Giftgas-Deal: Ein erster Beweis

Unternehmer bestätigt Lieferung von C-Waffen-Grundstoffen / Neue Geständnisse aus Bonn  ■  Von Wiedemann und Bornhöft

Bonn/Berlin (taz) - Erstmals liegt jetzt ein stichhaltiger Beweis für den Verdacht vor, in der libyschen Chemiefabrik „Pharma 150“ solle Giftgas produziert werden. Der Geschäftsführer der Reederei Rhein-Maas-Seekontor (RMS), Friedhelm Junk, bestätigte im ZDF, 1985 und 1986 tonnenweise Chemikalien nach Libyen geliefert zu haben. Dabei handelte es sich zweifelsfrei um Grundstoffe für die Herstellung der Chemiewaffen Senfgas und Lost.

Im Bonner Bundestag räumte Kanzleramtsminister Schäuble gestern ein, daß die Bundesregierung bereits wesentlich länger im Besitz von Informationen zur Giftgas-Affäre ist, als bisher zugegeben wurde. Der Bundesnachrichtendienst (BND) habe im August 1987 darauf hingewiesen, daß in Libyen „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ eine Kampfstoffanlage im Bau sei. In der geheim tagenden parlamentarischen Kontrollkommission war allerdings am Abend zuvor diese BND -Mitteilung sogar auf das Jahr 1986 datiert worden. Im Mai 1988, so Schäuble, erhielt das Auswärtige Amt „ein Papier“ aus den USA, in dem bereits drei deutsche Firmen, genannt wurden darunter Imhausen. Schäubles Chronik zufolge machte der BND am 24. November darauf aufmerksam, daß Imhausen -Akten ins „benachbarte Ausland“ transportiert worden seien. Zur Erinnerung: Sechs Wochen später stellte die Freiburger Oberfinanzdirektion der Firma Imhausen nach Prüfung der Bücher einen Persilschein aus.

Doch auch nach dem verdächtigen Aktentransfer sei ein „Anfangsverdacht nicht zu begründen gewesen“, behauptete Schäuble. Beim gegenwärtigen Erkenntnisstand müsse davon ausgegangen Fortsetzung Seite 2

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werden, daß die libysche Anlage zur Produktion von Kampfstoffen geeignet sei. Aber „der Bürger“ - „und auch Unternehmen sind Bürger“ - müsse in „seiner Privat

sphäre“ und vor „öffentlichen Vorverurteilungen geschützt“ werden.

Während Redner der Union ins gleiche Horn stießen und die Bundesregierung von „Versäumnissen“ freisprachen, machte der SPD-Abgeordnete Norbert Gansel den Kanzler dafür verantwortlich, „die deutsche und internationale Öffentlichkeit getäuscht“ zu haben. Kohls Bestürzung bei seinem Besuch in Washington sei „Heuchelei“ gewesen, da er Schäubles Chronik zufolge bereits am 20. Oktober, also knapp vier Wochen vorher, „zusammenfassend“ informiert wurde.

Die SPD fordert von der Bundesregierung einen schriftlichen Bericht bis zum 15. Februar und will erst danach über die Notwendigkeit eines Untersuchungsausschusses entscheiden. Der Auswärtige Ausschuß wird sich auf Antrag der SPD am kommenden Mittwoch in einer Sondersitzung mit der Libyen -Affäre befassen.

Über die Verwicklung der Duisburger RMS-Reederei hatte das ZDF berichtet, daß Unternehmen habe mit den gecharterten Schiffen „Bernhard Schulte“ und „Wilhelm Schulte“ Aufträge für den gegen

wärtig inhaftierten Jozef Gedopt erledigt. Gedopt ist Chef der belgischen Cross Link GmbH. Die Schiffe transportierten über 100 Tonnen Ethylenchlorhydrin und Phosphortrichlorid zum Empfänger „Technik-Center Tripolis“. Diese Stoffe können nach Angaben des Verbandes der chemischen Industrie (VCI) zur Herstellung der chemischer Kampfstoffe wie zum Beispiel Senfgas „mißbraucht“ werden.

Dies bestätigte gestern auch das für Exportkontrollen zuständige Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft in Eschborn. Erst nach einstündiger Recherche konnte ein Sprecher der Behörde der taz mitteilen, der Export von Phosphortrichlorid sei genehmigungspflichtig. Das gelte nicht für das ebenfalls von der RMS-Reederei verschifften Ethylenchlorhydrin. Dieses Zeug fand das Bundesamt allerdings auf seiner sogenannten „Borning-Liste“. Darin sind Chemikalien aufgeführt, die die Hersteller nur an „zuverlässige Endabnehmer“ verscherbeln. „Die großen Chemieunternehmen“, versichert das Bundesamt, „handeln diese Güter nicht mit Unbekann

ten“. Die dritte nach Libyen verladene Chemikalie, 256 Tonnen Tri-N-Butylamin, kann ohne irgendeine Beschränkung gehandelt werden.

Ob die Sendung auf illegalen Wegen nach Libyen kam ist unklar, weil die Hersteller (noch) nicht bekannt sind. Die Duisburger Reederei indes bleibt cool. Gegenüber der Nachrichtenagentur 'ap‘ sagte ihr Geschäftsführer, sein Unternehmen habe nicht als Exporteur, sondern als „reiner Seetransporteur“ die Chemikalien von Antwerpen nach Libyen transportiert. „Das ist nicht genehmigungspflichtig“.

Wo sich Dr. Jürgen Hippenstiel-Imhausen herumtreibt, blieb gestern weiterhin ungewiß. Sein Sekretariat konnte sich nicht erklären, wieso am Vortage ein Firmensprecher gesagt hatte, Imhausen habe Lahr „auf unbestimmte Zeit verlassen“. Jetzt heißt es, der Mann stehe „den Ermittlungsbehörden jederzeit zur Verfügung“.

Uneinigkeit auch bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Offenburg: Der eine „weiß genau, wo Imhausen ist“, der andere hatte noch am Vortag der Agentur 'afp‘ gesagt, man habe keine Ahnung.