piwik no script img

Türkei: Hungerstreik für Schnaps

Endlich: Türkisches Justizministerium klärt Bremer Delegation auf / Warum politische Gefangene in den Hungerstreik traten / Bremer Parlamentarier wollen ihren kurdischen Kollegen international helfen  ■  Aus Ankara Michael Weisfeld

Hüsseyin Turgut sitzt nicht einfach nur hinter seinem Schreibtisch - er thront. Ein riesiges bronzenes Namensschild an der Frontseite des Throns zeigt jedem Besucher, vor wem er sich gerade verneigt. An der Wand hinter dem Thron schreitet Staatsgründer Kemal Atatürk in Gedanken versunken unter dem anatolischen Mond dahin dargestellt nicht in simplem Farbdruck wie in jedem beliebigen Friseurladen, sondern mit Holz-Intharsien. Hüsseyin Turgut ist ein Spitzenbeamter des türkischen Justizministeriums, zuständig für die zivilen Gefängnisse. Die Mitglieder der Bremer Delegation verteilt er leutselig auf den Sesseln zu seinen Füßen. Gesprächsthema: Haftbedingungen, Folter und der Hungerstreik

der politischen Gefangenen am Ende des vergangenen Jahres.

Daß die Haftbedingungen in manchen Gefängnissen hart sind, das wollte Turgut nicht leugnen. Aber: Da säßen ja Terroristen, die ganze Dörfer ausgerottet und Babies mit dem Messer geschlachtet hätten. Die müsse man hart anfassen. Gefoltert werde aber nicht in den Gefängnissen, die unter seiner Aufsicht stehen. Dafür wollte er sich verbürgen.

Paul Tiefenbach, Bürgerschaftsabgeordneter der Grünen, machte einen höflichen Einwand: amnesty international habe gerade eine Liste mit fast 300 Namen veröffentlicht - alles Gefangene, die in den letzten Jahren unter der Folter gestorben sein sollen. Den Knastchef focht das nicht an. Der ständige Foltervorwurf käme allein von den Terroristen und ihren Freunden. Zum

Beispiel der Hungerstreik im letzten Jahr: Da hätten die Terroristen gefordert, daß Tag und Nacht die Zellentüren geöffnet bleiben sollten. Auch in der Nacht hätten sie in die Frauenabteilung hinübergehen wollen. Und sie hätten verlangt, daß ihre Freunde ihnen unbeschränkt Lebensmittel und auch Raki (Schnaps) in die Gefängnisse bringen dürfen. „Das haben wir abgelehnt“, sagte Turgut im Brustton des Rechtschaffenen, „und deshalb heißt es nun, wir foltern unsere Gefangenen.“

Geglaubt haben ihm die Bremer Delegierten nicht viel. In einem waren sie sich sicher: Solche Beamten werden an den jetzigen Verhältnissen in den Gefängnissen nichts ändern.

Die Bremer Delegierten informieren sich nicht nur in der Türkei, sie machen auch richtig Poli

tik. So führten sie intensive Gespräche mit den Parlamentsabgeordneten der sozialdemokratischen SHP, die mit ihrer Partei über Kreuz liegen, weil sie Kurden sind. Sie fordern kulturelle Autonomie für ihr Volk - eigene Sprache, kurdischen Schulunterricht, Zeitungen und Bücher - und das ist in der Türkei bis heute unter Androhung drakonischer Strafen verboten. Die Mehrheit und die Führung der SHP wollen aber auf diese Forderungen nicht eingehen, weil sie selbst als gute Türken meinen, daß es die Kurden als eigenes Volk nicht gibt, und weil sie sich nicht mit der Regierung und den Militärs anlegen wollen.

Die Bremer Delegation will den kurdischen Sozialdemokraten nun internationale Schützenhilfe leisten: Die Bürgerschaftsabgeordnete Barbara Noack

(SPD) will sich an Willy Brandt wenden, den Vorsitzenden der Sozialistischen Internationale, in die die SHP aufgenommen werden will. Barbara Noack: „Unserer Meinung nach muß die SHP ihre Haltung zum Kurdenproblem, zum Problem also einer unterdrückten ethnischen Minderheit, klarstellen. Wenn nicht, soll sie auch nicht in die Sozialistische Internationale aufgenommen werden.“ Auch außerhalb Bremens rechnet sich Barbara Noack für eine solche Initiative Unterstützung aus: „Ich weiß, daß es Bundestagsabgeordnete meiner Partei gibt, die sich bereits stark für Kurden eingesetzt haben.“ Wie sich die Führung der türkischen Sozialdemokraten zum Kurdenproblem stellt, das will Barbara Noack heute in Ankara in der Parteizentrale erkunden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen