: Wissenschaft und Technik: VERKEHRTE GENE
Biotechnologen lieben die Tomate. Die Tomate nämlich, vom Supermarkt frisch auf den Tisch, läßt reichlich zu wünschen übrig. Die grausamste Erfindung der Landwirtschaft ist diese harte, rosa, im Laden erhältliche Tomate, die wie ein Gummiball schmeckt, steht im Wissenschaftsmagazin 'Science‘ zu lesen. Ein Eingriff der Gendoktoren sei bitter notwendig. Es gelingt der Tomatenindustrie nun mal nicht, eine reife, wohlschmeckende Tomate vom Feld zum Verbraucher zu befördern, bevor sie fault. Deshalb werden Tomaten grün geerntet und transportiert und kurz vor dem Verkauf mit Äthylen begast. Dabei entsteht zwar rote Farbe, aber dem Geschmack fehlt das gewisse Etwas, eine Geschmackskomponente genaugenommen, die nur beim natürlichen Reifungsprozeß im Sonnenlicht entsteht. William Hiatt von der kalifornischen Biotechnologie-Firma Calgene Inc. und Donald Grierson von der englischen Universität Nottingham haben nun eine Methode gefunden, das Gen, das Tomaten überreif und weich werden läßt, abzuschalten. Sie schnipselten das verantwortliche Gen aus seinem DNS-Strang heraus und setzten es verkehrt herum wieder ein. Die so behandelten Tomaten werden reif, aber nicht weich, und die Gendoktoren hoffen nun, reife, schmackhafte Tomaten unversehrt zu Markte tragen zu können. Außerdem werden zukünftige Produzenten der „verdrehten“ Tomate Verluste einsparen, weil sie mit der Ernte warten können, bis alle Tomaten reif sind, und nicht wie bisher die Nachzügler hängen lassen müssen. Calgenes Auftraggeber, der Tomatensuppen- und Ketchup-Konzern „Campbell's Soup Company“, hofft dank des Verkehrten-Gen-Tricks noch einiges mehr zu Markte zu tragen. Die neue Tomate kann nämlich bei niedrigeren Temperaturen als ihre traditionellen Vorfahren verarbeitet werden. Dabei verbleiben mehr feste Bestandteile in Dosentomaten, und laut Calgenes Vorsitzendem Robert Goodman kommt „endlich Tomatensoße, die an den Spaghetti klebt“, auf den Tisch. Campbell und die angeheuerten Biotechnologen haben somit mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen, denn die Tatsache, daß Tomaten zu 95 Prozent aus Wasser bestehen, und Tomatensoße zuweilen zu wässrig ausfällt, ist denen schon lange ein Dorn im Auge. Die Methode der verkehrten Gene soll nicht auf Tomaten beschränkt bleiben. Holländische Biotechnologen haben mit dem Trick bereits das Gen abgestellt, das Petunien ihre Farbe verleiht. Auf dem weiteren Programm stehen zum Beispiel druckfeste Pfirsiche und koffeinfreier Kaffee. Vorsorglich haben beide Forschergruppen für die Methode in den USA beziehungsweise in Europa Patent beantragt. Calgene will die Tomate im Laufe dieses Jahres in Freilandversuchen testen - über der Grenze in Mexiko, denn so lassen sich die lästigen Regulierungen in den USA umgehen. Mittlerweile arbeitet die Natur mit ihren eigenen Tricks. Die kosten weniger Geld und haben sich meist über Millionen von Jahren bewährt. Koffeinfreien Kaffee zum Beispiel hat sie schon längst hergestellt. Den entdeckte Mark Plotkin, Botaniker beim World Wildlife Fund, kürzlich im Regenwald im östlichen Mosambik. Womöglich gibt es in natura auch schon eine Tomate, die weniger Wasser als „die grausamste Erfindung der Landwirtschaft“ enthält. Vielleicht sollten Calgene, Campbell und Co. lieber in den Schutz der Regenwälder als in die Biotechnologie investieren?
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