: Paris rüstet zum C-Waffen-Krieg
Nach Informationen der Chemiearbeiter-Gewerkschaft besitzt und produziert Frankreich Chemiewaffen trotz anderslautender offizieller Behauptungen ■ Aus Paris Andreas Zumach
Frankreich besitzt Chemiewaffen, „modernisiert“ sein Arsenal derzeit durch Test und Produktion binärer Artilleriegeschosse, und französische Firmen bieten chemische Kampfstoffe sowie zugehörige Geräte auf dem internationalen Waffenmarkt an. Der taz von der französischen Gewerkschaft der Chemiearbeiter (FNIC) zugänglich gemachte Informationen bestätigen einen seit Jahren von Chemiewaffenexperten und Rüstungsforschungsinstituten geäußerten entsprechenden Verdacht und widerlegen jüngste Aussagen sozialistischer Regierungspolitiker Frankreichs. Staatspräsident Mitterand hatte in seiner Rede vor der New Yorker UNO-Vollversammlung am 29. September 88, in der er zur heute in Paris beginnenden internationalen Chemiewaffenkonfererenz einlud, erklärt: „Frankreich hat keine Chemiewaffen.“ In einem Schreiben des Präsidenten der sozialistischen Fraktion in der Nationalversammlung, Louis Mermaz an FNIC -Generalsekretär Jean Vincent heißt es: „Ich versichere Ihnen, daß unser Land die Produktion chemischer Waffen nicht aufgenommen hat und auch über keine Vorräte dieses Waffentyps verfügt, sei es binärer oder anderer Art.“
Beobachter erwarten, daß Mitterand in seiner heutigen Rede zur Eröffnung der Pariser konferenz diese Behauptungen wiederholen wird. Die FNIC hält das interne, in einer limitierten Auflage nur für Waffenproduzenten und ihre Kunden gedruckte Verzeichnis der französischen Verteidigungsindustrien des „Verlages für industrielle Expansion“ dagegen. Übersichtlich nach verschiedenen Waffenkategorien geordnet und dreisprachig (arabisch, französisch und englisch) bieten sich darin sämtliche französische Rüstungsproduzenten mit Anschrift, Telefon und Kontaktperson ihren potentiellen Kunden in aller Welt an. Unter Kategorie „1365 Militärische chemische Kampfstoffe“ sind vier Unternehmen aufgelistet: Alsetex S.A.E., Etienne Lacroix S.A., SNPE Ingenierie S.A. sowie deren Mutterfirma SNPE. Unter Kategorie „1.040 Chemische Waffen und Gerätschaft“ findet sich erneut die Firma Lacroix. S.A. Lacroix ist den meisten Franzosen nur bekannt als Hersteller von Feuerwerkskörpern. Die SNPE (Nationaler Produzent von Pulver und Sprengstoffen) Fortsetzung Seite 2
stand vor einigen Jahren im Mittelpunkt des Skandals geheimer Exporte von Waffen und Munition in den Iran. Nach Recherchen der FNIC spielt SNPE eine „zentrale Rolle“ bei der Produktion moderner chemischer Waffen, für die nach internen Aussagen von Verteidigungsminister Chevenement im Militärplan 1987-91 900 Millionen Francs (ca. 300 Millionen Mark) vorgesehen sind.
Abgesehen von den eingangs zitierten Äußerungen schweigen französiche Regierungspolitiker bislang zu diesen konkreten Informationen.
Unabhängige Rüstungsforschungsinstitute wie SIPRI in Stockholm führen Frankreich seit Jahren als Besitzer von Chemiewaffen in einem Umfang ähnlich dem vermuteten US -Arsenal in der Bundesrepublik (rund 435 Tonnen Kampfstoffe). Auch US-Quellen bestätigen dies. Außerdem gibt es zahlreiche Hinweise, wonach französiche Firmen beim Export von Produktionsanlagen, chemischen Grundstoffen für Waffen und technischem Know How an weltweit zweiter Stelle hinter bundesdeutschen Unternehmen stehen. Doch bei den Genfer Verhandlungen über ein weltweites Chemiewaffenverbot hat Frankreich bis heute weder Chemiewaffenbesitz noch -produktion zugegeben.
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