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Der Heiner wollte nicht kommen

■ Stück in zwei Aufzügen

Gabriele Goettle Personen:

ein Dramatiker

eine Künstlerin

eine Autorin

Arbeitszimmer voller Bücher, Bilder und Möbel. Zusammengerückt stehen ein Feldbett, ein übergroßer blauer Sessel und eine Chaiselongue. In Erwartung des Gastes brennt eine Kerze. Ein kleines kaltes Buffet steht bereit, ebenso Whiskey, Wein, Gläser und Aschenbecher.

Herein Autorin und Dramatiker

Dramatiker: Sieht ja so eng aus bei euch.

Autorin: Ist auch eng.

Dramatiker: Aha... legt Tasche, Mantel und Jackett ab; nimmt Platz im blauen Sessel, die Beine übereinanderschlagend

Autorin: Und, was treibst du?

Dramatiker: Ach, hör auf! Das ist so eine Scheiße mit dem Theater...

Autorin: Warum hörst du denn nicht auf damit?

Dramatiker: Also ja, gut... aber ich habe mich nun mal drauf eingelassen - jetzt zum Beispiel ist wieder ein Schauspieler krank, das heißt Umbesetzungsproben und so weiter...

Autorin: Mach doch mal was anderes, du hast doch was anderes auch noch gelernt.

Dramatiker: lacht verhalten Nee, gelernt hab‘ ich nichts, ich war mal Hilfsbibliothekar, aber das war nur, um mich vor dem Uranbergbau zu drücken...

Autorin: Und was ist denn nun für deinen Geburtstag geplant, was werden da für Ehrungen niedergehen über dir?

Dramatiker: Ach du, furchtbar lacht, schenkt sich Whiskey ein Es ist nicht viel... es gibt eine Gratulation der Akademie. Man kann sowas auch ablehnen, nur, das nützt auch nichts, dann kommen sie in die Wohnung. Man steht eben zwei Stunden, dann hat man's hinter sich.

Autorin: Und im Westen?

Dramatiker: ... ich weiß nichts... vielleicht ist da gar nichts geplant.

Autorin: Was soll's denn auch? Was ist denn am 60sten besser als am 50sten...

Dramatiker: ... oder am 61sten ... Die Tür öffnet sich, herein die Künstlerin

Künstlerin: Hallo. Du schon wieder!

Dramatiker: Ich schon wieder...

Autorin: Es ist wirklich schrecklich, überall fällt man über dich! Unlängst zum Beispiel, wir wollten nur weg, weg, weg. Fahren also ins Elsaß, um eine Freundin zu besuchen. Nur war sie nicht da. Auf Umwegen sind wir dann doch endlich ins Haus reingekommen und finden in der Küche einen Kalender, auf dem steht für den bewußten Tag eingetragen: „Strasbourg, DER MANN IM FAHRSTUHL, 20 Uhr“. Ist das nicht ekelhaft?

Dramatiker: lacht Ja, das ist ekelhaft!

Autorin: Und dann kam sie am nächsten Tag, die ganze Wucht der Ereignisse noch im Nacken - übermüdet, weil sie nachts nicht schlafen konnte...

Dramatiker: Wegen Strasbourg?

Künstlerin: Natürlich wegen Strasbourg. Du hast Whiskey getrunken auf der Bühne, und, was besonders irritierte, du hattest braune Schuhe an...

Dramatiker: Volltrunken war ich aber nicht auf der Bühne... nur halb...nimmt eine Zigarre aus seinem Etui ... Und das mit den braunen Schuhen... die mußte ich mir am Flughafen kaufen, meine anderen waren kaputt, und sie hatten keine schwarzen. Das geht noch weiter: Wegen dieser Schuhe hab‘ ich mir dann in Moskau die Hand gebrochen. Es war so, das waren italienische Schuhe, die haben sich im Schnee dort gleich aufgelöst, damit bin ich dann hingefallen.Präpariert umständlich seine Zigarre, beleckt sie usw. Das war dann eine große Erfahrung, dort, im Ambulatorium für Ausländer... sie haben die Hand geröntgt und entdeckt, sie ist gebrochen. Eine Ärztin sagte mir, es sei eine kleine Fraktur. Als ich das nächste Mal dort war, war nur der Chefarzt da. Der sagte mir, es sei ein böser Bruch, und er versuchte mir dann beizubringen, alles in Englisch, das beste Rezept wäre...

Künstlerin: Schuhe wechseln!

Dramatiker: Nein: Quark. Jeden Tag 250 Gramm Quark essen. Und dann war ich wieder hier, nachdem der Gips ab war, wurde ich geröntgt, und sie haben verzweifelt einen Bruch gesucht und keinen gefunden. Es war also eine Verstauchung...

Künstlerin: Das war also die Geschichte der braunen Schuhe.

Dramatiker: raucht die Zigarre in tiefen Zügen an Ein tiefer Blick in mein Privatleben. Pause Braune Schuhe, ja... also ich werde das nächste Mal sorgfältig darauf achten...

Dramatiker: ... daß du immer braune Schuhe trägst...

Dramatiker: lacht Ich hab‘ mal blaue Schuhe gehabt, auch aus Italien, dunkelblaue... die waren einfach nur bequem. Ich wurde sofort in der U-Bahn in Ost-Berlin als „schwule Sau“ bezeichnet.

Künstlerin: Ich geh‘ jetzt rüber, arbeiten, ich muß noch zwölf Bildchen zeichnen heute nacht.

Dramatiker: Komm aber noch mal vorbei, sonst fällt uns nichts ein!

Dramatiker: Eben. Sie hat nämlich alles gelesen...

Künstlerin: Das stimmt doch gar nicht! Ich lese nur deine Prosa, die Theatersachen sind mir unerträglich!

Dramatiker: lacht Das ist doch schon mal was, das ist doch eine gute Voraussetzung.

Künstlerin: geht eilig ab

Autorin: Es ist ja nicht unbedingt nötig, daß wir über deine Stücke reden. Ich kenn‘ sie nicht, und du kennst sie auswendig, das ist langweilig genug...

Dramatiker: Überhaupt nicht, wir können auch über was anderes reden...schenkt sich nach, lautes Gluckern in die Stille hinein

Autorin: Überlassen wir es den Liebhabern und Interpreten... das einzige, was mich noch begeistern könnte, wäre Grand Guignol... oder Kasperle... ansonsten interessieren mich Theater nicht, man könnte sie alle schließen...

Dramatiker: Du nimmst jetzt den Standpunkt der Puritaner ein, die haben ja alle Theater geschlossen...

Autorin: Sie werden ja sowieso geschlossen, weil man Krebs kriegt...

Dramatiker: lacht Ich fand das auch sehr erfreulich.

Autorin: Noch erfreulicher wäre es, wenn man sie nicht schließen würde.

Dramatiker: kleine Pause Na, ich möchte nicht wissen, wieviel Asbest in unseren Theatern ist...

Autorin: Wer weiß... das ist ja ein Rohstoff...

Dramatiker: ... und der war vielleicht bei uns doch etwas knapp lacht

Autorin: Gesunde Knappheit...

Dramatiker: ... ist die Chance der Unterentwicklung! Das ist auch immer so schön, wenn ich Westbesuch kriege. Die kaufen dann in der Markthalle Mohrrüben und freun sich, daß die so dreckig sind... glauben, daß man die noch essen kann...

Autorin: Die sind natürlich genauso giftig wie hier, wenn nicht giftiger...

Dramatiker: Genau, die freun sich über jeden Dreck!

Autorin: Jedenfalls hier... ist der Theaterbesuch sowohl unnütz als auch ungesund, aber du glaubst es ja nicht...

Dramatiker: lacht Du, ich kann das einfach öffentlich nicht bestätigen, ohne meine Einnahmen zu schädigen.

Autorin: Da irrst du dich... du kannst ja unterdessen sagen, was du willst, es wird auf jeden Fall tiefsinnig interpretiert. Nur keine Hemmungen!

Dramatiker: Nee, hab‘ ich gar nicht lacht ... ich hab‘ einfach den Moment verpaßt, wo ich hätte anfangen müssen zu schweigen...

Autorin: Der Beckett hat das schlauer gemacht...

Dramatiker: Nur, das nutzt ihm auch nichts. Wenn man sieht, was mit Beckett gemacht wird im Theater... es ist furchtbar!

Autorin: Und was er selbst macht, ist, glaub‘ ich, nicht weniger furchtbar...

Dramatiker: Das ist auch furchtbar! Ja... ja... leider wobei das einen Grund hat. Er hat ja angefangen zu inszenieren in Deutschland. Da ist er irgendwie, vielleicht aufgrund von Sprachschwierigkeiten, in den deutschen Tiefsinn gesunken. Die Stücke sind ja alle sehr lustig und komisch... wenn man sie so macht, sind sie sehr schön, jedenfalls die ersten. In der Bundesrepublik ist eigentlich sein Weltruhm erst entstanden und zwar dadurch, daß man ihm den deutschen Tiefsinn übergestülpt hat. Das hat er nie so gemeint... nachher hat's ihm dann gefallen so...

Autorin: Das ist vielleicht eine Gefahr, der du auch nicht wirst entgehen können.

Dramatiker: ... auch ein Grund dafür, weshalb ich meine Sachen jetzt selbst inszeniere, die Stücke werden viel einfacher...

Autorin: Selbst zu inszenieren gilt ja als sehr unfein.

Dramatiker: Ja... ja, man liest im allgemeinen, wenn der Autor seine eigenen Stücke inszeniert hat, daß er lieber beim Schreiben hätte bleiben sollen. Das stimmt sicher in vielen Fällen... ich krieg‘ ja die Lust nur lacht wenn ich andere Inszenierungen sehe.

Autorin: Sag mal... was anderes... jetzt wird du ja 60, bist auf dem Zenit und abgesichert bis ins hohe Alter... das möglicherweise kommt oder auch nicht... rührt sich da noch was?

Dramatiker: lacht nervös Du, was meinste denn jetzt...?

Autorin: Na ja, das feimt ja alles sehr ab, das Alter und der Erfolg!

Dramatiker: ... weiß ich nicht... es ist doch so, das Schreiben wird ja nicht leichter, es wird eher schwerer. Erst mal... es hat keinen Sinn, wenn man nicht immer wieder etwas macht, was man doch nicht kann... oder etwas versucht zu machen, was man nicht kann. Wenn ich aber sage, ich hab‘ das und das geschrieben, das kann ich, also mach‘ ich das noch mal - das ist so ein Zwang, dem hier viele erliegen, weil sie ihren Standard halten müssen und dem Marktzwang unterworfen sind - das hat gar keinen Sinn. Anders ist es, wenn ich meine Hauptexistenz in der DDR absolviere, dann gibt es diesen Zwang nicht. Und es ist eigentlich immer so, wenn ich was Neues anfange, daß ich dann vollkommen an mir zweifle. Immer gibt es einen Punkt, wo ich überzeugt bin, daß ich's nicht kann. Und es ist überhaupt nicht so, daß der Erolg eine Sicherheit gibt. Er beruht ja auf einem Mißverständnis...

Autorin: Er müßte ja viel unsicherer machen als man es ohnehin schon ist...

Dramatiker: Eben! Das meine ich... ich war mit 25 viel sicherer als ich es jetzt bin. Und die Krisen, in die man kommt, wenn man nicht weiterkommt mit einer Sache... es gibt so einen religiösen Wahn im Hinterkopf, daß ich, wenn ich einen Plan habe, ihn auch ausführen kann... aber bei der Arbeit entstehen Situationen, wo dieser Glaube nicht mehr ausreicht, wo ich dann von totalen Zweifeln überfallen werde an mir oder an meiner Fähigkeit, es zu machen...

Autorin: Und wie vergewisserst du dich dann, ob diese Zweifel gerechtfertigt sind oder nicht?

Dramatiker: Das ist ganz simpel... das ist, wie mit dem Kopf gegen die Wand rennen, so lange bis sie ein Loch hat... das ist die einzige Methode. Aber ich habe noch nie erlebt, daß es durch Analyse, durch reines Denken gelöst werden kann, dieses Problem. Es geht nur mit der blinden Praxis des Gegen -die-Wand-Rennens... bis die Wand durch ist... - und noch ein anderes Problem ist, was durch Erfolg natürlich verloren geht, das ist die Isolation, die ist schwer herzustellen.

Autorin: Aber die ist ja nicht nur räumlich und zeitlich, sondern auch materiell...

Dramatiker: Nee, das ist kein Problem...

Autorin: Aber eine Isolation, die du als Isolation fühlen kannst, müßte ja eine sein, in der du schreibst, weil du aus ihr raus willst. Das ist ja ganz was anderes als eine, in die du dich zurückflüchten willst... mit allen Sicherheiten, die du hast.

Dramatiker: Letztlich geht's doch darum, was ich gerne mal hätte, das Gefühl, blind zu schreiben... einfach drauf los ohne den Gedanken an das Produkt... aber das muß ich einfach üben!

Autorin: Wie willst du das üben? Du kannst es ja nur üben, wenn du dich täuschst...

Dramatiker: Nicht unbedingt...

Autorin: Du mußt dich ja ohnehin über vieles täuschen, wenn du schreibst, im Grunde bist du ein Produzent von Abendunterhaltung...

Dramatiker: Na ja klar... ich hab‘ zum Beispiel einen Traum, der regelmäßig wiederkehrt: Ich träume von einer Wohnung, in der ich lebe, und dort entdecke ich plötzlich Zimmer, die ich noch nicht kannte...

Autorin: Kenne ich...

Dramatiker: ... und genau so träume ich manchmal, daß ich noch irgendwo Manuskripte habe in einer Schublade, niemand kennt sie lacht ... und wie schafft man das? Das ist eigentlich ein moralisches Problem zu schreiben, ohne es nötig zu haben.

Autorin: Der Aufgabe wirst du sicherlich nicht gewachsen sein... du müßtest ja irgendwas anderes dafür umstoßen, müßtest vielleicht für ein Jahr verschwinden... auf die Gefahr hin, daß du es immer noch weißt, daß du in dieser Zeit Werke produzierst, weil ein Markt wartet... oder auch nicht...

Dramatiker: Das muß ich doch keinem erzählen...

Autorin: Es reicht ja, wenn du's weißt... oder aber du hättest die große Chance - denn der Kulturbetrieb ist ja sehr untreu - daß du nach einem Jahr...

Dramatiker: ... daß ich dann weg bin vom Fenster... das wäre eine Chance...

Autorin: ... für die Isolation...

Dramatiker: Aber da glaub‘ ich nicht dran, das muß ich schon selbst organisieren. Ich hab‘ zum Beispiel schon überlegt, ob ich nicht mal was ganz Dummes schreiben soll, einfach um der Welt zu beweisen, daß da nichts mehr kommt... nichts mehr Wesentliches...

Autorin: So... jetzt bitte etwas Selbstzerfleischung! Wie isses denn nun mit dem Alter... und dem Sexleben? lacht gekünstelt

Dramatiker: kichernd zuerst, dann stockend ... mit dem Alter... ja du... ich hab‘ da leider keine Probleme mit dem Alter... wirklich nicht, sechzig ist doch kein Alter, ist doch lächerlich!

Autorin: Erinnere dich mal daran, was du mit zwanzig von einem Sechzigjährigen gedacht hast!

Dramatiker: Du, ich erinnere mich doch gar nicht an die Zeit, wo ich 20 war. Ich weiß nur, wenn ich Fotos von mir sehe - was ja jetzt oft unvermeidlich ist -, dann sehe ich viel älter darauf aus, als ich mir jetzt vorkomme. Ich war, glaub‘ ich, ein absoluter Spätentwickler... aber das sind wohl Männer sowieso. Frauen sind ja viel älter als Männer. Von Anfang an. Ehe ein Mann begreift, wozu er da ist, da hat es die Frau schon wieder vergessen...

Autorin: Wozu er da ist...

Dramatiker:kichert Oder wozu sie da ist. Pause Du, aber entschuldige, da kann ich wirklich nichts dazu sagen, weil ich damit keine Probleme habe.

Autorin: Nein? Aber das Gewebe macht das ja nicht einfach mit...

Dramatiker: Welches Gewebe?

Autorin: Das fleischliche.

Dramatiker: Das einzige Problem, das ich habe, ist, eh... ausgiebiges Räuspern ...daß meine... meine sexuellen Bedürfnisse meine Befriedigungsmöglichkeiten Räuspern ...übersteigen. Das andere Problem... das ist eines, das hat mit dem Alter nichts zu tun... ist, daß es mir zunehmend schwerfällt, sexuelle Beziehungen länger als ein, zwei Tage aufrechtzuerhalten... das ist ein Problem.

Autorin:freudig Ja?

Dramatiker: Weil ich da neuerdings sehr empfindlich bin gegen die... eh... gegen den Aspekt... wie soll ich denn sagen... also wenn eine Frau ein Objekt wird, das ist mir unangenehm!

Autorin: Und das möchtest du vorbeugend vermeiden. Nach zwei Tagen passiert das bereits?

Dramatiker: Nach zwei Tagen passiert das...

