piwik no script img

„Wir fordern die Null-Lösung“

Rechtsanwalt Wolfgang Wieland, Fraktionsvorsitzender der Alternativen Liste im Abgeordnetenhaus und einziger Vertreter seiner Partei im Untersuchungsausschuß, über die „Aktivitäten“ des VS  ■ I N T E R V I E W

taz: Ist der parlamentarische Untersuchungsausschuß zur Verfassungsschutzaffäre nur ein Wahlkampfgag?

Wolfgang Wieland: Der Ausschuß kommt in der Tat zwei Jahre zu spät. Monatelang wurde seine Einrichtung durch Machtmißbrauch der Koalitionsfraktionen von CDU und FDP, gepaart mit der Dummheit der SPD, verhindert. Aber jetzt, wo er da ist, ist er nützlich. Es gilt das Motto: Wo man hinfaßt Scheiße.

Was hat sich an den Vorwürfen bezüglich der Machenschaften des Geheimdienstes jetzt schon bestätigt?

Erstmal, daß der Verfassungsschutz einen verurteilten Steinewerfer zu dem SPD-Abgeordneten Pätzold gehen ließ und sich dort insbesondere für dessen Informationsquelle interessierte. Auf der Suche nach dem „Leck“ im Amt schreckte man noch nicht einmal vor der Ausspähung des parlamentarischen Geheimdienstkontrolleurs zurück. Der Komplex Journalistenauspähung konnte längst nicht abgeschlossen werden. Fest steht jedoch schon, daß die Beobachtung der taz als Ganzes nicht in den Bereich der Fabeln gehört, wie Innensenator Kewenig behauptet, sondern über Jahre hinweg Realität war.

Heißt das, daß es gegenwärtig keine „operativen Maßnahmen“ des Amtes mehr gegen die taz gibt?

Nach meinem Kenntnisstand hörte die taz im Mai 1988 auf, „Verdachtsobjekt“ zu sein. Dies schließt weder aus, daß ausländische Dienste nach wie vor ein Interesse an der taz haben noch daß sich „abgeschaltete V-Leute“ weiterhin in der taz befinden. Die Journalisten-Ausspähung beschränkt sich natürlich nicht auf die taz. Aufschlußreich wird hier vor allem eine Untersuchung werden, inwieweit sich der Verfassungsschutz für gewerkschaftliche und andere journalistische Zusammenschlüsse interessierte.

War es nicht ein alter Grundsatz der grünen Parlamentsarbeit, alles öffentlich zu machen?

Genausoalt ist der Grundsatz der Regierenden in Berlin, die Alternative Liste von allen Geheimdienst-Informationen abzuschneiden. Ich wurde in diesen Ausschuß gewählt einen Tag, nachdem die CDU noch einen Untersuchungsausschuß ohne die AL gefordert hatte. Eine Woche danach forderte der CDU -Generalsekretär den Ausschluß der AL wegen der vom Verfassungsschutz gesteuerten Festnahme der Tochter des Kreuzberger AL-Baustadtrats wegen des Verdachts auf ein 129a -Delikt. Vergangene Woche wollte die CDU mich im Ausschuß zum Zeugen machen, um mich auf diesem Weg aus dem Ausschuß zu katapultieren. Vor diesem Hintergrund ist es wohl verständlich, daß ich diesen Herren nicht den Gefallen tue, einen Geheimnisverrat zu begehen. Es kommt auch so alles heraus.

Sie haben offenbar Informationsquellen aus dem Amt. Sind das Leute, die die AL-Forderung nach Abschaffung „der unheimlichen Behörde“ vorantreiben wollen?

Möglicherweise bildet sich in Berlin schneller eine Arbeitsgruppe kritischer Verfassungsschützer als eine Arbeitsgemeinschaft kritischer Polizisten. Wir haben folgenden Eindruck: Schlösse man alle Verfassungsschutz -Mitarbeiter für eine Nacht in ihrem Amt ein und drehte ihnen den Strom ab, es gäbe wohl kaum Überlebende. Die Mitarbeiter weigern sich zum Teil, gemeinsam in einem Zeugenraum auf ihre Vernehmung im Untersuchungsausschuß zu warten. Totale Abkapselung von der Außenwelt, das Fehlen jeglicher öffentlicher oder parlamentarischer Kontrolle, Abschirmung der eigenen Tätigkeit auch im Amt gegenüber anderen Mitarbeitern, all das läßt eine Situation entstehen wie im Dampfkessel. Von daher müßten eigentlich alle Verfassungsschutzmitarbeiter in ihrem eigenen Selbstschutzinteresse die neu entstandene Öffentlichkeit und Diskussion um das Amt dankbar aufgreifen. Dies, zumal wir auch den Eindruck haben, daß in der Regel für den Einzelnen kein Weg aus diesem Amt in eine andere Tätigkeit im öffentlichen Dienst führt, Strafversetzungen einmal ausgenommen.

Welche Funktion hat denn diese Behörde eigentlich?

Dies ist eine Behörde, die mit nur wenigen politischen Vorgaben ihre Betätigung selber sucht: Die Beobachtung aller kritischen BürgerInnen links von der CDU. Wir müssen nach wie vor von 190.000 Personenspeicherungen in Berlin ausgehen und wissen, daß die Kapazitäten, die in den 70er Jahren unter Willy Brandt und Helmut Schmidt geradezu explosionsartig ausgebaut wurden, fortbestehen. Sie haben sich geradezu auf die AL - mit zehn Prozent immerhin die drittstärkste Partei in dieser Stadt - geworfen. Von der politischen Spitze wurden sie nicht etwa gebremst, sondern dem Vernehmen nach sogar noch ermuntert. Innensenator Kewenig hat bisher mit einer Kette von Unwahrheiten und Vertuschungen versucht, gerade diesen Komplex unter der Decke zu halten.

Und worin unterscheidet sich der Umgang der AL mit dem Thema Verfassungschutz von dem der anderen Parteien?

Wir sind die einzigen, die keine Leichen im Keller haben. Deshalb meinte auch CDU-Generalsekretär Landowsky: „Dieser Ausschuß nützt nur der AL.“ Das wollen wir doch allerdings hoffen - aber in dem Sinne, daß er der kritischen Öffentlichkeit, den bespitzelten Menschen nützt. Die SPD fordert den „sauberen Verfassungsschutz“, wir fordern die Null-Lösung. Hier liegt eine teilweise Interessengleichheit vor, die aber da aufhört, wo es um Schandtaten des VS aus SPD-Regierungszeiten geht. Hier ist die SPD im Wort, daß sie sich auch in der neuen Legislaturperiode für die Fortführung des Ausschusses einsetzen wird - auch und gerade wenn es dann um den Schmücker-Komplex, die Bespitzelung von Abgeordneten und Rechtsanwälten gehen wird.

Interview: Till Meyer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen