: Polizeiprügel zum Studienbeginn
In Berlin verschafft die Polizei Studierwilligen mit Fäusten Zugang zum Medizinischen Institut / StreikbrecherInnen in der Polizeiwanne / Mindestens 28 Verletzte / Vollversammlung für Fortsetzung des Streiks / Abschluß des UNiMUT-Kongresses ■ Von Hoffmann und Malzahn
Berlin (taz) - „Der Lehrbetrieb an der Freien Universität ist wieder aufgenommen worden!“ ließ die Pressestelle der Berliner FU gestern mittag siegessicher verbreiten. Das genaue Gegenteil war der Fall: Zur gleichen Zeit prügelte Hunderte von PolizistInnen ein paar Streikbrechern den Weg in die Praktikaräume der physiologischen und anatomischen Abteilung der Medizin im Universitätsviertel Berlin-Dahlem frei. Am Sonntagabend hatten über 2.500 StudentInnen der Medizin in einer Vollversammlung mit knapper Mehrheit für die Fortsetzung des Streiks gestimmt - obwohl viele StudentInnen des Fachbereichs dadurch ein oder zwei Semester verlieren können.
Drei Tage lang hatten zuvor Studierende in Berlin versucht, sich beim UniMut-Kongreß Klarheit zu verschaffen über Hochschulpolitik und Perspektiven des Streiks. Der letzte Tag von „UNiMUT“ begann gestern Morgen in Berlin gegen sieben Uhr mit einer regelrechten „Menschenjagd“ der Polizei auf demonstrierende StudentInnen. Vom nahegelegenen U -Bahnhof „Krumme Lanke“ war für sogenannte „studierwillige“ MedizinerInnen ein Bustransfer in das bereits am 3. Januar von der Polizei geräumte Physiologie-Institut organisiert worden. Dort fand sich zunächst kein einziger Streikbrecher ein, wohl aber etwa 200 protestierende Studenten. Als diese das Gelände um den U-Bahnhof nach polizeilicher Aufforderung nicht verließen, ging die Polizei brutal gegen die Demonstranten vor. Die Prügeleien setzten sich den ganzen Tag an den Zugangsstraßen zur Physiologie und Anatomie fort. Rund 3.000 StudentInnen waren permanent auf der Straße und blockierten die Eingänge. Der Polizei gelang es bis Redaktionsschluß nicht, die Zufahrtswege befahrbar zu machen. Die Polizei schlug den Streikbrechern, die im Laufe des Tages nicht mehr in Bussen sondern von Polizeiwannen zum Institut gefahren wurden, regelrecht „Gassen“ durch die Menschenketten. Die Zahl derer, die auf diese Weise an ihre Praktikaplätze gelangte, dürfte etwa der Zahl der verletzten StudentInnen entsprechen. In einem spontan eingerichtetem Sanitätsraum der FU zählten MedizinstudentInnen allein 28 KommilitonInnen, die sich wegen Kopfwunden, Schlagverletzungen und Schocks behandeln lassen mußten. Eine Studentin, die von einem Polizeifahrzeug angefahren wurde, mußte mit einem Notartzwagen in's Krankenhsus gebracht werden. Die „Wanne“ hatte versucht, eine studentische Blockade zu durchbrechen.
Neben den Blockadeaktionen fanden gestern in vielen Fachbereichen Abstimmungen über die Weiterführung des Streiks statt. Nirgendwo sprachen sich die StudentInnen für einen Abbruch aus. Zum Teil lag die Quote der BefürworterInnen bei über 90 Prozent. Die ChemikerInnen der FU, denen vom Fachbereichsdekan mit Polizeigewalt gedroht worden war, stimmten mit 71 Prozent für Streik. Weitere Abstimmungen finden heute und in den kommenden Tagen statt. In Berlin ist davon auszugehen, daß der Streik auf breiter Front weitergeführt wird. Wegen des brutalen Verhaltens der Polizei verweigerten sich gestern im Fachbereich Medizin auch viele der StudentInnen dem Lehrbetrieb, die am Tag zuvor für eine Fortsetzung Fortsetzung Seite 2
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des regulären Studienbetriebs gestimmt hatten. Endgültig verschissen hat Medizin-Dekan Körber: Die Polizei, die der Professor gerufen hatte, setzte neben Schlagstöcken und Fäusten auch Wasserschläuche gegen die frierenden BlockiererInnen ein. „Ich möchte mal wissen, wie Körber das mit seinem hypokratischen Eid vereinbaren kann“, kritisierte eine Studentin. Nach Angaben des Berliner Ermittlngsausschusses wurden mindestens 50 Personen von der Polizei verletzt. Genausoviele seien vorübergehend festgenommen worden. Die Polizei sprach offiziell von 18 Festnahmen.
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