: „Ein erheblicher Mangel an kritischem Potential“
■ Der Bundesvorsitzende der „Sozialdemokraten in der Polizei“ (SIP), Jörg Kramer, äußert sich im Interview mit der taz zu Sondereinheiten, Strukturmängeln und den Bonner Sicherheitsgesetzen / Bundesweit sind etwa 30.000 Polizeibeschäftigte, das heißt Arbeiter, Angestellte und Beamte, in der SIP organisiert
taz: Herr Kramer, welche Mängel gibt es bei der Polizei, wie äußern sie sich?
Jörg Kramer: Nehmen sie die Berliner Polizei mit ihren mehr als 20.000 Beschäftigten. Es macht sich eine zunehmende Berufsunzufriedenheit breit. Die einen leiden unter dem schlechten Image der Polizei, die anderen fühlen sich im täglichen Dienst überfordert und dabei im Fortkommen benachteiligt. Wieder andere bemängeln - berechtigt oder nicht - die schlechte soziale Lage, den hohen Leistungsdruck, miserable Arbeitsverhältnisse, ungünstige Dienstzeiten und wenig Rückhalt bei den Vorgesetzten. Viele Kolleginnen und Kollegen sind bereits in die „innere Kündigung“ getreten oder warten, daß sie mit etwa 52 Jahren die höchste Anwartschaft auf ihre Versorgungsbezüge erreicht haben.
Darüber hinaus leidet unsere Polizei unter fehlender oder zu geringer Kommunikation. Natürlich wird zur Diskussion aufgefordert, diese kommt aber viel zu selten zustande. Viele Mitarbeiter haben zu oft erfahren, daß ein offenes Wort zu persönlichen Nachteilen führen kann. Auch behutsam vorgetragene Einwände sind nicht immer gefragt und werden zu oft als Kritik an der Person des Vorgesetzten verkannt.
Muß es also eine Demokratisierung der Polizei geben?
Die Polizei ist so demokratisch wie der Querschnitt der Bevölkerung und erscheint so undemokratisch, wie es Aufsichts- und Kontrollinstitutionen innerhalb und außerhalb der Polizei zulassen. Die stärkere Demokratisierung innerhalb der Polizei gehört zu den wesentlichen Forderungen der SIP. Dazu zählt vor allem die Kultivierung der Tugenden „Mut“ und „Zivilcourage“. Dazu zählen aber auch wirksamere Kontrollmechanismen. Die große Zahl der „anständigen Polizisten“ hat Anspruch auf Kontrolle, sie hat einen Anspruch darauf, von „Kollegen“ befreit zu werden, die aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur nie hätten Polizisten werden dürfen.
Die „Arbeitsgemeinschaft der Kritischen Polizisten“ sagt, der wesentliche Fehler liegt in der kasernenähnlichen Unterbringung gepaart mit einem ausgesprochenen Corpsgeist. Und bei Vorgesetzten, die ihre Beamte ermuntern, Gesetzesverstöße zu begehen. Die Arbeitsgemeinschaft hat daher die Auflösung der „Truppenpolizei“ gefordert.
Wenn sich die KollegInnen der Arbeitsgemeinschaft darauf reduzieren, machen sie es sich zu einfach. In Berlin zum Beispiel gibt es seit 15 Jahren keine kasernierten Polizeieinheiten mehr, sieht man einmal von den Polizeianwärtern im ersten Jahr ab. Corpsgeist, Zusammengehörigkeits- und „Wir„-Gefühl sind in jedem Beruf vorhanden, wenn auch unterschiedlich ausgeprägt. Wogegen wir uns wenden, sind die häufig zu beobachtenden Formen von Kameraderie und Kumpanei. Vorgesetzte in jeder Ebene, die die nachgeordneten Mitarbeiter zu Gesetzesverstößen ermuntern, sind aus dem Polizeidienst zu entfernen. Wir treten für Vorgesetzte ein, die es nicht zulassen, daß ganze Einheiten außer Kontrolle geraten und sich verselbständigen. Die Forderung nach Auflösung von Bundesgrenzschutz, Bereitschaftspolizei oder Verfassungsschutzämtern kann ich angesichts einer zunehmenden Militarisierung beim Bundesgrenzschutz und bei verschiedenen Länderpolizeien und in Anbetracht der Skandale bei verschiedenen Verfassungsschutzämtern durchaus nachvollziehen. Abgesehen von der Frage nach der Realisierbarkeit solcher Forderungen wage ich zu bezweifeln, ob das die Polizei in unserer Gesellschaft wirklich weiterbringen könnte.
Ich könnte mir eine Reihe von Aufgabenfeldern vorstellen, wo sowohl BGS-Mitarbeiter als auch die Verfassungsschutzbehörden reichlich Betätigung hätten. BGS -Beamte könnten bundesweit die Länderpolizeien bei Maßnahmen zur Hebung der Verkehrssicherheit unterstützen und so dazu beitragen, daß die Verkehrstoten und -verletzten sowie die immensen Sachschäden erheblich reduziert würden. Und die Verfassungsschützer könnten sich vor allem derer annehmen, die als Politiker oder Amtsträger durch Korruption, Amtsmißbrauch, Störung des sozialen Friedens, sozialschädlichem Umgang mit Eigentum usw. Grundgesetz und Verfassung erheblich beeinträchtigen.
Wie ist es möglich, daß es eine Skandaltruppe wie die Berliner Sondereinheit „EbLT“ überhaupt gibt?
Die EbLT war geplant und wurde über Nacht, das heißt in der zweiten Mai-Woche 1987, installiert. Sie sollte Straf- und Gewalttäter beweissicher festnehmen können. Diese sollten dann verurteilt werden, und man erhoffte sich damit den Frieden auf den Straßen. Mit normalen Einsatzbereitschaften glaubte man das nicht durchführen zu können. Es kam in den folgenden eineinhalb Jahren auch zu einer Vielzahl von Festnahmen, die nicht nur von der EbLT ohne Rücksicht auf friedliche Demonstranten und unbeteiligte Passanten - in Einzelfällen auch Polizisten in Zivil - erzwungen wurden. Nur waren bekanntermaßen weder alle Festnahmen „beweissicher“ noch kehrte auf den Straßen der Friede ein. Im Gegenteil, das gewaltbereite beziehungsweise gewalttolerierende Potential wuchs, die Ablehnung, ja der Haß auf den Staat und die Polizei nahm zu. Beides diente den Politikern gleichermaßen zum Vorwand dafür, die Polizei aufzurüsten und an der Gesetzesschraube zu drehen.
Das Bild der Berliner Polizei ist ja nun kräftig - und negativ - durch diese Einheit geprägt.
Ich habe für die SIP bei jedem sich bietenden Anlaß darauf hingewiesen, daß die Existenz und das Auftreten der EbLT dem Ansehen der gesamten Berliner Polizei erheblich schadet. Interessanterweise erhielten wir hierfür auch eine breite Zustimmung aus der Polizei. Den EbLT-Beamten wurde ein unseliger Geist eingeimpft. Das begann mit der Rekrutierung des Ausbildungs- und Führungspersonals, ging weiter mit der Auswahl der Beamten und wurde abgerundet mit der Schaffung und sorgfältigen Pflege des Images als Eliteeinheit. Eine gewisse Verhätschelung durch die politische und polizeiliche Führung trat hinzu. Gerüchte, es wären Versprechungen auf bessere Fortkommenschancen und Zusagen auf besonderen juristischen Schutz gemacht worden, wurden immer wieder dementiert. Dennoch gibt es Aussagen ehemaliger Angehöriger dieser Einheit, die darauf bestehen, es wäre so gewesen.
Einzelne Beamte der EbLT haben auch versucht, mit einer Legende in Autonome Kreise einzudringen. Es soll sogar eine Teileinheit der EbLT, die sogenannte „Dritte Gruppe“, zivil ermittelnd tätig sein. Solche Tätigkeiten bedürfen doch Vorgaben der polizeilichen Führung?
