KUNSTWIDERSTAND

■ Bruno Voigts „Widerstandskunst“ in der Ago Galerie

„Soldaten sind Mörder“ heißt es und gleich wird Tucholski zitiert und es werden Prozesse geführt, weil es den Handwerksmeistern dieser Berufsgattung nicht schmeckt, wenn ihnen in die Suppe gespuckt wird.

Ein gänzlich unbekannter Künstler, Bruno Voigt, 1912 geboren, kommt in seiner Auseinandersetzung mit dem Thema zur gleichen Schlußfolgerung wie eigentlich jeder nachdenkliche Mensch, der nicht gerade daran verdient.

Bruno Voigts Bilder aus den Jahren 1929 bis 1947 werden beherrscht von der Situation, in die er hineingelebt wurde. Schon vor 1933 malte er Bilder, die beseelt sind von jugendlichem Haß auf die kommende Zeit. Er war einer, der den Faschismus begriffen hatte, bevor er salonfähig und von fast allen sogenannten DeutschInnen angenommen wurde. Und wenn man durch die Galerie geht und erstaunt feststellt, daß in vielen seiner Bilder G. Grosz und John Heartfield oder Schlichter durchscheinen, dann erfährt man aus dem Katalog, der nahezu das geniale Beispiel der Rezeption eines Künstlerschaffens bildet, daß dieser Mann so uneitel ist zu sagen, daß das wohl an der Zeit gelegen habe, daß das Thema und seine Bewältigung in der Luft lagen und viele gleichzeitig zu ähnlichen Vorstellungen kamen.

Bruno Voigt, leider muß man sagen war, denn er ist im letzten Jahr, kurz bevor die Ausstellung eröffnet wurde, gestorben, einer dieser Menschen, die die besondere Gabe hatten, in die Zukunft zu sehen können, wobei ihm vor Angst die Beine schlotterten.

Wenn man ihn richtig versteht, könnte man gewiß auch sagen, er habe seine Bilder aus dem Bauch heraus gemalt, doch würden das wieder einige in den falschen Hals bekommen. Er hat mit Wut im Bauch gemalt und Geschichten erzählt in Bildern von Menschen, die gekrochen sind, von machtgeilen Beamtenärschen und von den kleinen Leuten, die sich der Macht bedient haben und die die Macht bedient haben. Er hat sie selten gefunden, die Helden. Die namenlosen Widerstandskämpfer, von denen er einer war und deshalb kommen sie in seinen Bildern so gut wie nie vor. Er war ein realistischer sozialistischer Künstler, der mit sozialistischem Realismus nichts am Hut hatte. Er war antifaschistischer Künstler und Kommunist, weil er sonst keine Alternative sah und hatte. Er war radikaler Antiklerikaler, weil er gelernt hatte, wie Religion Menschen zum Wohle Gottes über die Klinge springen läßt.

Bruno Voigts Bilder sprechen eine deutliche Sprache, die überhaupt nicht dilettantisch ist, wenn man sie lange genug ansieht. Oberflächlich mögen sie naiv erscheinen, und tatsächlich sind seine frühen Bilder noch ungelenk vielleicht. Aber es ging ihm in Anbetracht der politischen Lage auch nicht um unbedingte künstlerische Qualität, die mehr oder weniger fast als Abfallprodukt seiner Beschäftigung mit dem Thema angesehen werden kann.

Bis zum Ende des Monats werden seine Bilder in der AGO Galerie, Meierottostr. 1, 1-15, am Fasanenplatz zu sehen sein. Anschließend könnten sie noch an einem der heutigen Zeit angemessenen Ort ausgestellt werden, wenn sich eine entsprechende Institution bei Wolfgang Thiede meldet.

Ansonsten sollte man sich auf jeden Fall den Katalog für 35Mark kaufen, in dem sich die Persönlichkeit Bruno Voigts in seinem Leben und seinen Werken im Interview aufblättert als wichtiges Stück Zeitgeschichte.

Wer besonders angespochen ist, dem steht es frei, eine von 70 Vorzugsausgaben mit einer kolorierten Original-Zeichnung für 350Mark zu erwerben.

Qpferdach

Die AGO Galerie hat geöffnet Mo-Fr 11-18.30, Sa 10-14 Uhr.

V: Mit dem Doppelblatt, das ist an sich eine technische Spielerei, das ist mit Farbe und Kleister aufeinandergedruckt. Den Kopf gibt es zweimal. Es ist ein bißchen ein Selbstportrait geworden. Das ist die persönliche Eitelkeit, daß ich mich selber dargestellt habe, aber ich habe das malen wollen, den Geist der Meuterei. Das ist der Mai gewesen, wissen Sie, immer noch zu glauben, das geht doch nicht, man muß sich doch wehren, hier muß doch was geschehen, hier muß doch geschrien oder gebrüllt werden, da muß doch was aufflammen. Das kann man doch einfach nicht hinnehmen, was natürlich eine Illusion war.

Und das habe ich hier dargestellt, diesen Schrei. Schrei nach einer Rebellion.

V: Ja, das ist eine Zeichnung, aquarelliert und die Empfindung, die ich zum ersten Mal hatte zur ersten Nazi -Demonstration. Der erste Mai ist ja ein Plagiat der Nazis von der Arbeiterbewegung, das übernahm man und nutzte es für seine Zwecke. Also, wie das Christentum Weihnachten übernommen hat, nur am Rande bemerkt. So am Straßenrand standen da drei, vier normale Leute und schauten sich diese fanatisierte Menge an. Dann entsteht in der Fantasie diese Darstellung. Diese Hunde, die sich begatten, das sind keine Menschen mehr. Schamlos auf offener Straße, Hunde im Mai, die sich da am Hintern riechen und bespringen. Leute, die sich in einem Rauschzustand befinden, einen Messias erwarten, und das Ganze durchdrungen von einer rüden Erotik, die ja übrigens bei den Nazis überall anklang, auch in den Kunstausstellungen. Es ist eine starke Erotik, die dazu führen sollte, daß recht viel Kinder gezeugt wurden. Man brauchte ja Soldaten und bereitete den Krieg vor.

Vor '33 begann das. Ja, das wollte ich damit darstellen, dieser völlig haltlose Wahnsinn, dem eine Kulturnation mit einer ungeheuren Tradition über Nacht verfällt. Es ist binnen Wochen geschehen, daß die Leute einfach verrückt wurden und auch bereit waren, andere zu denunzieren.

T: Verknäuelung.

V: ... und sich dann ballten, es gab kein Einzelindividuum mehr, es war ein Wille, ein Wille. Das war der Wille des Führers, und wie bei einer Bienenkönigin ballte sich dann das ganze heulende Volk. Also, man konnte sich überhaupt nicht mehr einzeln bewegen, das war nicht üblich. Aus jeder Straßenecke quoll Hitlerjugend mit Landsknechttrommeln, mit Fahnen, die man grüßen mußte. Abends Fackelzüge zu irgendwelchen lächerlichen Anlässen, Feuerwerk - schon um die Leute wahrscheinlich an Flak und Fliegerbomben zu gewöhnen. Also ein dauernder Tumult, eine dauernde Unruhe. Das Volk wurde dauernd bewegt und dauern zu einer Masse zusammengeschweißt und ihm ein Wille aufoktroyiert, und das soll mit dieser fantastischen Sache gezeigt werden. Das war meine Empfindung.

T: Jetzt kommt wieder ein härteres Blatt.

V: Ja, ich möchte dazu sagen, mein Vater, der machte mich immer aufmerksam auf die Kritzeleien von Kindern an Mauern und sagte, da sind oft ganz dolle Werke dabei, die bei irgendeiner Sache des Pudels Kern treffen. Und ich habe tatsächlich eine Zeichnung gesehen, 'ne Kinderkritzelei, wahrscheinlich von einem Jungen aus linker Familie: Hitler mit diesem Hakenkreuz als Geschlechtsteil. So eine obszöne Zeichnung. Er hing übrigens auf dieser Zeichnung am Galgen. Und dann habe ich das umgebaut in Hitler - der hat ja das Geschrei erhoben „Nationale Wiedergeburt“ und so weiter und habe ihn dann als Zeuger der nationalen Wiedergeburt, also mit Penis in vierfacher Ausfertigung als Hakenkreuz dargestellt, und diese Frauen teilweise mit Stahlhelm drumrum. Und ich möchte betonen, daß dieser ganze Faschismus in Deutschland was ausgesprochen Obszönes hatte. Wenn Sie genau sich die Dinge anschauen, auch die Kunst war darauf ausgerichtet, eine sehr starke erotische Welle zu bringen. Die Leute sollten Kinder zeugen. Neben den Verbrechen wurde eben auch eine starke erotische Welle direkt hochgespielt. Auch durch diese Massenaufmärsche und so weiter. Diese Tendenz des Ordinären war drin. Wissen Sie, zum Beispiel Weimar hatte eine Bordellgasse. Die Nutten erzählten uns dann in der Kneipe, daß sie ganz kaputt gewesen wären. Und da war dann eine Beamtentagung in SA-Uniform, und sie hätten dann jede pro Abend sechsunddreißig gemacht. Mit sechsunddreißig Männern da so einen kurzen Geschlechtsverkehr gehabt für drei Mark, oder was das damals gekostet hat - die stürzten sich in die Tagung, haben „Heil Hitler“ geschrieen, Referat angehört, stürzten zum Bier und dann in den Puff. Dieses ganze, dieses typische Kleinbürgertum, und so war auch diese Erotik. So stinkend und schmutzig. Dadurch ist mir dieses Blatt - es ist sehr unappetitlich, soll auch wirklich nicht ästhetisch sein dadurch ist das entstanden, um das mal darzustellen, dieses Obszöne, was in dieser ganzen Sache dort vorhanden war. Also, man hat ja dann Menschen züchten wollen aus SS-Leuten. Da wurden SS-Bräute gezüchtet in Schulen, die haben dann Puppen gewickelt und wie man ein Kind kriegt und all solche Dinge. Die sollten dann mit SS-Leuten verheiratet werden zur Menschenzucht. Und das wollte ich damit eben ausdrücken.

T: So ist das. Und das hier ist der feierliche Ausdruck davon. Gut, dann gehen wir auf den nächsten... Das ist jetzt der Spitzel. Die Bildidee, die hier auffällig ist, ist ja die, daß aus dem Knopfloch der Jacke des Spitzels nochmal ein Auge kommt, das ist irgendwie schlagend. Sehr schön. Ja, das unterstreicht irgendwie diese ganze Boshaftigkeit dieses Menschen noch. Das hat ja meinem Sohn auch gefallen, das überdimensionale Ohr, das hat er sofort nachgemacht.

V: Das ist ein schönes Ding. Übrigens, den Mann hat es gegeben. Der stand immer in Weimar am Bahnsteig, und ich machte mich auffällig. Da fuhr der „Führer“ nämlich durch, und der Bahnsteig war ohne Menschen, und ich hoffte, daß er mich festnehmen ließ. Ich mußte nämlich - ich war noch in Zivil - ich mußte nämlich am selbigen Tag nach Mühlhausen in die Kaserne. Es wäre herrlich gewesen, wenn ich erst mal eine Woche gesessen hätte, und die Kaserne hätte auf mich gewartet. Ist nicht gelungen. Der Mann jedenfalls, der kam dann nach Gotha, und ich war da bei K5 häufig zu Gast, weil ich Mitglied der Kreisleitung war. Und K5 war der Vorgänger, die Vorgängerin, vom Staatssicherheitsdienst, und die war in der Kreisleitung, die so Nazi-Verbrechen aufspürten.

T: Also, wann war das jetzt, 1947?

V: Das war... Ja, '47. Nein, '48, '48/'49. Und da kreuzte der jede Woche zweimal auf. Derselbe Mann. Ich sagte: „Wer ist das ?“ Sagte einer: „Ja, der hat die ganzen Brüder ans Messer geliefert, die noch nicht nach dem Westen sind. Der ist gut. Der war dabei, so ein ganz primitiver Eckensteher, und jetzt kommt er zu uns.“ Verstehen Sie, der war nicht Nazi, der war nicht SED, der war aus Prinzip Spitzel. Ja? Aus Prinzip ein Schwein. Das ist nicht politisch gefärbt, gar nicht politisch gefärbt. Das ist ein Fouche. Fouche hat ja die Spitzelpolizei erfunden, er hat ja jedem Herrn gedient. Revolution, Napoleon, dann dem letzten Bourbonen wieder, der hat jedem Herrn gedient.

T: Dem Ludwig XVIII. Das ist eine kleine, harmlose Figur, normalerweise, nicht? Aber weil er halt aus irgendeinem Grunde Verräter ist - weiß man auch nicht, warum; andere stehen herum in den Ecken und verraten nicht.

V: Ja, der hat'n Machtkomplex, sowas Zerstörerisches, und freut sich dann, wenn er unerkannt bleibt, aber jemand nachts abgeholt worden ist. Was Unangenehmes.

T: Hat es solche Leute, meinen Sie, in der Nazi-Zeit oft oder sehr viel gegeben?

V: Meistens, ja. Die hatten auch Vergünstigungen, waren kleine Beamte, die wurden dann zu Treppenterriern, latschten auf den Straßen rum, hingen in Kneipen, machten die Ohren auf und - der Anhang von diesen Leuten waren meist Frisöre, Kellner, die sie ausforschten. Und daraus rekrutierte sich ja dann die Geheime Staatspolizei.