: Ein Unglück kommt selten allein
■ Monika Jung, geboren an einem Freitag, dem dreizehnten, ist der Magie dieses Tages nachgegangen
Man sieht's den Menschen schon von weitem an, was heute für ein Datum ist. Mißmutig und verängstigt der Blick. Wenn dann die berühmte schwarze Katze von links den Weg kreuzt... Und tatsächlich, die Unfallstatistik beweist es: Jedesmal, wenn ein „Freitag, der dreizehnte“ die deutschen Autofahrer am Steuer zittern läßt, dann gibt es 30 Prozent mehr Unfälle als an gewöhnlichen Freitagen.
Ich bin nicht abergläubisch - vielleicht ein ganz klein wenig nur. Eine schwarze Katze von links macht mir rein gar nichts aus. Die kann sooft meinen Weg kreuzen, wie sie will. Aber in ein Flugzeug steigen an einem Freitag, dem dreizehnten halte ich doch für sehr gewagt. Meine Großmutter war sogar der Meinung, daß man an solch einem Tag überhaupt nicht verreisen soll. Und da ist sie nicht die einzige, die so denkt.
Nein, ich bin nicht abergläubisch. Ich wurde nur an einem Freitag, dem dreizehnten geboren.
Das Unheil begann bereits drei Tage vor meiner Geburt. Da stürzte meine Mutter bei einem Spaziergang im Wald über einen vorstehenden Ast und fiel dabei schnurstracks auf ihren dicken Bauch, in dem ich mich ja schließlich befand. Bald darauf mußte sie in die Klinik und brachte mich, Freitag abends zur Welt - an einem dreizehnten. Der Sturz auf mich drauf schien mir nichts ausgemacht zu haben, alle Knochen waren heil. Nur meiner Mutter ging's nicht so gut wie mir. Sie hatte bei der Geburt viel Blut verloren. Aber damit hätte sie rechnen müssen, denke ich.
Jahre später fragte ich sie, was sie sich denn eigentlich dabei gedacht hätte, mich ausgerechnet an einem Freitag, dem dreizehnten in die Welt zu setzen, aber da winkte sie bloß ab. Sie sei doch schließlich nicht abergläubisch. Und außerdem: Ich sei doch gesund und vollkommen normal, also was soll die Fragerei.
Wirklich entsetzt über den Tag meiner Geburt zeigte sich nur meine Großmutter. Sie war davon überzeugt, daß man auf mich ein besonderes Auge werfen müsse.
Die Sonne im 5.Haus in 190 Jungfrau. Merkur im 4.Haus in 130 Jungfrau und im 6.Haus Saturn im Schütze und Jupiter im Skorpion. Dies alles, aber besonders Freitag, der dreizehnte, war für Großmutter Grund genug, mich als das Unglückskind schlechthin zu betrachten.
Das Mißtrauen meiner Großmutter mir und meinem Geburtsdatum gegenüber wurde, je älter ich wurde, immer größer. Fiel ich beim Spielen hin und schlug mir das Knie auf, fragte sie erst gar nicht, wie das denn passieren konnte. Saß ich am Tisch und wollte mir mit dem Messer Marmelade aufs Brot streichen, nahm Großmutter mir das Messer vorsorglich aus der Hand. Nichts, aber auch gar nichts durfte ich in ihrer Anwesenheit tun. Keine Wurst schneiden, kein Geschirr abtragen, geschweige denn abtrocknen, keine leeren Flaschen in den Keller tragen.
Als ich neun war, starb Großmutter, und damit auch der Glaube an mein Unglück.
Beim Spielen auf dem Dachboden entdeckte ich einmal eine kleine Holztruhe, die voller Papiere, Briefe und Zeitungsausschnitte war. Sie hatte Großmutter gehört. Also las ich in den Briefen. Fast alle stammten von Großvater Liebesbriefe, vor ihrer Heirat geschrieben, und Briefe, die er als Soldat im Ersten Weltkrieg geschrieben hatte. Die Zeitungsausschnitte waren fast ausschließlich Berichte über Modenschauen und neue Kosmetik.
