piwik no script img

CDU sichtet Richard Kimble in Berlin

Abgeordnetenhaus diskutiert 10 Tage vor der Wahl Zwischenbericht des Untersuchungsausschusses zum Verfassungsschutzskandal / Bespitzelter SPD-Parlamentarier des Verfolgungswahns bezichtigt  ■  Aus Berlin Wolfgang Gast

Der Berliner Wahlkampf bestimmte gestern die Debatte um den Zwischenbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der lediglich einen Komplex der vielfältigen Skandale der Berliner Verfassungsschutzbehörde behandelt. Zehn Tage vor der Abstimmung lieferten sich gestern die Parlamentarier in einer Sondersitzung des Abgeordnetenhauses erregte Wortgefechte. Der CDU -Fraktionsvorsitzende Landowsky wollte gar den Bock zum Gärtner machen. Er erklärte, der SPD-Sicherheitsobmann Pätzold habe selbst die Treffen mit dem V-Mann Telschow arrangiert und dabei von Anfang an dessen Arbeit für den Verfassungsschutz gekannt. Die Motive, die der CDU-Chef in den Vorwürfen des bespitzelten Pätzold erkannt haben will: „Verfolgungswahn, Selbstüberschätzung und ein bißchen Richard Kimble.“ Pätzold führe sich auf wie „der Kojak vom Wedding“.

Über die Angriffe auf den Bespitzelten hinaus haben die Christdemokraten ihre Reihen fest hinter der von Innensenator Kewenig herausgegeben Verteidigungslinie geschlossen. „Nie“ hat es demnach einen Auftrag zur Ausforschung des SPD-Mitgliedes gegeben. Daß der „V-Mann Telschow“ dreimal Pätzold trotzdem aufsuchte und gezielt nach dessen Interna aus dem Verfassungsschutz aushorchte, soll nun der Chef des Verfassungsschutzes, Dieter Wagner, allein ausbaden.

Die Vertreter der Opposition bekundeten übereinstimmend, daß es ihnen sichtlich schwer fällt, den Erklärungen des Innensenators, des zuständigen Staatssekretärs Müllenbrock und nicht zuletzt auch denen des Regierenden Bürgermeisters Diepgen Glauben zu schenken. Trotz der Gerüchte und mehreren parlamentarischen Anfragen hatte die politisch verantwortliche Spitze des VS immer wieder behauptet, erst Ende November und damit acht Wochen nach der Weisung Kewenigs von den Besuchen des V-Manns bei Pätzold erfahren zu haben. Die einzige Konsequenz, die der Christdemokrat Landowsky gestern einräumen wollte: „Die Strukturen im Amt sind nicht mehr intakt. Das werden wir nach den Wahlen ändern.“

AL und SPD resümierten, spätestens nach der „Beichte“ am 24.November des VS-Chefs hätten Müllenbrock und Kewenig die Parlamentarier wissentlich belogen. Für die AL-Fraktion forderte Wolfgang Wieland, das angebotene „Offiziersopfer Wagner“ schleunigst anzunehmen. Viel lieber aber sähe er, wenn darüber hinaus die ganze „Troika der Nieten“, Wagner, Müllenbrock und Kewenig in die Wüste geschickt würde. Die Hauptakteure des Dramas mit unbegrenzten Akten, Wagner, Müllenbrock, Kewenig und Diepgen, übten sich gestern in Zurückhaltung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen