE kauft Deutsche Texaco für über zwei Milliarden Mark“, hieß Anfang Juni die Schlagzeile zur Elefantenhochzeit im Energiebereich. Die Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG (RWE/Essen), der größte deutsche Stromversorger, sicherte sich zu für rund 2,2 Milliarden Mark von dem US-Ölmulti Texaco Inc. (White Plains) über 99 Prozent der Anteile an den 500 Millionen Mark Grundkapital der Deutschen Texaco. Der Verkauf der Deutschen Texaco durch ihre Muttergesellschaft ist darüber hinaus ein Ergebnis einer Fusion in den USA. Texaco Inc. hatte bei der Übernahme von Getty-Oil die Konkurrenz Pennzoil unlauter ausgetrickst. Der Multi wurde zu horrenden Schadensersatzzahlungen in Milliardenhöhe verurteilt, und brauchte nun zur Bezahlung derselben Geld, das er sich durch Verkauf sicherte.

Von Mitte 1988 an wurde deutlich, daß die großen Banken versuchten, in ein bisher den Versicherern überlassenes Terrain einzudringen. „Mit neuen Bündnissen auf neue Märkte“, heißt die Strategie der Großbanken, die ihrer Kundschaft in Zukunft nicht nur die Sparbücher führen, Tips für Geldanlagen geben, sondern sie „rundherum“ mit Lebens und Sachversicherungen bis hin zu Bauspardarlehen versorgen wollen, die sich inzwischen zur Geldanlageform Nummer eins gemausert haben. „Allfinanz“ heißt die Zauberformel, bei der nun immer mehr Geldinstitute mitmischen wollen. Die Banken dürften ihre Angebote sicherlich auch zu „Paketen“ schnüren, was einen Vergleich der einzelnen Institute nicht erleichtern dürfte.

In das Konzept „Allfinanz“ paßt die Übernahme von 40 Prozent der Leonberger Bausparkasse durch die Commerzbank AG. Diese Anteile kaufte die Bank von der Stuttgarter Lebensversicherung Allgemeine Rentenanstalt (ARA). Die Commerzbank und die Leonberger wollen nach eigenen Angaben eine enge Kooperation mit dem Ziel „wechselseitiger Exklusivität“ aufnehmen. Noch größer in ihren Auswirkungen auf den Verbraucher dürfte der Einstieg der Deutschen Bank in das Versicherungsgeschäft werden, bei dem der Münchner Allianz eine starke Konkurrenz erwachsen dürfte.

Zu den großen Deals 1988 gehörte ohne Zweifel auch der Verkauf der Volksfürsorge/Hamburg. Anfang Dezember war der Verkauf der gewerkschaftseigenen Versicherungsgruppe nach zähen Verhandlungen mit mehreren Partnern endgültig unter Dach und Fach. Die Aachener und Münchner Beteiligung-AG (AMB/Aachen) sowie die italienische Gruppo La Fondiaria (Florenz) übernahmen jeweils 25 Prozent plus eine Aktie an dem früheren DGB-Unternehmen. Mit einem Schlag hatte die Gewerkschaftsholding BGAG rund 1,5 Milliarden Mark mehr in der Kasse. Damit entstand in Verbindung mit der Aachener und Münchner Versicherungsgruppe der zweitgrößte Assekuranz -Konzern in der Bundesrepublik hinter dem Branchenführer Allianz.

Die zweitgrößte Firmenübernahme in den USA, bei der der Konsumgüterriese Kraft Inc. (Glenview/Illinois) für 23,5 Milliarden Mark an den Zigaretten- und Nahrungsmittelkonzern Philip Morris Co ging, hat auch seine Auswirkungen auf die Bundesrepublik. Die beiden amerikanischen Unternehmen besitzen hier drei florierende Töchter, die Philip Morris GmbH/München, die Kraft GmbH/Eschborn und die HAG GF AG/Bremen.

Andere Fusionen, die den Drang zu mehr Größe belegen: Mit der Fusion von InterRent und Europcar vollzog sich die Bildung des größten europäischen Autovermieters. Die Nestle Deutschland AG (Frankfurt) übernahm den Schokoladen- und Süßwarenhersteller Rowntree Mackintosh (Hamburg) als hundertprozentige Tochtergesellschaft. Zusammen mit der Nestle-Tochter Sarotti (Berlin) verfügen die Schweizer damit in der Bundesrepublik über eines der größten Schokoladenunternehmen. Der Otto-Versand, Hamburg, beteiligte sich an dem Münchner Sporthaus Sport-Scheck, um in den zukunftsträchtigen Bereichen Sport und Freizeit „interessante Marktpositionen“ zu erreichen.

Keine Einwände hatte das Bundeskartellamt gegen die volle Übernahme des Stoßdämpfer-Spezialisten August Bilstein GmbH (Ennepetal) durch die Hoesch AG. In Süddeutschland entstand durch die Fusion der Süddeutschen Zucker-AG, Mannheim, und der Zuckerfabrik Franken GmbH, Ochsenfurt, ein neuer Zuckerriese, der nun an dritter Stelle der europäischen Produzenten steht. Nach turbulenten Tagen stimmten am 25. November die 60 größten Gläubigerbanken der co op AG, Frankfurt, einem Sanierungskonzept zu. Vier Auslandsbanken sollen von den Altaktionären 72 Prozent des Kapitals in Höhe von 450 Millionen Mark des Handelsriesen übernehmen, der rund zwölf Milliarden Mark Jahresumsatz macht. All das dürfte ein kleiner Vorgeschmack auf die verbleibenden vier Jahre bis zur Errichtung des EG-Binnenmarktes sein, wenn alle Kuchenstückchen verteilt sein dürften.

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