Autorin: Da stimmt aber was nicht...

Dramatiker: Du, das ist ganz simpel, schenkt sich nach ...ich bin verliebt, aber in eine Frau, die ich nur sehr selten sehe, und daraus entsteht das. Es hat aber nichts mit dem Alter zu tun, das hatte ich schon immer.

Autorin: Und dann sublimierst du tüchtig?

Dramatiker: Na, ich glaub‘ nicht sehr...

Autorin: Das hat man früher so gemacht.

Dramatiker: Nee, zum Alter hab‘ ich gar keine Beziehung Pause ...zum Beispiel wenn mich Kinder grüßen mit dieser Haltung, die man Erwachsenen gegenüber annimmt, dann wundere ich mich immer drüber, daß sie mich für erwachsen halten... es ist 'ne Irritation, und das hört vielleicht erst auf, wenn ich am Stock gehe...

Autorin: Was hört dann auf?

Dramatiker: Die Irritation über die grüßenden Kinder...

Autorin: Dann fängt die Irritation erst an...

Beide lachen heftig

Dramatiker: Zum Alter fällt mir wirklich nichts ein.

Autorin: Dazu wird dir ja schon deshalb was einfallen müssen, weil die Zeit knapper wird.

Dramatiker: Du, das ist ganz simpel. Es gibt so eine Art Plan lacht leise ...welche Sachen ich noch schreibe...

Autorin: Planwirtschaftliche Spätwerke?

Dramatiker: Nee, nee... und das hat auch wieder nichts mit dem Alter zu tun, denn die Pläne sind 20 oder 30 Jahre alt, sogar 40 zum Teil... und das muß abgearbeitet werden!

Autorin: Ohne Rücksicht aufs Gewebe...

Dramatiker: kichert triumphierend ...ohne jede Rücksicht! Da gibt es vier oder fünf Inszenierungen, die ich noch machen will - ich will ja nicht hauptberuflich inszenieren - und dann will ich noch sieben Stücke schreiben, das ist so mein Plan, und danach kann ich mich dann zur Ruhe setzen, falls noch Zeit ist...

Autorin: Wieviel Stücke hast du denn bis jetzt geschrieben?

Dramatiker: Keine Ahnung... ich weiß es wirklich nicht. Es ist auch fast unredlich, sie zu zählen, weil lacht ...manche sind nur eine Seite lang, manche 30, andere neun Seiten oder auch 120...

Autorin: Also willst du in den nächsten... sagen wir mal: 20 Jahren mehr machen, als du in den vergangenen 40 Jahren gemacht hast?

Dramatiker: Na, das auf jeden Fall! Aber der simpelste Grund ist - aber das glaubt mir ja wieder keiner - daß ich das Schreiben als Schlafmittel brauche. Vielleicht ist das mein einziges Alterssymptom überhaupt, daß das Einschlafen manchmal zum Problem wird... also dann, wenn ich alleine schlafe... dann ist es so... wenn ich gerade an einer Sache arbeite und mir die letzten zehn oder 20 Zeilen aufsage im Bett, dann schlafe ich sofort ein... II

Herein die Künstlerin, begleitet von zwei größeren Hunden. Diese stürzen sich empört auf den Dramatiker, der sie amüsiert, mit sanfter Stimme und freundlichen Gebärden abwehrt.

Künstlerin: läßt sich aufseufzend aufs Feldbett nieder und schenkt sich Rotwein ein Wir waren leider außerstande, sie zu erziehen, wir mußten immer viel zu viel lachen.

Dramatiker: Guterzogene Hunde sind fast schlimmer als unerzogene Kinder er ißt etwas vom kalten Braten, flankiert von beiden Hunden, und wirft ihnen ab und an kräftige Stücke zu ...So, genug! und zur Künstlerin gewandt ...fertig?

Künstlerin: Nicht die Spur... ihr müßt aufpassen! Ich darf jetzt nicht so viel Wein trinken, wenn ich nachher noch arbeiten soll. Und ihr?

Autorin: Er ist unheimlich widerborstig...

Künstlerin: So isses recht!

Dramatiker: Du, wieso widerborstig?

Autorin: Er hat kein Problem mit dem Alter, keines mit dem Erfolg...

Dramatiker: Nee, hab‘ ich auch nicht...

Autorin: ... kein Problem mit dem Publikum und auch keinen Streß mit dem dauernden Herumfahren... im Gegenteil...

Dramatiker: ...es ist ja auch keiner!

Künstlerin: Ja, für wen denn...

Dramatiker: Was soll daran Streß sein?

Künstlerin: Bist du so altmodisch oder so fortschrittlich?

Dramatiker: Vielleicht bin ich so altmodisch...

Autorin: Er ist so altmodisch, daß er sich mit den Fortschrittlichsten schon wieder trifft...

Künstlerin: Drüben hab‘ ich ein arabisches Sprichwort aufgehängt, das geht so: „Die Seele reist mit der Geschwindigkeit eines trottenden Kamels“, was reist denn bei dir mit welcher Geschwindigkeit?

Dramatiker: Vielleicht lacht ...lasse ich meine Seele zu Hause, wenn ich reise...

Künstlerin: Und womit reist du dann?

Autorin:genüßlich ...mit diesem Herzen da... dem reinen... das man auf jeden Boden legen kann.

Dramatiker: Nee, nee... mit 'ner möglichst leichten Reisetasche. Was ich am Reisen hasse, ist Gepäck.

Künstlerin: Ja, ja, die Schwerkraft.

Autorin: Und du selbst wirst ja eh transportiert.

