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Zählkandidat

Die Grünen und der Bundespräsident  ■ K O M M E N T A R

Die Grünen wollen einen eigenen Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl aufstellen. Die Frage drängt sich auf, ob alles, was gutes Recht einer Partei ist, auch vernünftig ist. Mißtrauisch macht, wie unpolitisch diese Initiative im Bundeshauptausschuß diskutiert wurde, als handele es sich um eine Soli-Erklärung mit Hoch-die/Weg-mit-Charakter. Weizsäcker wäre manches an seinem Image als guter Deutscher anzukreiden, und gerade die Alternative Liste könnte dazu aus seiner Zeit als Berlins Regierender Bürgermeister in Hausbesetzer-Zeiten einiges beitragen. Dennoch kommt man um die Feststellung nicht herum, daß der Christdemokrat Weizsäcker in besonderer Weise die Gefühle und Identifikationswünsche des großen Teils der Bundesdeutschen

-bis in die Linke hinein - anspricht. Das Bedürfnis, sich abgrenzen zu wollen von dem, was der Bürgerkönig Weizsäcker repräsentiert, ist deshalb nicht genug; ihm einen ideellen Gesamtgrünen als bloßen Zählkandidaten entgegenzustellen, ist zumindest waghalsig. Es offenbart die Schwierigkeiten der Grünen mit einem Amtsinhaber, dem man nicht vorwerfen kann, er sei als verantwortliches Mitglied der Vater -Generation ein Vertreter des Staates, den wir ablehnen.

Welches politische Signal für eine veränderte Gesellschaft wollten die Grünen setzen, das in ihrer gegenwärtigen Verfassung nicht vor allem sie selbst zerrisse? Die Schwierigkeiten, den Kandidaten zu finden, kommen noch hinzu. Zu frisch sind die Erinnerungen an die Kandidatin der Grünen bei der letzten Bundespräsidentenwahl, Luise Rinser, die sich dann sogar des Verdachts der nationalsozialistischen Verherrlichung ausgesetzt sah. Die Grünen stehen derzeit nicht gerade so gut im Fleisch, daß sie sich mutwillig jede sichere Niederlage aussuchen könnten. Kann es für den Beschluß noch einen anderen Grund geben? Nach dem Gehacke der letzten Zeit scheint jedenfalls der Verdacht nicht abwegig, hier werde auch ein neuer innerparteilicher Konflikt angerührt. Schließlich hatten bereits einige dem Realo-Lager nahestehende Mitglieder der Bundestagsfraktion signalisiert, für Weizsäcker zu stimmen. Den Grünen wäre zu wünschen, der Beschluß erledige sich von ganz allein.

Gerd Nowakowski

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