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NACKTE MUSEN

■ Künstlermodelle um 1900 im Georg-Kolbe-Museum

Die Zeitschrift 'Schönheit‘ arrangierte um 1908 in Berlin sogenannte „Schönheitsabende“: Olga Desmond, bekannt als Venus von London, posierte nackt und weißgepudert, um ihrem Fleisch den Schein und die Kühle von Marmor zu verleihen, in „Erwachen“, „Gebet“ und „Schleiertanz“. Aufnahmen von diesen Kompositionen ihres Körpers - „nach dem Leben fotografiert“

-sollten bildenden Künstlern als Vorlage dienen. Aber auch ideologische Ziele, die das Betrachten der Akte in Einklang mit der wilhelminischen Moral bringen wollten, hatten die „Schönheitabende“ zum Ziel: Erziehung zu einem reinen künstlerischen Sehen - selten wohl hat sich männliche Doppelmoral, Voyeurismus und Heuchelei in ein durchsichtigeres Mäntelchen gehüllt - und Schärfung des Blicks für eine bessere „Zuchtwahl“. Schon hier zeigt sich, daß die Kultur der Nacktheit, die mit Schönheit, Natürlichkeit und Gesundheit legitimiert wurde, gegen Korsetts und erstickende Moral des Wilhelminismus als Befreiung auftrat und sich vom Beginn des Jahrhunderts bis in die zwanziger Jahre erst allmählich durchsetzte, selten vom Dunstkreis der Rassenhygiene und der diskriminierenden Ausgrenzung des nicht den Idealen entsprechenden zu trennen war.

Die Ausstellung „Vorbild/Abbild“ im Georg-Kolbe-Museum über die fotografischen Vorlagen der Künstler verweist auf Dr.h.c.Stratz, der zum Beispiel „Die Schönheit des weiblichen Körpers. Den Müttern, Ärzten und Künstlern gewidmet“ schrieb. Er vermaß die weiblichen Modelle und schlug den Künstlern Korrekturen nach den idealen Proportionen der Antike vor. Spuren von Alter, Krankheit und Armut wurden getilgt. Seine Menschenverachtung verdeutlicht ein Zitat: „Tatsächlich besteht der Kaste der Modelle aus blöd dreinschauenden Geschöpfen mit Dienstmädchengesichtern, selten mit durchaus gutem Wuchs, sondern meist nur teilweise brauchbar, mit jämmerlich verschnürtem Brustkorb und den verkrüppelten Füßen der ganzen 'civilisierten‘ Menschheit.“

Die meisten Künstlervorlagen, die zum großen Teil aus der Vorlagen-Sammlung der HdK stammen, zeugen von der Zurichtung des Körpers. Paradoxerweise nennen sich die Akte „Naturaufnahmen“. Die Frauen posierten als Nymphe, Venus und Eva, Kinder als Putte, Amor und Psyche, Männer als Karyatiden, Christus, Apoll oder David. Die Vorlagen, die in den Pornografie-armen Zeiten durchaus den Sammlern und Voyeuren als Erotica willkommen waren, entbehren für den heutigen Betrachter nicht der Komik. In ihnen herrscht eine akademische Steifheit, angestrengte Klassizität, leblose Korrektheit und versteinerte Erotik, die die bildenden Künste jener Zeit, die durchaus nicht nur den nackten Körper als Motiv kannten, schon überwunden hatten. Selbst die Aktfotografien, die Ernst Ludwig Kirchner und George Grosz von ihren Freundinnen schossen, blieben trotz größerer Intimität und Dynamik weit hinter der Expressivität ihrer Gemälde und Zeichnungen zurück.

Außer dem Problem der Idealisierung und Zurichtung des angeblich Natürlichen zeigt die Ausstellung, der man allerdings ihren unglaublich niedrigen Etat von 3.000 Mark zugute halten muß, ein zu harmloses und glattes Bild. Unaufgearbeitet bleiben die soziale Herkunft und die Abhängigkeitsverhältnisse der Modelle. Die komplizierte und verschwiegene Geschichte zwischen Künstler und Modell, die oft eine der Spannungen zwischen Mann und Frau war, wird nicht zum Reden gebracht. Der Künstler verfügt über das Leben des Modells, er sucht den intimen Moment, um ihn zu veröffentlichen. Er nutzt das Modell als Schutzschild seines Exhibitionismus, er brilliert mit dessen Ausstellung. Das Problem der Weiblichkeit, die um den Preis der Beschneidung ihrer realen Existenz in der Kunst zur Muse und Inspirationsquelle stilisiert wird, hätte in diesen Rahmen gehört. Die Pygmalion-Legende und viele Künstler-Novellen des Fin de siecle erzählen davon.

Es findet sich auch kein Hinweis darauf, daß das Aktzeichnen, das an den Akademien zum Grundstein der künstlerischen Ausbildung erklärt wurde, gleichzeitig als Argument diente, Frauen aus sittlichen Gründen nicht an den Akademien zuzulassen.

Katrin Bettina Müller

„Vorbild/Abbild. Künstlermodelle um 1900“ im Georg-Kolbe -Museum bis zum 26.Februar, eingerichtet vom Museumspädagogischen Dienst und dem Georg-Kolbe-Museum, geöffnet Di-So 10-17 Uhr.

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