: US-Angriff auf Rabta noch möglich
■ Der US-Flottenverband im Mittelmeer wird verstärkt / Präsident Reagan soll sich gegen militärischen Schlag gegen angebliche Chemiewaffen-Fabrik in Rabta ausgesprochen haben / Weltweite Kritik am Abschuß der MiG-Jäger und Befürchtungen über Eskalation
Washington/Tripolis (afp/dpa/taz) - Heftige Auseinandersetzungen über den Fortgang der Diskussion über „militärische Optionen“ gegen Libyen scheinen derzeit das Bild hinter den Kulissen in Washington zu bestimmen. Während die in Paris erscheinende amerikanische Tageszeitung 'International Herald Tribune‘ gestern meldete, die USA seien dabei, „Seestreitkräfte mit maximaler Feuerkraft“ vor der Küste Libyens zusammenzuziehen, will die 'Washington Post‘ in Erfahrung gebracht haben, daß Präsident Reagan sich im privaten Kreis gegen einen militärischen Vernichtungsschlag auf die vermeintliche Chemiewaffenfabrik in Rabta geäußert hat. Die Zeitung berichtete, Reagan fürchte international ablehnende Reaktionen, sollten US -Marine oder Luftwaffe die Anlage in Libyen angreifen.
Einigigkeit herrscht in der US-Administration aber offenbar darüber, daß in jedem Fall erst einmal der Ablauf der am Samstag in Paris beginnenden internationalen Konferenz zur weltweiten Ächtung chemischer Waffen abgewartet werden soll. US-Außenminister Shultz wird in Paris versuchen, alle Verbündeten auf eine Linie festzulegen, weitere Proliferation chemischer Waffen zu verhindern und die „stärkstmöglichen Maßnahmen, die im Fortsetzung auf Seite 2
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Falle eines künftigen C-Waffen Einsatzes ergriffen werden können“, zur Diskussion zu stellen.
Nach dem Bericht der „Herald Tribune“ (IHT) ist denkbar, daß die USA im Falle eines völligen Mißerfolgs in Paris nach wie vor einen Angriff planen. Nach Angaben der Zeitung wird der amerikanische Marineverband nach der Pariser Konferenz am kommenden Mittwoch im Mittelmeer komplett sein und fast die gesamte 6. US-Flotte umfassen. Dazu werden Kriegsschiffe wie die „Leyte Gulf“ gehören, die gewöhnlich von U-Booten begleitet werden und über Raketen verfügen, mit den das vermeintliche Chemiewerk zerstört werden könnte. Ein Angriff von festen Basen wie im April 1986 von Großbritannien aus sei diesmal nicht geplant, da Komplikationen
mit den NATO-Verbündeten befürchtet würden.
Als Ursache für den Abschuß der libyschen MiG-Jäger am Mittwoch verweist die „IHT“ auf Quellen in Libyen, nach denen dort wegen des befürchteten US-Angriffs wachsende Nervosität herrsche. Deshalb hätten die MiGs die Amerikaner herausgefordert. Gaddafi bleibt bei der Version, seine Flugzeuge seien im Rahmen eines Kontrollfluges angegriffen worden.
Libyen erneuerte unterdessen seine Drohung gegen die USA, die „Herausforderung mit einer Herausforderung zu beantworten“. Der Abschuß der beiden libyschen Maschinen wurde im arabischen Lager einhellig als Aggression gegen das „libysche Bruderland“ verurteilt. Als einziges Nahost-Land stellte sich Israel hinter die USA.
Die Sowjetunion reagiert „mit Empörung“ auf den Abschuß der libyschen Kampflugzeuge. „Es entsteht
die Gefahr einer neuen Konfliktsituation“, sagte der Sprecher des sowjetischen Außenministeriums, Gennadi Gerassimow, gestern in Moskau. Er bezeichnete die „Eskalation der anti-lybischen Kampagne Washingtons“ als „politisches Abenteurertum und Staatsterrorismus, was zu ernsten Folgen führen kann“.
Die Bundesregierung wollte das Luftgefecht über dem Mittelmeer zunächst nicht kommentieren. Die Europäische Gemeinschaft werde am Nachmittag eine gemeinsame Stellungnahme abgeben, hieß es dazu in Bonn. Die SPD bedauerte den Abschuß der beiden libyschen Maschinen und äußerte die Hoffnung, daß der Zwischenfall keine Eskalation der Gewalt nach sich ziehen werde. Die außenpolitische Sprecherin der FDP, Hildegard Hamm-Brücher, sprach sich für eine europäische Vermittlung zwischen den USA und Libyen aus.
Bundesaußenminister Genscher hat einen direkten Vorstoß in Richtung internationale Kontrolle bei dem libyschen Staatschef Muammar Gaddafi unternommen, erklärte der stellvertretende Sprecher des Auswärtigen Amtes in Bonn, Hanns-H. Schumacher. Der Botschafter der Bundesrepublik in Tripolis, Jürgen Hellner, war am Dienstag und auch gestern von Gaddafi zu Unterredungen empfangen worden. Der Bundesaußenminister wollte wissen, wie sich Gaddafi zu einer internationalen Kontrolle der in Frage stehenden chemischen Fabrik in Rabta stellen würde.
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