: BERBER-MOULINEX
■ Eine ländertypische Tunesienreise im Touristenbus
Sollen wir das wirklich mitmachen? Drei Tage „Wüsten-Safari“ im Land-Rover, zusammengepfercht mit der Spezies Pauschaltourist, volldurchorganisiert, mit Führer, und alles nach Plan?
Mourad, der quirlige und sympathische „Administrator“ von „Royal Travel Tours“, zerstreut wortreich letzte Zweifel. Die Tour durch die Bergwelt Südtunesiens an die Ausläufer der Sahara sei voller Überraschungen, „wie ein Film“, sogar mit „open end“. Mourad erzählt allerlei: von den ökonomischen Mühen des Schwellenlandes, von den ehrgeizigen Tourismusplänen, und das alles gespickt mit Anekdoten aus dem Leben, zum Beispiel über die allgegenwärtige Zigarettenmarke „20 Mars“. Sie markiert auf französisch den Tag der Befreiung Tunesiens von französischer Kolonialherrschaft am 20.März 1956. Die arabische Steuerbanderole bedeutet in einem Schriftzug: kassieren und vergiften. Lange Jahre hat Mourad an der Uni von Tunis Chinesisch gepaukt, weil er darauf baut, daß bald die Chinesen Tunesien als Reiseland entdecken.
Aber erstmal sind wir dran. Aufstehen kurz nach fünf Uhr. Achim freut sich beim Eintreffen des vollgepackten Busses: „Mal sehen, wann die Leutchen in dieser Enge ihre ersten Aggressionen bekommen.“ 1.200 Kilometer in 60 Stunden. Die Karawane von sieben Wagen mit 63 Touristen aus England, Frankreich, Holland und der BRD zieht dahin. Als Reiseleiter stellt sich ein recht dicker Mann vor, der seinen richtigen arabischen Namen als zu kompliziert für uns empfindet und sich daher „Didi“ nennen läßt. „Am besten immer gleich gut zuhören, dann nix mehr fragen nachher.“
Weisungsgemäß hören wir gut hin. Die erste Station ist El Djem, ein riesiges Amphitheater aus römischer Besatzungszeit. „Da oben“, deutet Didi, „war Platz für Kaiser, ist jetzt weg; und da unten waren Zimmer für die wilden Tiere.“ Die Insassen der Jeeps zeigen sich beeindruckt. Fragen? Keine. Stolz berichtet unser tunesischer Effendidi, El Djem sei besser erhalten als das Colosseum von Rom, nur der reiche italienische Marmor sei „im 17.Jahrhundert von Einheimlichen (wiederhole: Einheimlichen) gestohlen worden“. Nachts. Heimlich natürlich. Aber die Bösewichte seien „später verteilt“ worden. Lange haben wir darüber nachgedacht. Dann doch gefragt. Didi meinte verurteilt.
Mit jeder Fahrstunde weiter südlich wird das Land karger, die Städte ärmer, die Menschen dunkler, die Ölbäume mickriger. In der öden Weite der Lehmwüste sucht das Auge Orientierungspunkte. Von einem kleinen Markt im Landesinneren kommen die Reisenden als Teilzeit-Berber zurück, den Kopf umwickelt mit schwarzweißen Einheitsturbanen. Jemand hatte erzählt, die Tücher brauche man als Schutz gegen den sandigen Wüstenwind. Die einheimisch gestylte Karawane zieht weiter.
In der ersten Oase wird Henna angebaut. Das kennt ja nun nicht jede(r). „Henna an Frau“, weiß Didi, „macht Haare rot, und ganze Frau warm, das mögen Mann, verstehn?“ Mann und Frau lacht. Wir besichtigen den Anbau von Dattelpalmen. Wir probieren den Palmwein. Der Araber trinkt ja nicht, wie zum Beweis wird uns ein Cola-trinkendes Kamel vorgeführt. Wo wir auch aussteigen, umschwirren uns die allgegenwärtigen Händler. Vor allem Dattelpakete sollen wir mitnehmen. „One Dinar for two“ - the same procedure, sobald wieder eine Touristenladung eintrudelt. Ein kleiner Junge präsentiert eingelegte Skorpione. „Geschenkt“, klingt es. Wie bitte? „Geschenk, Geschenk für Schwiegermutter.“
Wir lernen viel. Das ist auch der Trend im Pauschaltourismus, wo seit einigen Jahren immer mehr die Ausflugswelle rollt. Insbesondere der traditionell besonders faule Deutsche tummelt sich nicht mehr nur auf den Teutonengrills. Jeder zweite Pauschalurlauber macht heute schon mindestens einen längeren Ausflug zwischendurch. „Trümmertouristen“ heißen sie ungeniert bei den Reisemanagern. „Man will heute Land, Leute und Kultur kennenlernen“, sagt Neckermanns Verkaufsdirektor Bijan Khaksar. Statt in ihren Hotelghettos zu bleiben, fallen die Wissenshungrigen also in Busschwärmen über das bislang weitgehend verschonte Hinterland her. Dort entstehen dann Hotels und Touristenrestaurants, auch in Tunesien, in den abgelegenen Gebieten, etwa in den Randzonen der Sahara. Gezielt werden wir dort an den tunesischen Alltag herangeführt. Eine halbe Stunde dürfen wir durch echten Sahara-Sand stapfen, und dann geht's zum Rundritt aufs Kamel, geführt von echten Berbergreisen. In einer Bergwüste entdecken wir eine freilaufende Kamelherde. Die Rover jagen querfeldein hinterher. Safari-Erlebnisse live.
Chott El Djerid. Ein riesiger Salzsee, viermal so groß wie der Bodensee. Mittendrin Pause. Die 60 kaufen Andenken an einem hier völlig deplazierten Stand. Die Berghöhlenstadt Matmata wird zum Tiefpunkt und Höhepunkt der Reise. Viele der gut 3.000 Einwohner, Nachfahren alter Berberstämme, leben hier seit 300 Jahren unterirdisch, in tief eingegrabenen Wohngewölben, die ebenso perfekt wie simpel gegen Hitze, Kälte und Sandstürme schützen. Eine der Höhlen ist seit zehn Jahren, als hier in der Unwirklichkeit von Matmata der Krieg der Sterne gedreht wurde, zu einer einfachen Herberge zurechtgemacht. Wohltemperierter Tiefschlaf tief unten. Ein Hotel mit tausendundeinem Stern. In der runden, Swimmingpool-großen Höhlenhalle zu sitzen, knappe zehn Meter unter der Erdoberfläche, ist ein ganz eigenartiges Erlebnis. In einer klaren Neumondnacht, erzählt ein Einheimischer, sehe man im Rund über sich genau tausendundeinen Stern. Leider ist es bedeckt, und so bleibt uns nur sternlose Ruhe, während unsere 60 FreundInnen in der Bar nebenan den typisch arabischen Schweinebraten vom Mittag verdauen. Matmata boomt touristisch. 15 Kilometer, bevor hier die Piste endet, wurde Matmata nouvelle angelegt, ein steinernes, überirdisches Retortendorf. Nur widerwillig folgen die Einwohner dem Wunsch der Regierung.
Nach dem nächtlichen Tiefpunkt beschert uns Didi, jenes Faktotum wie aus einer maghrebinischen Operette, am nächsten Morgen den Höhepunkt von Matmata. Wir besuchen eine „Original-Berberfamilie“ in ihrer „Originalwohnung“. Eine alte Frau zerreibt mit einer Steinmühle Hartweizen zu Couscous, dem Nationalgericht. Sehr typisch, und Didi legt los, daß wir wieder an akustische fata Morgana glauben wollen: „Die Berber hier haben schwer Leben, sind arm sowieso, immer kämpfen gegen Natur, aber sind sehr glücklich so, und zufrieden.“ Das einfache Leben, da staunt der Wohlstandseuropäer ringsum. Und schon fährt der nächste Bus vor. Deren Reiseführer preist die altvordere Technik der sofort wieder losmahlenden alten Frau grinsend als „Berber -Moulinex“.
Typisches Tunesien. Wir haben viel gelernt. Ist ja auch blöde, immer nur am Strand herumzuhängen. Und die Reisekonzerne hierzulande wissen, daß der Trend zu solcherlei Bildungstouren noch lange nicht ausgereizt ist. Schließlich, so Neckermann-Mann-Khaksar, sei der Normaltourist „mit ein bißchen Blabla nicht mehr zufrieden“. Bei den Urlaubern habe, hat er erkannt, „eine Bewußtseinsveränderung stattgefunden“. Inshallah.
Bernd Müllender
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