Dramatiker: Genau, ja... sonst wär's etwas schwierig Pause, schenkt sich nach ...Und dann gibt's noch ein Problem mit dem Reisen: Zum Beispiel in Wien - ich war letztens zehn Tage in Wien wegen dem Bühnenbild für die nächste Sache - da mußte ich noch irgendeinen Text zu Ende schreiben. Es gab keinen Menschen in Wien, der für mich eine mechanische Schreibmaschine gehabt hätte. Auf den elektrischen kann ich nicht schreiben, ich hab‘ ein halbes Stück damit geschrieben - früher mal - ich glaub‘, das merkt man auch.

Künstlerin: Wenn du wieder mal in Wien eine Schreibmaschine suchen solltest, in der Postsparkasse von Otto Wagner stehen lauter mechanische Schreibmaschinen, da kann man wunderbar in Ruhe...

Dramatiker: ... da kann man hingehen und schreiben?

Künstlerin: Ja, ja, da gehen die Rentner hin und schreiben ihre Beschwerden ans Amt.

Autorin: Das ist doch der ideale Arbeitsplatz für einen Stückeschreiber...

Dramatiker: Ich werd's mir überlegen... Wien hab‘ ich überhaupt gern, da passieren die schönsten Sachen. Letztens wurde berichtet von einem jüngeren Bauernpaar zum Beispiel. Die saßen vor Gericht. Beide hatten keine Daumen mehr lacht ...weil sie die für die Versicherung abgeschnitten hatten.

Künstlerin: Wobei?

Autorin: Für die Versicherung...

Dramatiker: Und jeder hatte 500.000 Schilling erhalten, für den Daumen. Das war nur irgendwie aufgefallen, weil lacht ...erst mal beide... und ihr Gehöft war auch schon dreimal abgebrannt, und dafür hatten sie lacht sehr ... jedesmal acht Millionen Schilling...

Autorin: Schwer zu erklären, wie bei beiden die Daumen abgehen können auf einen Sitz, bei welcher Tätigkeit...

Künstlerin: Beim Futterschneiden. Der eine zieht, der andere schiebt. Hier gibt's bestimmt auch solche Sachen, nur stehen sie vielelicht nicht so schön in der Zeitung.

Dramatiker: Aber in Österreich... das hat mir mal jemand erklärt, warum dort die meisten Morde und so weiter zu Hause passieren in der Familie - der sagte, das liegt einfach nur daran, daß sie zu faul sind, aus dem Haus zu gehen. Allerdings, bei uns gibt's auch Ähnliches... meine Lieblingsgeschichte - ich habe sie von einem Arzt, denn es war auch sein Lieblingsfall - ist so vor acht oder zehn Jahren passiert in der DDR. Ein Mann sieht ein Fußballspiel, und ab und zu kommt seine Frau aus der Küche und sagt: „Wennste mir jetzt nicht zuhörst, schneid ick mir uff!“ Der Mann sieht immer weiter sein Fußballspiel, bis er nach einer Weile gestört wird durch die Feuerwehr. Das Haus wurde gerade renoviert, an der Fassade war ein Baugerüst, dort hatte sich die Frau irgendwie aufgehängt - menschliche Därme sind ja sehr haltbar. Die Feuerwehr arbeitete nun fleißig dran, sie lebend abzupflücken. Das gelang. Sie kam ins Krankenhaus, und der damals berühmteste Chirurg der DDR operierte sie erfolgreich. Jetzt sitzen sie beide vor dem Fernseher...

Künstlerin: Der Chirurg und die Frau?

Dramatiker: Nein lacht ...sie und ihr Mann, ein absolutes Happy-End...

Autorin: Jetzt hab‘ ich mal eine Frage, was heißt denn genau „eiverbibscht“?

Dramatiker: Ei verbibscht? lacht... das sagt man dann, wenn zum Beispiel eine sächsische Hausfrau mit einer Schüssel... mit einem ungeheuren Festmahl... die Stube betritt, der Hund läuft ihr zwischen die Beine, und sie läßt die Schüssel fallen. Dann sagt sie ei verbibscht!

Autorin: Dann auch noch? Denn so was ist doch ein schreckliches Unglück?

Dramatiker: Ja, aber die Sachsen reagieren so...

Künstlerin: So isser, der Sachs.

Dramatiker: Die Sachsen sind überhaupt sehr komisch. Kennt ihr das mit der Pietät? Das ist Leipziger Sächsisch, Golis, und das geht so: das Folgende ist in Sächsisch zu sprechen: „Ich komme von der Pietät, ich bring‘ ein Brett. Die andern Pietäter, mit den andern Brettern, kommen später. Und morgen kommt auch noch so'n Arsch, der bringt den Deckel von dem Sarch.“

Anzügliches Lachen der Damen

Künstlerin: Hat er denn schon von Brasilien erzählt?

Autorin: Nichts, nichts hat er erzählt...

Dramatiker: Von Reisen erzähl‘ ich doch nie was. Ich weiß auch nicht, warum. Ich hab‘ auch nie das Bedürfnis, darüber zu schreiben...

Autorin: Erzähl trotzdem. Warst du im Elendsviertel?

Dramatiker: lacht gequält War ich natürlich auch, ja...

Autorin: Und wie war's? Schön elend?

Dramatiker: Das Wesentliche am Elend, das wir ausführlich besichtigt haben, war ein junger Bäcker aus Deutschland. Das war in Sao Paulo. Der machte dort 20 Brotsorten...

Künstlerin: Im Elendsviertel?

Dramatiker: Mitten im Elend. Das war dann aber auch alles, was sie hatten. Er war von irgend so einer Entwicklungshilfeorganisation und mußte dort sechs Monate arbeiten, danach konnte er sechs Monate im Land herumreisen. Da hat er eben sechs Monate lang Brot gebacken. Der konnte 20 Sorten und machte 20 Sorten.

Autorin: Und was hast du noch gesehen?

Dramatiker: Das Wesentliche war eigentlich... aber das ist zu banal!

Künstlerin: Keine Angst vor dem Banalen!

Dramatiker: Es ist so blöd. Na gut... das war in Rio de Janeiro, wo ich fast krepiert bin, und da kommen wir auf das Alter zurück. Diese höchste Erhebung, mit dem kitschigen Jesus oben - ich weiß nicht, wie der Berg heißt - hat jedenfalls sadistischerweise 365 Stufen, die man erklimmen muß...

Künstlerin: Und was war's? Das Herz, die Lunge?

Dramatiker: Ich weiß nicht, was es war. Jedenfalls auf Stufe 245 dachte ich, jetzt ist es zu Ende mit mir...

Künstlerin: Was für ein Tod! Auf dem Weg zum Erlöser... so hoch oben...

Dramatiker: Nee, nee, da war Gott sei Dank eine Kneipe. Wir haben ausgeruht, erst mal was getrunken, und dann war ich oben. Aber der Blick von dort war... das lohnt schon einen frühen Tod. Sowas ist mir noch nie passiert, entschuldige, das klingt jetzt vollkommen romantisch, aber ich erzähl's trotzdem. Wenn du da oben stehst, und es wird gerade Abend lacht ...ein besonders schöner Sonnenuntergang... dann ist dieser Rundblick so wahnsinnig, weil er aussieht wie eine Kunstausstellung. Das fängt an bei Altdorfer und geht bis zu Turner, völlig wahnwitzig. Ich habe nie vorher so eine Empfindung gehabt, ein Bild essen zu wollen, also eine Gier auf ein Bild... und die Verbindung dieser zwei Sinne habe ich nie so erlebt vorher...

Autorin: Das ist gemein...

Dramatiker: Nee, ist nicht gemein, ich hab's genossen!

Autorin: Eben nicht, es läßt sich ja beim besten Willen nicht einverleiben.

Dramatiker: Da ist was dran... es geht nicht... es hat auch was Schmerzliches, das Unvermögen. Das andere war der Amazonas...

Autorin: Den hast du auch gesehen? Ekelhaft!

Dramatiker: Das Schöne am Amazonas ist erst mal lacht ...die Vereinigung mit dem Rio Negro. Der eine ist schwarz, glaub‘ ich, der andere braun, und ein paar Kilometer lang fließen sie noch zusammen, getrennt in schwarz und braun. Das ist aber nicht das Wesentliche, schlimm ist der furchtbare Kontrast, also Manao, diese Stadt... Herzog und so weiter... Das ist das Fürchterlichste, was ich an Stadt je gesehen habe, völlig verkommen und kaputt. Es ist nicht auszuhalten. Und am Amazonas zeigen sie dann ein paar Indianer... man kann darüber nicht reden. Ich kann darüber nicht reden...

Künstlerin: Jedenfalls fliegst du dann nach Hause und hast keine Probleme damit...

Dramatiker: Damit, daß ich da gewesen bin?

Künstlerin: Angeblich. Warst du wirklich dort, wenn du daheim bist?

Dramatiker: Das ist die Frage...

Künstlerin: ... oder bist du wirklich daheim, wenn du daheim bist?

Dramatiker: Nee, was soll ich da für Probleme haben?

Autorin: Wir haben damit Probleme...

Künstlerin: ... auch wenn wir nicht das Haus verlassen.

Dramatiker: Was denn für Probleme?

Künstlerin: Keine wirklichen lacht.

Autorin: Von wem ist dieser Satz schnell „Mein Gott...“, von Horvath?

Künstlerin: Nix mein Gott, „Herrgott, ich möchte leben, wie ich lebe“...

Autorin: Das ist es. Wir sind immer hoffnungslos daneben, nicht dabei...

Künstlerin: Aber er ist ja so kühn und spricht von seiner eigentlichen Existenz

Dramatiker: Von welcher Existenz?

Künstlerin: Tausendmal zitiert! Und als du im Mai hier gewesen bist, hast du dich sogar selbst zitiert, das Schlimmste, was man machen kann...

Dramatiker: kichernd Wen soll ich denn sonst zitieren?

Künstlerin: Du hast gesagt: „Meine eigentliche Existenz ist im Schreiben.“ lacht

Dramatiker: Stimmt, ja...

Künstlerin: Du schreibst ja nie! Bist dauernd in Brasilien...

Autorin: Das sagt er angesichts des Rundblicks, aus vollem Herzen...

Dramatiker: Hab ich das in Brasilien gesagt? Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.

Künstlerin: Woher soll ich es wissen?

Dramatiker: nach längerem Schweigen ...Na, was du meinst, ist doch eigentlich, daß ich, wenn ich auf diesem komischen Berg stehe, Rio sehe und das Bedürfnis habe, diese Landschaft zu verschlingen, dann dran denken muß... an die zwölf Millionen DDR-Bürger, die das nicht sehen können...

Enorme Heiterkeit der Damen

Autorin: Absurde Idee... ein vollkommenes Mißverständnis...

Dramatiker: Das meint ihr nicht? Denn das kann ich nicht... das hab‘ ich mal beschrieben. Das meine ich... aber das kann ich nicht mehr!

Künstlerin: Das würde ich als DDR-Bürger auch verurteilen, wenn die Privilegierten dann auch noch rumtranen im Ausland...

Dramatiker: Das wäre das Letzte, ja...

Künstlerin: Die Drittweltler würden sich auch schön bedanken, wenn hier ein einziges Barmen herrscht...

