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Giftgas-Dilemma

Irritationen in der kritischen Öffentlichkeit  ■ K O M M E N T A R

Es gibt kaum eine Krise in den letzten Jahren, die mit der Komplexität der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die angebliche Chemiewaffenproduktion in Libyen vergleichbar ist. Das beginnt bereits bei der einschränkenden Feststellung „Angeblich“. Angesichts der Bonner Verrenkungen und eingedenk früherer Erfahrungen zum Beispiel in der Frage illegalen Nuklearexports aus deutschen Landen muß eine kritische Öffentlichkeit davon ausgehen, in Bonn wird wieder einmal vertuscht und gelogen, daß sich die Balken biegen. Wann je hätte die Bundesregierung den angeblich verbotenen Export von Waffen, Nuklearkomponenten oder eben auch - wie im Falle Irak - Anlagenteilen die zur Produktion chemischer Waffen genutzt werden können, von sich aus verhindert?

Dieses Mal ist die Realität erheblich komplexer. Die Ankläger gegen Firmen und Bundesregierung sitzen in keiner findigen Redaktion, die einem Skandal auf der Spur ist, sondern in Langley/Virginia. Nun gehört der CIA nicht gerade zu den Hütern des Weltgewissens, und die erkennbare Absicht hinter der Enthüllung stimmt mindestens so mißtrauisch wie die Beteuerungen der Bundesregierung, man wisse von gar nichts. Kommt dazu noch ein Regime wie das des Oberst Gaddafi, muß man wohl erst einmal davon ausgehen, daß jede beteiligte Partei ihre eigenen Interessen hat, die Öffentlichkeit zu belügen.

Seit 1976 verhandeln im Rahmen der UNO 40 Staaten in Genf über ein weltweites Verbot für die Produktion und Lagerung chemischer Waffen. Fortschritte bei diesen Verhandlungen wurden zuletzt durch die USA blockiert. Mit dem Argument, ein Produktionsverbot sei letztlich nicht zu kontrollieren, wollen die USA nach dem Vorbild des Atomwaffensperrvertrages lieber den Besitz von C-Waffen auf einige wenige Staaten einschränken und die Weiterverbreitung unterbinden. Danach könne mit den Sowjets über die Reduzierung der jeweiligen Potentiale verhandelt werden. Der Durchsetzung dieser Strategie diente bereits die amerikanische Kritik an den irakischen Giftgaseinsätzen gegen die Kurden und dient auch die jetzt veröffentlichte angebliche Entdeckung der „riesigen“ Chemiewaffenfabrik in Libyen.

Doch genauso wie die Giftgasfabriken im irakischen Samara existieren und mit deutscher Hilfe gebaut wurden, kann auch in Libyen eine entsprechende Anlage gebaut worden sein. Es ist kaum zu bestreiten, daß Gaddafi Interesse an entsprechenden Waffen hätte, genauso wie ernstlich nicht in Zweifel gezogen werden kann, daß bundesdeutsche Unternehmen gegen entsprechenden Cash willens und in der Lage wären, Gaddafi zu liefern, was sie Saddam Hussein nicht vorenthalten haben. Moralische Bedenken wären wohl das letzte, was gegen diese Annahme spräche.

Wie immer die Wahrheit tatsächlich aussieht: Die tatsächliche oder aber auch von den USA inszenierte Krise wird für die jetzt in Paris anstehenden Verhandlungen zur weltweiten C-Waffen-Ächtung Konsequenzen haben. Die Bundesrepublik und andere europäische Staaten, bislang zumindest verbal Vorreiter für das weltweite Produktionsverbot chemischer Waffen, werden sich mit US -Forderungen konfrontiert sehen, die ihnen Vorführen, daß ein solches Abkommen eine weltweit „gläserne“ Chemieindustrie voraussetzt. Das aber wollen weder die Amerikaner noch die Deutschen.

Selbst wenn die Anlage im libyschen Rabta ein Phantom sein sollte, wird sie ihren Zweck erreichen: Die US-C-Waffen -Strategie erscheint als die einzig realisierbare Variante.

Jürgen Gottschlich

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