: Der sicherheitspolitische Konsens zerbricht
Alfred Mechtersheimer, Abgeordneter der Grünen, zur Verlängerung des Kriegsdienstes von 15 auf 18 Monate ■ I N T E R V I E W
taz: Es gibt einen großen „Überhang“ an Wehrpflichtigen und trotzdem soll es bei der Verlängerung des Kriegsdienstes auf 18 Monate bleiben. Ein symbolischer Akt?
Mechtersheimer: Die Bundesregierung fürchtet offenkundig die psychologischen Auswirkungen auf die sogenannte Verteidigungsbereitschaft. Aus der Sicht der Bundesregierung und der Hardthöhe ist es sicher logisch, daß sie an ihrer überholten Position festhalten. Aus unserer Sicht ist diese Entscheidung von Vorteil, weil damit die Abkehr der Bevölkerung von der bisherigen Sicherheitspolitik beschleunigt wird: Der sicherheitspolitische Konsens wird erst recht zerbrechen.
Woher diese Einschätzung?
Alle Umfragen zeigen, daß die psychologischen Voraussetzungen für Landesverteidigung, insbesondere in diesem gewaltigen Umfang, nicht mehr gegeben sind. Das hat mittlerweile schon Auswirkungen bis tief in die Streitkräfte hinein. Nicht nur die Kriegsdienstverweigerung, auch die Unzufriedenheit bei den Piloten machen der militärischen Führung ganz erhebliche Sorgen.
Die Zahlen gehen ja ziemlich durcheinander. Mal ist die Rede von einem „Überhang“ von 400.000 Männern, mal von 700.000.
Das ist in der Tat nicht genau zu fassen, weil es keine verbindlichen Abgrenzungskriterien gibt. Die Zahl 700.000 ist sicher zu hoch. Wir haben auch gerechnet und festgestellt, daß bei einer Reduzierung auf 12 Monate der Bundeswehrumfang im Augenblick sogar erhalten bliebe. Allerdings würde dann in zwei bis drei Jahren ein Druck entstehen, die Bundeswehr zu reduzieren. Genau das wäre ein richtiger, vorbereitender Schritt, um die Bundeswehr in absehbarer Zeit deutlich abzubauen.
Die Bundesregierung will also auf jeden Fall an der 495.000 -Mann-Armee festhalten, obwohl das ja immer nur als „Soll -Stärke“ gedacht war.
Man darf nie vergessen, daß, ungeachtet der Sicherheits und Bedrohungsdebatte, der Umfang der Bundeswehr ein sehr starkes Element im Machtpoker innerhalb Westeuropas ist. Die BRD versucht mit diesem Militärpotential ihre relative Stellung innerhalb des Westens stark zu halten; das ist möglicherweise noch wichtiger als die anderen Gesichtspunkte.
Fürchtet die Bundesregierung auch neue Auseinandersetzungen mit den USA, die ja auf höhere Ausgaben für die „konventionelle Verteidigung“ pochen?
Wäre es nur bei den 15 Monaten geblieben, hätte das international eine große Signalwirkung. In den USA hätte das sicherlich Reaktionen ausgelöst, die ich begrüßen würde, die CDU-Regierung jedoch in die alten Sicherheitsängste treiben würde.
Es heißt, die Bundeswehr habe mit 300.000 Wehrpflichtigen „Abmachungen“ getroffen, wonach diese erst nach dem Studium oder nach der Lehre einrücken müssen. Ist das denn realistisch? Die Bundeswehr hat ja immer Interesse an jüngeren Wehrpflichtigen.
Gewiß, die Jüngeren sind handhabbarer und billiger. Aber man sieht: Ein militärischer Bedarf existiert nicht, sonst würde man nicht zu solchen Manipulationen greifen. Es handelt sich um eine Machtdemonstration auf dem Rücken einer Bevölkerungsgruppe, die meint, sich nicht wehren zu können.
Warum ist der Streit innerhalb der Koalition nun so ausgegangen?
Das ist auch eine Frage an die FDP, die sich permanent an den Widersprüchen und Irrationalitäten auf der Hardthöhe profiliert. Wir haben ja immer erlebt, ob beim „Jäger 90“ oder beim Tiefflug, daß die Kritik letztlich immer auf dem Altar der Koalition geopfert wird. Hinzu kommt, daß mit der Zurücknahme dieser Entscheidung, die von Scholz ja sehr befürwortet wird, der Verteidigungsminister noch stärker demontiert worden wäre.
Interview: Ursel Sieber
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