Dramatiker: Da gab's noch ein schönes Erlebnis, das wir hatten, das war in Salvador, bei einem Reggae-Konzert auf einem dieser berühmten Plätze, vor dem Armado-Museum. Die Bevölkerung ist ja zu 80 Prozent schwarz, es waren also fast nur Schwarze auf dem Platz, und die bewegten sich wie die Wahnsinnigen. Wir waren sieben oder acht Bleichgesichter in dieser Menge. Da kommt man sich schon ein bißchen merkwürdig vor. Jedenfalls, zwei Schwarze kamen und wollten meiner Freundin Reggae beibringen, und das haben sie dann auch gemacht lange Zeit. Irgendwann wollten wir gehen, wurden aber die beiden nicht los. Sie kamen immer hinter uns her und sagten „cooperatia, cooperatia...“ Wir haben dann ein Taxi gefunden, wir stiegen ein und der Fahrer wollte los... aber die beiden immer am Fenster, wollten die Tür aufmachen und riefen „cooperatia, cooperatia!“ Wir dachten natürlich Schlimmstes. Es stellte sich aber später heraus - das sagte uns ein kundiger Cambridge-Student, sie wollten weiter nichts als Geld haben, was ich nicht begriffen hatte...

Autorin: Die wollten Bezahlung für den Unterricht.

Dramatiker: Klar, für den Unterricht und das Frühstück. Das habe ich mir wirklich wochenlang vorgeworfen, daß ich das nicht begriffen hatte. Es wäre ja kein Problem gewesen... bloß, ich hatte natürlich ganz was anderes gedacht. Und am nächsten Abend traf ich auf einer Party einen Herrn, so einen versprengten 68er, der dort am Goethe-Institut war, ihm erzählte ich die Geschichte, und er sagte dann den guten Satz: „Na, Sie kriegen doch auch Ihre Tantiemen.“

Autorin: Der gebildete Westeuropäer, der glaubt ja immer, die Wilden machen alles aus Leidenschaft, es käme von innen heraus, die können gar nicht anders...

Künstlerin: Wehe nicht!

Dramatiker: lacht unecht, schenkt sich nach Das sind so die Mißverständnisse...

Künstlerin: Wir sind ganz Ohr... beispielsweise gibt es da folgendes Phänomen: In dieser Wohnung, wenn Besuch kommt, machen immer und ausschließlich Männer den Klodeckel zu.

Dramatiker: Da wollte ich grade vorhin drüber reden, als ich vom Klo reinkam. Ich war mal auf einer Party in Berkley bei Feministinnen. Da habe ich die Klobrille nicht zugemacht und wurde sofort entlarvt als der übelste Phallokrat und Chauvi...

Künstlerin: Aber du hast ja nicht nur die Brille runtergemacht sondern auch den Deckel...

Dramatiker: Das war dann der Übereifer der aus dieser Erinnerung herrührt...

Autorin: Und so machen alle Männer hier alles zu, um zu verbergen, daß sie überhaupt gepißt haben...

Dramatiker: Damals hab‘ ich sie oben gelassen, das war die Hölle...

Künstlerin: Da war der Bär los.

Autorin: Jetzt ist der Bär los, weil du alles zumachst.

Dramatiker: Ich werd's mir merken.

Autorin: Was machst du denn das nächste Mal?

Dramatiker: höhnisch Ich lasse alles oben.

Autorin: Das hast du jetzt gesagt, um zu beweisen, daß du doch nicht so freundlich bist wie du wirkst.

Dramatiker: Freundlich bin ich ja nicht wirklich. Es ist eher ein Laster, so freundlich zu sein. Das beste Mittel, Leute von sich abzuhalten...

Künstlerin: ...ist vorauseilende Freundlichkeit.

Dramatiker: Genau!

Autorin: Dabei wollten wir doch gar nichts von dir.

Künstlerin: Nur, daß du alles aufs Tonband sprichst...

Autorin: Leider ist das ganz schlecht, so ein Tonbandgerät...

Dramatiker: Es korrumpiert.

Künstlerin: Mich hat's schon korrumpiert, Ich hab‘ ja früher kein Wort gesprochen, wenn so ein Ding in der Nähe war...

Autorin: Jetzt sprichst du wie ein Wasserfall...

Künstlerin: Du bist schuld, daß ich korrumpiert bin!

Dramatiker: lacht und Bekenntnisse willst du auch noch, aber ich habe nichts zu bekennen. Das einzige, was ich nicht offen sage, ist meine Meinung. Und ich werde mich auch hüten, das jemals zu tun.

Künstlerin: Teile jede Meinung...

Dramatiker: lacht ...und sag nie deine eigene.

Künstlerin: Wer braucht deine Meinung und wozu? Ist doch völlig überflüssig...

Dramatiker: Ja, ich glaub‘ das ist jetzt auch vorbei mit der Meinung.

Künstlerin: Österreichisch ...und wie moanens dös jetzt nacher? reckt sich so, jetzt bin ich gleich blau, und wie soll ich jetzt noch was zeichnen?

Dramatiker: locker, locker... was zeichnest du denn?

Künstlerin: Die Geschichte von Christi Nachgeburt.

Autorin: Das gibt doch bloß wieder einen Blasphemieprozeß...

Dramatiker: Was ist denn die Nachgeburt von Christus?

Künstlerin: Die heilige Placenta...

Gelächter und Husten

Autorin: Die gibt es nicht!

Künstlerin: Bei jeder Geburt gibt es eine Nachgeburt!

Dramatiker: Du kannst vielleicht ein Brechtzitat verwenden: „Das Würgend der Nachgeburt gegen morgen zu...“, es hat so einen biblischen Tonfall...

Künstlerin: Niemand kümmert sich um die Nachgeburt...

Dramatiker: Aber so rein ideologisch gesehen, die Nachgeburt müßte eigentlich die Kirche sein!

Künstlerin: lacht ...die Kirche und ihr wichtigster Agent, der Weihnachtsmann, der sich als Zuhälter und Dealer ja schon an die Kleinsten ranmacht...

Dramatiker: ...mit dem Opium...

Künstlerin: ...dann werden aus kleinen fröhlichen Heiden gefährliche Abhängige.