Auf einem kleinen roten Heft, das wie ein Schulheft aussah, stand in großer, altdeutscher Schrift nur der Name Freitag. Da ahnte ich schon was: Am Freitag geborene Kinder sind im allgemeinen Unglückskinder, stand da auf der ersten Seite. Sie haben im Leben viel zu leiden, sterben bald oder verfallen einst dem Scharfrichter. Das hatte sie wohl irgendwo abgeschrieben, denn so drückte sie sich nie aus. Ein Kind soll man zum ersten Mal nicht an einem Freitag in die Wiege legen oder ins Freie tragen. Solange ein ungetauftes Kind im Hause ist, soll man am Freitag nichts entlehnen oder herleihen.
Am Freitag soll man Kinder nicht baden, damit sie nicht aus ihrer Ruhe kommen und Zuckungen bekommen. Man darf sie nicht kämmen, weil dies Ausschlag bringt. In Ungarn gehören die am Freitag geborenen Kinder dem Teufel. Andererseits sind sie, falls sie nicht an einem Freitag getauft werden, geistersichtig. Sie sind vor der Gefahr des bösen Blicks sicher, aber nur, wenn sie an einem Freitag im März geboren sind.
Arme Großmutter, ob sie wohl das alles geglaubt hatte, was da stand? Auf jeden Fall verstand ich jetzt, warum sie mich als Unglückskind gesehen hatte. Ich las lieber die Liebesbriefe weiter, die waren spannender.
In Berlin ging ich dann in Büchereien auf die Suche. In der Staatsbibliothek fand ich dicke Bände über Aberglauben. Auch bei Freundinnen und Bekannten gab es merkwürdige Bücher, die ich bei ihnen nicht vermutet hätte. So erfuhr ich endlich, warum der Freitag ein Unglückstag sein soll.
Der Name Freitag stammt von den germanischen Völkern, die die Göttin Frija oder auch Freyja genannt verehrten. Sie war eine Liebesgöttin und zugleich eine Wolkengöttin, die für das Wetter wichtig war und den davon abhängigen Ackerbau. In Deutschland verbreitete sich der Freitag als Name des Wochentags zuerst.
Der Freitag als Unglückstag ist eine Erfindung des Christentums. Das erste Abendmahl fand an einem Donnerstag statt - mit genau 13 Personen. In der Nacht nach dem Abendmahl wurde Jesus durch Judas verraten und am nächsten Tag ans Kreuz genagelt, an einem Freitag. Die Christen befanden, daß nicht nur dieser „Karfreitag“ ein Unglückstag sei, sondern auch alle Freitage des Jahres. In den katholischen Gegenden Deutschlands gilt der Freitag deshalb nach wie vor als Unglückstag.
Was freitags wird begonnen,
Hat nie ein gut‘ End genommen. Man glaubt sogar, daß ein Jahr, das mit einem Freitag beginnt, Unglück bringt. Und wer eine verbotene Arbeit an einem Freitag verrichtet, muß sie nach seinem Tode so lange tun, bis er erlöst wird.
Nicht nur Großmutter war abergläubisch. Auch Napoleon, lese ich, wagte an einem Freitag keinen Vertrag zu schließen und keine Schlacht zu schlagen. Auch Bismarcks Geschäfte ruhten freitags.
Am Freitag soll man keinen Dienst antreten noch einen alten verlassen. Am Freitag eintretende Dienstboten haben kein Glück, bekommen Geschwüre, bleiben nicht lange und taugen nichts, wie überhaupt an diesem Tag nur lausige Dienstboten einziehen. Freitags darf man keine Reise antreten, keine Wäsche waschen und kein Brot backen.
Erzähl‘ am Montag keinen Traum,
Fäll‘ am Mittwoch keinen Baum,
Back‘ am Freitag kein Brot.
So hilft dir alle Zeit Gott.
So hast du das ganze Jahr keine Not.
