: Die Bruchlandung des Adlers
■ Vierschanzentournee der Skispringer: Eddie „Eagle“ Edwards gestürzt, Jens Weißflog (DDR) an der Spitze
Berlin (taz) - Im Sport unserer Tage geht es gemeinhin darum zu gewinnen. Dafür wird geschuftet, trainiert, gekämpft, gespritzt und geschluckt. Der Sieg ist alles, alles andere ist nichts. So war es auch im Skispringen, bis bei den Olympischen Winterspielen in Calgary der britische Hausverputzer Eddie Edwards mit seiner dicken Brille, dem niedlichen Schnauzbart und dem schiefen Gesicht daherkam und den Leistungsgedanken konsequent ad absurdum führte.
Weitenjäger wie Doppel-Olympiasieger Nykänen waren plötzlich an den Rand des Interesses gerückt, die Schlagzeilen heimste Eddie ein. Er sprang halb so weit wie der Rest, doch sein Mut rief Bewunderung hervor, die ob seines unfertigen Sprungstiles mit einer gehörigen Portion geheimen Gruselns gewürzt war. Kommt Eddie durch, oder bricht er sich das Genick? Wird er Letzter oder gar nur Vorletzter, wie kürzlich bei einem Weltcupspringen? - Das waren Fragen, die das Skispringen fortan bestimmten.
Eddie Edwards selbst nutzte seine Popularität weidlich aus. Kein Nachtclub war ihm zu anrüchig, kein Werbespot zu blöd, keine Pose zu peinlich. Wo immer es ein paar Pfund zu verdienen gab, der Adler war schon da. Runde 640.000 Mark nahm er 1988 ein. Sauer waren vor allem die Leute, für die das Skispringen eine sehr ernste Angelegenheit ist, die anderen Springer etwa, oder auch die Veranstalter. „Ständig rufen's bei mir an wegen dem Arsch“, grollte, wie eine Zeitung aus Süddeutschland kolportierte, der Chef der Vierschanzentournee, Putzi Pepeunig, und fügte hinzu: „Wenn so ein Dodel mehr Publicity hat als der Sieger, dann hört der Spaß auf.“
Pepeunig kann seit Dienstag wieder ruhig schlafen. Der Spaß hörte vorläufig auf, es hat sich ausgedodelt. Beim Training verriß es Edwards nach einem 50-Meter-Sprung die Ski, er überschlug sich etliche Male und blieb schließlich mit Schlüsselbeinbruch und blutüberströmten Gesicht liegen. „I have damaged myself“, klagte er, kündigte jedoch unverdrossen an: „Ich werde bald wieder springen.“ Zwei Monate wird er damit nach den Worten eines Arztes wohl warten müssen.
Die Schlagzeilen hatten ihm, zumindest hierzulande, ohnehin längst nicht mehr gehört. Da war Dieter Thoma vor, der rotschöpfige Schwarzwälder, der im Weltcup führt und bis zum 3. Springen in Innsbruck der Favorit der Vierschanzentournee war. Sein Sieg in Oberstdorf und der vierte Platz in Garmisch hatten einen Skisprungboom ausgelöst, der sogar Boris-Becker-Manager Ion Tiriac auf den Plan lockte. „Die Veranstalter sind noch zu grün“, konstatierte dieser zielsicher, „die brauchen noch ein Konzept für das Umfeld.“ Thoma selbst wurde über Nacht zur Litfaßsäule, so häuften sich die Werbeverträge, und zum Springen nach Innsbruck wurde er von 15.000 deutschen Fans begleitet.
Es half jedoch nichts. Der erste Sprung geriet zu kurz, Schwedens Jan Boklöv gewann, Thomas 14. Platz kostete die Führung in der Tournee, die Jens Weißflog aus der DDR vor Matti Nykänen (Finnland) übernahm. Vor dem heutigen abschließenden Springen in Bischofshofen ist Thoma Vierter, der Gesamtsieg ist nach weiser Selbsteinschätzung kaum noch zu holen: „Da denke ich nicht mehr dran. Die Schanze in Bischofshofen ist ein alter Bock und schwer zu springen.“
Matti
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