: Roma-Familien von Abschiebung bedroht
Roma-Familienvater droht, sich und seine Angehörigen zu verbrennen, falls sie nach Jugoslawien abgeschoben werden / Hamburger Senat und Bürgermeister Voscherau lehnen Gnadenerweis ab / HamburgerInnen appellieren an Politiker und verstecken Roma ■ Aus Hamburg Oliver Neß
Durch eine verzweifelte Aktion hat Vehbija Adzovic, Vater einer seit mehreren Monaten von Abschiebung bedrohten Roma -Familie, am vergangenen Mittwoch in Hamburg auf sich aufmerksam gemacht. Mit Benzin übergossen und einem Feuerzeug in der Hand verschanzte er sich mit drei seiner Kinder neun Stunden im Keller der Rom- und Cinti-Union (RCU) in St.Pauli.
Nur der stundenlang beruhigend auf den Roma-Vater einwirkende Hamburger RCU-Vorsitzende und Spitzenkandidat der Grünen für die Europawahl, Rudko Kawczynski, konnte Adzovic davon abhalten, sich selbst und die Kinder zu töten. Gegenüber der taz bekräftigte der Roma gestern allerdings erneut, daß er vor einer gewaltsamen Abschiebung sich und seine zwölfköpfige Familie umbringen werde.
Die Ausländer- und Innenbehörde der Hansestadt bleiben selbst angesichts der Suizidversuche der Roma hart: „An der Abschiebung der Familien halten wir auf jeden Fall fest.“
Auch der Hamburger Senat will sich nicht mit dieser menschlichen Tragödie befassen. Bürgermeister Voscherau, von mehr als tausend BürgerInnen um Gnadenerweis für die insgesamt 26 betroffenen Roma gebeten, ignoriert das Schicksal der Bedrohten seit mehreren Wochen beharrlich.
Seit das Bundesverwaltungsgericht in letzter Instanz am 14.November vergangenen Jahres den Asylantrag der Familie abgelehnt hat, ist die Duldung der Adzovics abgelaufen. Dennoch konnten die Behörden bislang - trotz eindeutiger Absichtserklärungen - nicht zugreifen, weil ihnen der Aufenthaltsort der Adzovics unbekannt war: Hunderte HamburgerInnen hatten sich angeboten, die Großfamilie zu verstecken.
Zuvor hatten es rund 60 berufsmäßig „soziale“ Organisationen wie das Rote Kreuz, der Arbeiter-Samariter -Bund, Caritas und viele andere abgelehnt, die Roma-Familien aufzunehmen. Ein breites Unterstützerbündnis um die Grün -Alternative Liste (GAL), die Hafenstraße, kritische PolizistInnen und antifaschistische sowie antirassistische Initiativen ist seit mehreren Wochen fest entschlossen, eine Abschiebung der Adzovics und der anderen Roma mit allen Mitteln zu verhindern. Zur Zeit hält sich die Familie an einem sicheren Ort auf und wird von den Initiativen geschützt.
Die Abschiebung dieser Familie wäre „nur“ ein Einzelfall unter alljährlich Tausenden. Allein in Hamburg sind derzeit rund 600 Roma und Sinti massiv bedroht, „aus dem Geltungsbereich des Ausländergesetzes“ entfernt zu werden, wie es dort im Paragraphen 22 heißt. Die Erfahrungen der zwei jetzt betroffenen Familien machen die Gründe für ihren verweifelten Kampf gegen die Abschiebung nach Jugoslawien besonders deutlich.
Die Adzovics, die mit ihren Kindern einige Wochen auch in den einst umkämpften Hafenstraßenhäusern gewohnt haben und seit Jahresbeginn täglich ihren Aufenthaltsort wechselten, um sich dem staatlichen Zugriff zu entziehen, kamen bereits 1982 in die Bundesrepublik. Sie waren aus Jugoslawien geflüchtet, weil sie als staatenlose Roma diskriminiert und unterdrückt wurden. In der Nähe der südserbischen Stadt Nisch, wo sie im Vielvölkerstaat lebten, hatten sie nach Auskunft der RCU Arbeitsverbot, durften nicht näher als 30 Kilometer an den Städten siedeln, hausten in Zelten auf Müllhalden, und den Kindern der Roma-Familien war der Schulbesuch untersagt.
Zwei Jahre lang versuchte die Familie, sich im bundesdeutschen Alltag zurechtzufinden. Aus materiellen Gründen schafften sie es nicht. Nach Auskunft der Rom- und Cinti-Union lebten die Roma in Hamburg in einer „menschenunwürdigen Situation“, so daß sie Ende 1983 freiwillig nach Jugoslawien zurückkehrten. Dort wurde der Vater verhaftet und zu fünf Jahren Knast verurteilt. Offizielle Begründung: Handel mit eigenen Waren. Vater Adzovic ist Kunstschmied.
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sind die jugoslawischen Behörden von den zuständigen bundesdeutschen Stellen über die Rückkehr der Adzovics informiert worden. Der eigentliche Grund für die lange Haftstrafe ist nach Aussagen der Hamburger Roma-Vertretung „in der Flucht aus Jugoslawien 1982“ zu sehen.
Die Mutter kehrte Anfang 1984 mit den Kindern erneut in die BRD zurück, der Vater saß die Hälfte seiner Strafe ab, konnte schließlich aber mit Hilfe durch Bestechung seiner Familie folgen. Seitdem leben die Adzovics in Hamburg, ständig überwacht von der Polizei, die bei der Kriminalpolizei sogar eine Sondereinsatzgruppe für sie gebildet hatte.
Doch die Lebensbedingungen der Roma hatten sich nicht verändert. In einem jüngst veröffentlichten Abschlußbericht dieser Kripo-Abteilung wird die Kleinstkriminalität der Kinder als reine „Überlebenskriminalität“ gewertet.
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