: Auf Eise befreit
■ Seit 1. Januar immer wieder sonntags: Das Eislaufenzuklassischermusikprojekt
Wir schreiben den achten Januar des Jahres neunzehnhundertneunundachtzig, zwanziguhrundzehnminuten. Eine laue Winternacht am Jakobsberg. Düstere Gestalten, mit scharfkantig-schwerem Gepäck beladen, suchen ihren Weg durch die Dunkelheit des Kleingartengebietes entlang des großen Flusses. Wohin mag ihr Weg führen, was führen sie im Schilde?
„Schlittschuhlaufen zu klassischer Musik im alten Eisstadion“, würden sie antworten, wenn sie einer fragte, aber es fragt sie ja keiner. Die freundliche kleine Gruppe von knapp dreißig Musik-Eislaufliebhabern bleibt auch noch für den Rest des Abends weitgehend unter sich. Blutige Anfänger und kühne Eisvirtuosen teilen sich einträchtig die flutlichterhellte Eisbahn. Verzückt zittern, schraddern oder gleiten sie im Takt lieblicher Klänge über das nächtliche Eis, ein jeglicher nach seiner Art. Geradezu gespenstisch wirkt die kleine Szene für den, der sie durch das Gitter des Einganges betrachtet, durch den zu lichter Zeit die Sportsfreunde Einlaß finden. Laut-und
schwerelos gleitet das kleine Grüppchen zu den Klängen der Zauberflöte, Figaros, zu Bolero und Tschaikowski No. 5 über die weiße Bahn. Die anderen wunderbaren Klänge sind für musikalisch weniger bemittelte schwer zu benennen.
Der nächtliche Besucher aber, der den üblichen Weg versperrt vorfindet, braucht nicht wieder in die Dunkelheit zu verschwinden, der Weg durch das neue Cafe Kür steht auch ihm offen. Für den lächerlichen Preis von nur Demark drei kann auch er sich unter die freundlichen Sterblichen auf dem Eis mischen. Ein ausgesprochen preiswertes Angebot für den Erlebniswert und die außerplanetarische Atmosphäre. Das „Eislaufenzuklassischermusikprojekt“ steckt sozusagen noch in den Kinderschlittschuhen. Am ersten Januar war Premiere gewesen, die Resonanz aufgrund des gewagten Termines allerdings nicht sehr groß. Am letzten Sonntag hatten schon mehr Leute den Weg gefunden. Die Zukunft wird zeigen ob diese eigenwillige Veranstaltung bestand haben wird.
Mit Beinen wie Quark und einem verzückten Lächeln werden wohl auch bald andere den Jakobsberg verlassen, wohl wissend, einem preiswerten, amüsanten und - treibt man es nicht über seine Verhältnisse - dem Wohlbefinden sehr zuträglichen Vergnügen in frischer Luft nachgegangen zu sein. Wem das alles viel zu frohsinnig und gesund erscheint, der kann auch am Fenster des Cafe Kür dem Trinkvergnügen frönen und spektakulärer Stürze harren.
Es steht also zu hoffen, daß genau so viele Eisfreunde in der Sonntagnacht den Jakobsberg bezwingen, daß sich die Institution rentiert. Visionen von Kindheitsängsten, in denen monoton kreisende Menschenhorden kufenweise Finger von Gestürzten amputieren, werden sich auch in naher Zukunft nicht bewahrheiten. Noch ist Platz zur individuellen Tanzinterpretation, und lächelnde Mitgleiter fahren rücksichtsvolle Bogen.
KeDe
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