Der schwere Gang in die 1. Runde

Michael Westphal muß heute bei den Australian Open gegen keinen Geringeren als John McEnroe spielen  ■  Aus Melbourne Herr Thömmes

Ginge es um das schiere Vergnügen, Michael Westphal müßte die Vorfreude förmlich aus den Augen springen. Doch davon ist nicht viel zu spüren, auch wenn er sagt, es mache immer Spaß, gegen einen der ganz Großen des Gewerbes auf dem Platz zu stehen. Und jetzt führt ihn das Los ausgerechnet mit John McEnroe zusammen, gleich in der ersten Runde der Australischen Tennismeisterschaften in Melbourne, einem der vier Grand Slam-Turniere.

Gegen den hat Westphal noch nie gespielt in seinen acht Jahren als Profi, und die Hoffnung auf einen Erfolg gegen den Amerikaner entspringt am ehesten dem Alter des genialen John. „Fünf Sätze, die Hitze, und McEnroe spielt nicht mehr so konstant wie früher“, meint Westphal. Tatsächlich klagt der 30jährige seit langem über den Streß seines Berufes, und einem australischen Reporter gestand McEnroe vergangene Woche, er sitze oft mit Tränen in den Augen da und spüre seinen ganzen Körper: „In solchen Augenblicken habe ich richtige Depressionen und überlege, ob alles nicht bloße Zeitverschwendung ist.“

Zwei Jahre versucht er bereits, in der Weltrangliste wieder ganz nach vorne zu kommen. „Ziemlich lange für ein Comeback“, witzelt Boris Becker, der glaubt, daß McEnroe bei großen Turnieren wie in Melbourne, wenn es gilt, zwei Wochen lang die Form zu halten, seinem Alter wird Tribut zollen müssen. Für ein exzellentes Match aber ist der Amerikaner allemal gut, und sollte er gegen Westphal gewinnen, geriete für diesen die Arbeit bei den Australian Open zu einem „Minusgeschäft“. Ganze 1.850 Dollar erhält, wer hier gleich ausscheidet (Westphal beziffert seine Kosten für den Melbourne-Trip auf 25.000 Mark), kaum der Preis eines Tickets nach Europa. Und Westphals Ziel, „am Ende des Jahres unter den ersten 50 zu sein“, würde einen ersten Dämpfer bekommen.

Das lange Comeback

Der Comebackversuch des Deutschen, obgleich erst 23 Jahre alt, dauert nicht weniger lange als der McEnroes. 1985, da war er wer, gefeiert von der Presse, nachdem sein fünfstündiges Marathonmatch gegen Tomas Smid half, im Davis Cup die CSSR zu bezwingen. Doch nach dem unerwarteten Ausscheiden im gleichen Wettbewerb gegen Mexiko ein Jahr später ging's bergab. Der 49. der Weltrangliste fand sich Ende 1987 auf Platz 285 wieder; ganze 30.854 Dollar Preisgeld sind für diese zwölf Monate bei ihm verbucht. Ziemlich wenig für einen, der als selbständiger Unternehmer agiert und für alle Kosten selbst aufkommen muß. Und verbunden mit einer solchen Plazierung war, daß Westphal nicht mehr für alle Turniere ins Hauptfeld rutschte. Folge: Anreise eine Woche vor Turnierstart - Qualifikationsspiele. Erlös im Falle eines Mißerfolgs: null Dollar. Nun ist es beileibe nicht so, daß der Tennisprofi Westphal darben müßte. Die Bundesliga beschäftigt ihn fünf Wochen im Jahr und nährt ihre Spitzenakteure gut, und der auf dem Höhepunkt seiner Karriere abgeschlossene Werbevertrag mit einer Sportartikelfirma läuft noch bis Ende dieses Jahres. Danach jedoch gilt es, neu zu verhandeln, und es gibt genug andere deutsche Tennisspieler, die derzeit besser im Geschäft sind. Es geht also um einiges in den kommenden Monaten, und seit Oktober vergangenen Jahres arbeitet Westphal erstmals seit langem wieder mit einem Trainer zusammen. Schließlich will er „noch einige Jahre Tennis spielen“. Was bliebe auch als Alternative für einen, der seit der Mittleren Reife gut 40 Wochen im Jahr unterwegs ist in Sachen Tennis? Daran denke er nicht, sagt Westphal, lieber schon an seine Steigerung im Jahre 1988, die ihn letztlich auf den Rang 116 brachte und von der lästigen Pflicht der Qualifikationen befreite. Tendenz steigend also, aber ob das reicht für die ersten 50, wo doch Westphal ebenso wie Becker feststellt, daß in den letzten Jahren alle viel besser geworden sind in dieser Sportart.

Zunächst einmal aber gilt es, das Problem McEnroe zu lösen. Gelingt das nicht, bleiben Westphal ein paar Tage mehr Zeit zum Skifahren und der mathematische Trost, daß er „bei 20 Turnieren im Jahr nicht oft gegen einen wie McEnroe antreten muß“ in der ersten Runde. Auf diese Ehre nämlich, das ist ihm anzusehen, würde Michael Westphal lieber verzichten.