Dramatiker: Ich habe auch ein Weihnachtstrauma. An irgendeinem Weihnachten in meiner Kindheit wurde ich vor die Wahl gestellt, entweder das Wilhelm-Busch-Album zu kriegen oder einen Weltatlas. Sowas dürfen ja Eltern nie machen, das ist ein ganz schwerer Fehler. Der ganze Zauber ist zerstört. Aber wir hatten nicht viel Geld, und sie haben - mit einer Nachbarsfamilie zusammen - über ein Versandhaus bestellt. Da ergab sich dann die Frage, wer will was, wer kriegt was. Ich hab‘ mich damals für den Weltatlas entschieden, sah aber dann bei dem anderen Knaben das Wilhelm-Busch-Album... natürlich war ich stinksauer. Das wäre mir wahrscheinlich umgekehrt genauso gegangen, ich weiß es nicht. Jedenfalls, die andere Familie ging auch zu Bruch darüber. Der Mann hat sich später umgebracht, genau wie mein Vater...

Autorin: Wir können ja dieses Trauma rückgängig machen, indem wir dich wiederum vor eine Wahl stellen....

Dramatiker: Jetzt macht es mir ja nichts mehr aus!

Autorin: Na warte mal, das fragt sich noch...

Dramatiker: Stell mich mal vor eine Wahl!

Künstlerin: feierlich Wir stellen dich vor die Wahl: Barbarei oder Untergang, was wählst du zu deinem Geburtstag?

Dramatiker: lacht haltlos; dann entschieden ...Untergang!

Autorin: Schon wieder falsch... und der Nachbar freut sich...

Dramatiker: So hat jeder seine Freude...

Künstlerin: Untergehen kann jeder. Aber im Kollektiv...

Dramatiker: Barbar sein will gelernt sein!

Künstlerin: Die Barbarei ist schon wieder so anstrengend. Aber noch hegen wir die Vorstellung, daß der Untergang euphorisch sein könnte...

Dramatiker: Doch, doch, kann schon...

Autorin: Nee, nee! Der Herr kommt jetzt auch allmählich in das Alter, wo er diese Illusion...

Dramatiker: fröhlich braucht, braucht!!

Künstlerin: in Österreichisch Wos wird sein - olle werns z'haus sitzen wie die Gruftmuffler...

Autorin: während der Dramatiker mit einem furnierten Holzröllchen eine Zigarre entzündet ...Mhm... das riecht sehr gut.

Dramatiker: Es ist Sandelholz.

Autorin: Deshalb!

Der Dramatiker legt das brennende Röllchen in den Aschenbecher und entfacht darin einen lodernden Brand. Niemand schreitet ein.

Autorin: Ja... so wird's dahingehen...

Künstlerin: Du fängst schon an, die letzten Sätze vom Herrn Karl zu sprechen Österreichisch ...no jo, schaun mir uns an, wie's weitergeht...

Autorin: Schließlich ist er ja hier der Geburtstagshengst mit Ehranspruch.

Künstlerin: Hengst, Hengst! Er ist die Geburtstagsferse. Du hast ihn ja extra hergebeten, wolltest große Worte machen...

Autorin: Ich...

Künstlerin: Du ja. Was hat sie gesagt zu dir am Telefon, sie will dich und deine Anhänger zur Schnecke machen?

Dramatiker: Sowas in der Art...

Künstlerin: Und was war? Kerzenschimmer...

Dramatiker: Hundelächeln...

Autorin: Er hat seinen Anhängern nichts zu sagen.

Künstlerin: Nichts vorzuwerfen...

Dramatiker: ...und sich selbst auch nicht!

Autorin: Selbstentblößung ist das Ekelhafteste, was man sich vorstellen kann.

Künstlerin: Wieso? Die Recherche kennt kein Tabu.

Dramatiker: Ich werd‘ jetzt ein Taxi bestellen.

Autorin: Die Zigarre kannst du noch zu Ende rauchen.

Dramatiker: Die rauch‘ ich sowieso zu Ende. kleine Pause Ich weiß nicht, ob du was damit anfangen kannst, aber du kannst alles machen, keine Frage! Du kannst ja auch einfach beschreiben, wie wir hier sitzen...

Autorin: Mir fällt schon was ein.

Dramatiker: Der bedeutendste Satz von meiner Mutter... zu einem Menschen in der DDR - der hatte auch ein Tonband auf sie ange setzt - dem hat sie erzählt von meiner Geburt und sagte den bedeutenden Satz: „Der Heiner wollte nicht kommen.“

Autorin: Das ist ja bis heute so geblieben

Dramatiker: streichelt seinen Hund ...ich habe noch nie ein Tier kennengelernt mit dem ich Probleme gehabt hätte...

Autorin: Normalerweise beißt dieser Hund jeden in die Nase bis das Blut spritzt, besonders dann, wenn Fremde sich gütig über ihn beugen. Wir haben's dir nur nicht gesagt...

Dramatiker: Mich nicht... bestellt ein Taxi, zieht Jackett und Mantel an ...ich kann euch noch einen Spruch von Ernst Bloch hinterlassen: „Schlafend gelangt Odysseus nach Ithaka.“

Künstlerin: Odysseus... aber unsereiner? umarmt den Dramatiker zum Abschied ...jetzt geht er ungebissen...

Autorin: Ungebissen gelangt Odysseus... ich bring‘ dich runter Dramatiker und Autorin gehen gemeinsam ab, die Künstlerin öffnet die Balkontüren - Herein die Autorin

Autorin: Weg isser.

Künstlerin: Ganz schön zugenommen hat er.

Autorin: Alle nehmen ganz schön zu...

Künstlerin: Der Mann wächst mit seinen Aufgaben.freundliches Gelächter; der Vorhang fällt.

Aufzeichnung aus einem Gespräch zwischen Heiner Müller, Elisabeth Kmölniger und Gabriele Goettle anläßlich seines 60sten Geburtstages.

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