Das weiß ich auch von meiner Mutter. Sie hat freitags nie Wäsche gewaschen, und immer gab es Fisch zu essen. Fleisch an einem Freitag wäre für sie wohl eine große Sünde gewesen. Und am Karfreitag durfte ich nie Musik hören und abends nicht weggehen. Den Nachmittag mußte ich in der Kirche verbringen, wo der Priester den Leidensweg Christi nachzuempfinden versuchte, sich ein Holzkreuz auf den Rücken legte und dabei die Schuhe auszog. Wir haben immer geschaut, ob der Priester Löcher in den Strümpfen hat.
Auch heiraten soll man nicht freitags, es bringt kein Glück und die Ehe bleibt kinderlos. Auch glaubte man, wenn jemand an einem Freitag stirbt, daß es bald eine neue Leiche geben wird. Und ist ein Grab über Freitag offen, so stirbt bald jemand, oder es sind drei weitere Freitagsleichen zu erwarten, oder es wird bald eine Ehe durch den Tod getrennt, oder es folgt in acht Tagen oder vier Wochen eine neue Leiche. Gott sei Dank ist Großmutter nicht an einem Freitag gestorben...
Aber nicht überall gilt der Freitag als Unglückstag. Der Gedanke, daß Jesus durch seinen Tod die Menschheit von der Erbsünde befreit hat und so zum Erlöser wurde, führte zu der Vorstellung, daß dieser Tag ein Glückstag sei. In Gegenden, wo der vorchristliche Glaube noch stark lebendig ist oder wo die Vorstellung von der Erlösung durch Christi Tod überwiegt, bringt der Freitag Glück. Ein lang gehegter Wunsch geht in Erfüllung, wenn man an einem Freitag drei in größeren Abständen fahrenden Kinderwagen begegnet. In einigen Gebieten Norddeutschlands gehen die Paare überwiegend an einem Freitag heiraten. Sie trauen sich sogar, an einem Freitag, dem dreizehnten zu heiraten. Es sind überwiegend evangelische Regionen.
Ob mein Geburtsdatum mir Glück oder Unglück bringt, das weiß ich jetzt, hängt ganz davon ab, ob ich mich dem katholischen oder dem evangelischen Glauben zugehörig fühle. Und wenn ich beides nicht täte, dann wäre Freitag ein ganz normaler Tag. Ich fürchte nur, je mehr ich mich mit Aberglauben beschäftige, um so abergläubischer werde ich.
„Frauen sind abergläubischer als Männer“, lese ich. Abergläubische Frauen gehen drei Schritte zurück, wenn sie stolpern... Soweit ist es mit mir noch nicht gekommen.
Interessant ist aber eine Unfalluntersuchung des ADAC. An einem Freitag, dem dreizehnten passieren 30 Prozent mehr Unfälle als sonst auf Deutschlands Straßen. Da scheinen mir ganz viele abergläubisch zu sein. Wahrscheinlich fahren die Leute an einem Freitag, dem dreizehnten schlechter, eben weil Freitag, der dreizehnte ist.
Und war nicht auch der Börsenkrach an der New Yorker Wall Street an einem Freitag, dem „Schwarzen Freitag“?
Gegen Impotenz haben sich die Ungarn was Nettes ausgedacht. Der impotente Mann nennt sich selbst Herr Freitag.
Herr Freitag muß jeden Freitag vor Sonnenaufgang Kanthariden, Hanfsamenblüten und Hasenhohen, in Eselsmilch gekocht, trinken und dabei sprechen: „Herr Freitag ging in den Wald und traf dort die Frau Samstag. Er sprach: Laß dich umarmen. Frau Samstag stieß ihn von sich und sprach: Dürrer Ast bist du! Wenn du wieder grünst, komme zu mir.“ Dann hat er zu sagen: „Gib mit die Kraft, Ast. Ich geb dir meine.“ Daraufhin muß er sein Wasser an einem Baum abschlagen.
Der Freitag scheint auch sein eigenes Wetter zu haben:
Die ganze Woche wunderlich -
Des Freitags ganz absonderlich.“
oder:
„Freitags wunderlich -
Samstags absonderlich.“
Auch sein eigenes inneres Wetter übrigens:
Wer am Freitag lacht
Wird am Sonntag weinen.
