: Schiitischer Bruderkampf im Libanon eskaliert
Sowohl die Amal als auch die Hizbollah sprechen von Entscheidungsschlacht / 85 Tote seit Dienstag voriger Woche / Unterschiedliche Ziele, unterschiedliche Freunde / Politischer Streit hat sich militärisch verselbständigt / Keine Lösung im Südlibanon in Sicht ■ Aus Beirut Petra Groll
Die blutigsten Gefechte seit Monaten zerstörten am Wochenende jegliche Hoffnung auf eine baldige politische Lösung des vor einem Jahr ausgebrochenen Machtkampfes innerhalb Libanons 1,5 Millionen Menschen starker Schiitengemeinde. Offizielle Bilanzen bezifferten am Dienstag morgen die Opfer der Gefechte vom Iqlim Toffah, einer Bergregion zwischen Saida und der von Israel besetzten „Sicherheitszone“ südöstlich der Hafenstadt, auf 85 Tote.
Sowohl die Schiitenbewegung Amal als auch die „Partei Gottes“, Hizbollah, publizierten Erklärungen, in denen die Gefechte vom Iqlim Toffah als Endscheidungsschlacht charakterisiert wurden. Beide Organisationen mobilisierten Nachschub an Mannschaften, Waffen und Munition in die Region. Der Blitzbesuch iranischer Unterhändler in Beirut und der syrischen Hauptstadt Damaskus am Montag abend gilt als wenig aussichtsreich, die Auseinandersetzungen wurden mit unverminderter Heftigkeit weitergeführt.
Zu bewaffneten Konfrontationen zwischen den beiden Schiitenorganisationen war es erstmals vor einem knappen Jahr gekommen, als Amal die Zellen der Hizbollah im Raum Nabatiyeh, im äußersten Süden des Landes, aufgebracht und vertrieben hatte. Anschließende bürgerkriegsartige Kämpfe hatten im Frühjahr 1988 zum Einmarsch syrischer Truppen in die südlichen, vorwiegend von Schiiten bewohnten Vororte Beiruts geführt.
Während Hizbollah bei den Gefechten in Beirut eindeutig die Oberhand erkämpft hatte, ließ sie doch keinen Zweifel an ihrem eigentlichen Ziel: Bewaffnete Rückkehr in den Südlibanon und Aktionsfreiheit für den dort gegen Israel operierenden „Islamischen Widerstand“. Für die an Khomeinis islamischer Revolution orientierte Fundamentalistenpartei führt der Weg über die Befreiung des Südlibanons von israelischer Besatzung geradewegs zur Heiligen Stadt Jerusalem. Der bewaffnete Kampf von Amal macht demgegenüber an Libanons Südgrenze halt. Wenn selbst die PLO das Existenzrecht Israels anerkenne, polemisierte erst kürzlich Amal-Chef Nabih Berri, weshalb sollten dann Libanons Schiiten den blutigen Preis für einen unrealistischen Kampf zahlen?
Amal, eine vor knapp 20 Jahren aus der sozialen „Bewegung der Unterdrückten“ hervorgegangene Massenorganisation, orientiert die Schiiten, die zahlenmäßig stärkste, politisch jedoch völlig unterprivilegierte Konfessionsgruppe im Libanon, an kurzfristigen, pragmatischen Forderungen: gleichberechtigte Repräsentation der Schiiten im politischen Apparat und staatliche Investitionen in die Infrastruktur des Entwicklungsgebietes Südlibanon.
Hizbollah jedoch propagiert die Einrichtung einer Islamischen Republik nach iranischem Vorbild, die von Amal als Staatsform für den Libanon strikt abgelehnt wird. Berri hat mehrfach zur aktiven Opposition gegen das Modell aufgerufen.
Der Waffenstillstand im Golfkrieg zwischen Iran und Irak veränderte nicht nur die Beziehungen Irans zu seinem letzten arabischen Verbündeten Syrien, das ausgerechnet die Schiitenbewegung Amal zu seinem Hauptverbündeten im Libanon gemacht hat. Der Waffenstillstand spitzte auch die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Teheraner Führung über den Export der Islamischen Revolution zu.
Das bekam der libanesische Schiitensheikh Mohammed Mehdi Chamseddin zu spüren, als er im Dezember zu wochenlangen Gesprächen mit der iranischen Führung nach Teheran und Gom reiste. Chamseddin ist Chef des „Obersten Schiitischen Rates“, einem aus Politikern, Geistlichen, Anwälten und anderer Prominenz bestehenden Interessensverbandes libanesischer Schiiten, der freilich der reformistischen Amal näher steht, als der radikalen Hizbollah. Kein Wunder, daß Hizbollah dem „Obersten Rat“ den Anspruch als höchste spirituelle Instanz der Schiiten Libanons streitig macht. Sheikh Ibrahim el-Amine, Wortführer Hizbollahs, konstatierte bei einer Massenveranstaltung in Beirut Ende Dezember: „Wir haben erklärt, Gott ist Allah und Khomeini der Imam - Amal sagt: 'Gott ist Allah, doch der Vorsitzende des Obersten Rates ist der Imam.‘ Das Problem besteht also zwischen denen, die andere bevormunden wollen, und denen, die Allah und der Islamischen Republik folgen wollen.“
Während Iran die Autorität Chamseddins offiziell durchaus anerkennt, halten es andere, radikalere Kreise in der Führung offenbar mit Hizbollah. Außer der Wiederholung vager Gesprächsbereitschaft brachte Chamseddin keinerlei greifbare Ergebnisse zurück in den Libanon. Der allemal komplexe religiöse wie politische Streit hat jedoch längst eine militärische Verselbständigung erfahren, die sich in einer Welle von Attentaten gegen hohe Funktionäre des jeweiligen Gegners und immer neu aufflackernden Gefechten in den Beiruter Vororten und um die letzten militärischen Positionen der Hizbollah im Südlibanon zeigt.
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