Man muß wohl davon ausgehen, daß dieser Einsatz nicht nur toleriert wurde, sondern angeordnet war. Nur bitte ich eines nicht durcheinander zu bringen: Es war und ist auch heute uniformierten Polizeibeamten nicht verwehrt, in Zivil tätig zu werden, das heißt unerkannt Aufklärung zu betreiben. Nur wenn diese Aufklärung die Grenze zum Eingriff in die individuellen Grundrechte überschreitet, bedarf es entweder des Vorliegens eines Strafverdachtes oder einer Polizeigefahr sowie einer ausdrücklichen Eingriffsermächtigung. Die Einsätze im Bereich der Autonomen Szene unter einer „Legende“, wie sie einzelnen EbLT-Beamten in der Presse vorgehalten wurde, halte ich schlicht für rechtswidrig. Noch nicht einmal die Gesetzesentwürfe der Berliner oder der Bonner Rechtskoalitionen sehen Ermächtigungen vor, die ein derartiges Vorgehen legal erscheinen lassen würden.
Welche Wege können Sie sich vorstellen, die zu einer Auflösung der EbLT führen?
Um die EbLT aufzulösen, bedürfte es seitens des Polizeipräsidenten nur eines Farbstriches unter einem entsprechenden Vorschlag aus der Landespolizeidirektion. Aber auch die Personalräte der Berliner Polizei könnten hier einen Beitrag zur Imageverbesserung leisten. Sie müßten nur die Zustimmung zur Verlängerung der Abordnung der Beamten zu dieser Einheit verweigern. Dann käme es zwangsläufig zur Auflösung.
Wie kann sich ein ganz normaler Polizist widersetzen, wenn er den Eindruck haben muß, er trägt die Last, die die Politik verschuldet?
Bedauerlicherweise ist nur einer kollegialen Minderheit bewußt, daß die Polizei auch heute noch vielfach als verlängerter Arm der Politik mißbraucht wird. Auch die immer wieder gebetsmühlenartig vorgebrachten Formeln, daß die Polizei kein Politikersatz sein darf, helfen alleine in dieser Frage nicht weiter. Das wird sprachlich übernommen, aber ich glaube, daß sich die wenigsten Polizisten ernsthaft Gedanken darüber machen, was das bedeutet. Und Politiker vernebeln ihre diesbezüglichen Machenschaften, indem sie täglich pauschale und undifferenzierte Glaubensbekenntnisse über die „hervorragende Qualität“, den „besonnenen Einsatz“ und die „schwere Aufgabe“ der Polizei abgeben.
Flankierend dazu planen selbsternannte „Sicherheitsexperten“ eine Flut neuer Gesetze, die bei großen Teilen der Bevölkerung mindestens Unbehagen, wenn nicht gar die Furcht auslösen, der „nukleare Zerfall der Grundrechte“ oder der „scheibchenweise Tod des Rechtsstaates“ werde Realität. Allerdings nehme ich mit Genugtuung zur Kenntnis, daß sich auch in den geschlossenen Einheiten etwas regt: daß - zwar noch vereinzelt Bestrebungen erkennbar sind, das eigene Selbstverständnis einmal kritisch zu hinterfragen. Diese Entwicklung wird durch Vorkommnisse gestützt, die in der Öffentlichkeit viel zuwenig verbreitet werden. Zum Beispiel die Tatsache, daß ein Einheitsführer Strafanzeige gegen uniformierte Beamte erstattet hat, die vermutlich Angehörige der EbLT sind.
In der Nacht vom 1. auf den 2.Mai sind im Berliner Bezirk Kreuzberg einzelne Polizeibeamte, deren Äußeres sehr detailliert beschrieben wurde, von Mannschaftswagen abgesprungen und haben auf Passanten oder Passantengruppen ohne jegliche Veranlassung brutal mit Schlagstöcken eingeprügelt. In der Nähe stehende Polizeibeamte, darunter der Einheitsführer, haben Strafanzeigen gefertigt. Sie werden auch bearbeitet.
Bisher ist aber kein einziger Fall bekannt, in dem ein Mitglied der EbLT verurteilt wurde.
Das ist die andere Seite. Ich persönlich habe erhebliche Zweifel daran, daß auch nur ein Beamter wegen eines beobachteten Übergriffs angeklagt, geschweige denn verurteilt wird.
Wie sinnvoll sind für einen Polizeipraktiker die von der Bonner Koalition eingebrachten Gesetzesentwürfe, vom geplanten §130b bis zur Änderung der Strafprozeßordnung?
Der Gesetzgebungsaktivismus von CDU/CSU und FDP bringt für die Polizei keine Lösungen, sondern wird sie in neue, noch schärfere Konflikte und gewalttätige Auseinandersetzungen treiben. Eine Eskalation der Gewalt und Verletzte auf beiden Seiten, darüber hinaus eine Verfestigung der Feindbilder werden die Folge der Zimmermannschen (Un-)Sicherheitsgesetze sein, wenn die geplanten Normen eine Mehrheit finden. In diesen Gesetzesentwürfen, angefangen bei §130b über die Änderung des Versammlungsgesetzes, der Kronzeugenregelung bis hin zum Gesetz, das die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Geheimdiensten regelt, wird eine bestimmte Geisteshaltung zum Ausdruck gebracht, die ich für außerordentlich schädlich und als unerträgliche Belastung für den inneren Frieden in unserem Land halte. Dabei sind wir Sozialdemokraten nicht grundsätzlich gegen neue gesetzliche Regelungen. Aber wir sind dagegen, daß aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1983 (Recht auf informelle Selbstbestimmung - d.Red.) gesetzgeberische Konsequenzen gezogen werden sollen, die diametral dem Grundtenor dieses Gerichtsurteils entgegenlaufen.
In dem Gesetzespaket ist auch an eine Neuregelung für die einzelnen Geheimdienste gedacht. Kritiker befürchten, daß damit für zwei verschiedene Behörden lediglich ein gemeinsames Dach geschaffen wird. Wird nicht damit die Trennung zwischen Geheimdiensten und Polizei immer mehr aufgehoben?
Dieser Kritik schließen wir uns voll an. Wir halten es im Hinblick auf unsere Geschichte für erforderlich, daß zwischen Geheimdiensten und Polizei wieder eine strikte Trennung erfolgt. Die Aufgaben beider Institutionen sind grundsätzlich verschiedener Natur und dürfen nicht vermischt werden, da dies gegen den Geist unserer Verfassungsordnung verstoßen würde.
Wesentlich weitreichender wird jetzt in Bayern versucht, den „Unterbindungsgewahrsam“, das heißt die Vorbeugehaft, auf 14 Tage auszudehnen. Ihre bayerischen Kollegen müßten doch gegen solche Pläne Sturm laufen?
Eigentlich ja. Wir können nicht verstehen, was man den bayerischen Kollegen nach den unrühmlichen Aktivitäten des Staatssekretärs Gauweiler noch alles zumuten will. Aber vielleicht ist es auch geradezu typisch und bezeichnend, daß Polizisten hier nicht Sturm laufen, sondern sich solche verfassungsstrittigen Handlungsermächtigungen oktroyieren lassen. Vielleicht hängt das mit der besonderen Sozialisation innerhalb der Polizei und der Ghettoisierung von Beginn der Ausbildung an zusammen. Es herrscht da noch ein ganz erheblicher Mangel an kritischem Potential. Wir werden hieran mit anderen fortschrittlichen Kräften in der Gesellschaft arbeiten. Hätte ich nicht die Gewißheit, daß es bundesweit gute Ansätze gibt, ich könnte nicht mehr Polizist sein.
Interview: Wolfgang Gast
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