Großmutter las mir Märchen vor.
Es gab die zwei Brüder, die vier Brüder, die sechs Brüder, es gab die sechs Diener, die sieben Schwäne, die sieben Raben, die sieben Schwaben - die zwölf Brüder, die zwölf Apostel, die zwölf Jünger, die zwölf faulen Knechte - aber nie die dreizehn.
Das erste Mal fiel es mir schon als kleines Kind auf, und ich fragte nach einem Dreizehnermärchen. Das gab es nicht, und niemand erfand es für mich. Später schien es mir ganz vernünftig: Es gibt kein Märchen mit der Zahl Dreizehn, weil sie Unglück bringt. Und dann: Warum gibt es keine Dreizehn im Märchen, wenn's im Märchen doch soviel Unglück gibt? Und überhäupt wäre die Dreizehn im Märchen eine Glückszahl, wenn sie nur wollten.
Später hab ich versucht, in den Märchen versteckte Hinweise auf die Dreizehn zu finden. Wie oft hat Hans im Glück getauscht? Ich hätte sicher dreizehnmal getauscht.
Als bei mir die Zeit der Märchen vorbei war, begann ein unbestimmtes Interesse an Geschichte. Genauer gesagt: Da ich Geschichte uninteressant fand, denn sie bestand in der Hauptsache aus Schlachten, Krönungen und Königsmorden, Reichsgründungen und wiederum Schlachten, hörte ich nur auf die Zahlen, ob es wieder mal eine dieser blöden Siebenen war oder vielleicht mal endlich eine Dreizehn. Ja, natürlich, es gab auch die Dreizehn, aber versteckt in einem Wust von Jahreszahlen und Jubiläen, daß ich es mir nicht merken konnte.
Ich wünschte mir einfach etwas Besonderes. Das 13.Jahrhundert? Nein, das 13.Jahrhundert war ganz und gar nicht finster, erst danach wurde es dunkel in Europa. Erst im 14.Jahrhundert gab es die große Pest, die Europa halb entvölkerte.
Im 13.Jahrhundert gab es den Widerstand gegen die Kirche: die Ketzer, die Katharer, Waldenser. Und es entstanden die „Bettelorden“, die Augustiner und die Franziskaner, deren Begründer Franziskus von Assisi zum erstenmal die Liebe zum Tier predigte.
Im 13.Jahrhundert waren, die Sitten freier als danach. Das 13.Jahrhundert war der Höhepunkt einer Welt, in der Faule wie Fleißige, die kluge Grete wie der dumme Hans leben konnten in Gelächter und in Toleranz. Man wußte es nicht besser, und vielleicht wollte man es auch gar nicht besser wissen.
Danach kamen die Besserwisser mit Kriegen, die Europa fast zerstörten: mit dem Pulver, der Strategie, den Kanonen, den Flotten, der Eroberung der Welt überhaupt, von der sie noch weniger Ahnung hatten als die vor ihnen. Aber zur Eroberung braucht man keine Ahnung. Die Dreizehn, dachte ich damals, die Dreizehn ist die Zahl der Ahnungen.
Ein Satz geht mir nicht aus dem Kopf. Am Freitag geborene Kinder sind im allgemeinen Unglückskinder. Sie haben im Leben viel zu leiden, sterben bald oder verfallen einst dem Scharfrichter. Haben im Leben viel zu leiden...
Großmutter fällt mir plötzlich wieder ein. Wie sie mir als Kind das Messer aus der Hand nahm oder die Schere. Wer weiß, vielleicht hatte sie doch recht. Wer weiß.
Die Zwölf galt immer als höchste Zahl, stand für die Unendlichkeit des Wissens. Die zwölf Tierkreiszeichen, die zwölf Monate, die zwölf Stunden des Tages und die zwölf Stunden der Nacht.
Aber dahinter ist immer die Ahnung der Dreizehn, die Ahnung von Geheimnissen.
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