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Stippvisite im wilden Kurdistan

Die Bremer Türkei-Delegation bei der rebellischen kurdischen Minderheit / In den Slums der Großstädte / In den Dörfern unter Polizeiaufsicht / In den Flüchtlingslagern / Praktische Konsequenzen der Türkeireise noch offen  ■  Von Michael Weisfeld

Emine Celebi ist seit wenigen Wochen Witwe, als ein Kleinbus voll gut gekleideter Deutscher sie in ihrem Haus besucht. Sie hockt blaß auf dem Boden ihrer Stube, ihre drei kleinen Töchter drängen sich um sie, eine an ihrem Rock

fast ununterbrochen weinend vor Angst. Emine Celebi spricht rasch, als sie das Wichtigste erzählt hat, kommen ihr die Tränen. In der türkischen Öffentlichkeit ist der Tod ihres Mannes, den die Polizei erschlug und quasi posthum totschoß, bekannt geworden. Die Delegation aus

Bremen hat von türkischen Parlamentsabgeordneten und Journalisten schon davon gehört:

Im November war Sadel Celebi aus Istanbul, wo er gearbeitet hatte, nach Hause zurückgekehrt. „Die Polizei sucht dich“, sagte ihm seine Frau. Celebi wollte sich stellen. Zwar nicht bei der gefürchteten Einheit, die sein Dorf seit Jahren kontrolliert, aber in der etwa 100 Kilometer entfernten Provinzhauptstadt Mardin. Also machte er sich mit zwei Verwandten im Auto auf den Weg. Aber er kam nur wenige Kilometer weit. Bei einer Straßensperre nahmen die „Jandarma“ (wehrpflichtige Soldaten im Polizeidienst) alle drei Insassen des Autos fest. Celebis Verwandte kamen tags drauf frei. Von ihm hörte seine Familie erst nach über einer Woche: Sie sollte seine Leiche aus dem Krankenhaus holen, sagte die Polizei.

Sein Körper sei über und über mit Blutergüssen bedeckt gewesen, berichtet seine Frau nun der Bremer Delegation. In seiner Brust jedoch hätten zwei Pistolenkugeln gesteckt. Die allein, so die Version der Polizei, hätten seinen Tod verursacht. Bei einer Schießerei zwischen der kurdischen Partisanen der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) und der Jandarma sei Celebi tödlich getroffen worden. Wenn das die Wahrheit wäre, meint Celebis Familie, dann wären die Kugeln nicht im Körper steckengeblieben; die Polizei muß also in den Leichnam geschossen haben, um ihre eigenen Spuren zu verwischen. In der Hoffnung auf eine Autopsie, die die wahre Todesursache ans Licht bringen soll, bewahrte Emine die Leiche ihres Mannes länger als eine Woche in ihrem Hause auf. Doch die Behörden weisen ihr Gesuch ab. Schließlich wird Sadet Celebi,

der zweimal Getötete, in seinem Dorf begraben.

Bürgerschaft und Senat haben drei Abgeordnete und sechs sachkundige Bürger ausgesandt, damit sie sich an Ort und Stelle kundig machen, wie weit die Menschenrechte in der Türkei gelten. Ein besonderer Schwerpunkt: Wie geht die Türkei mit den Kurden um, der nationalen Minderheit, die den Osten Anatoliens bewohnen, in wachsendem Maße aber auch die Slums und Arbeiterviertel der großen türkischen Städte. Dort, so berichteten Parlamentsabgeordnete kurdischer Herkunft den Bremer Delegierten, werde die (verbotene) kurdische Sprache zum Umgangsidiom in den Teehäusern und Omnibussen. Sie verlangen kulturelle Autonomie, ihre Muttersprache soll legalisiert, in Schulen und den Zeitungen zugelassen werden.

Doch zurück in den bergigen, wirtschaftlich zurückgebliebenen Osten Anatoliens. Die kurdischen Provinzen stehen noch immer unter Ausnahmerecht. Kein Dorf ohne eine Kaserne der Jandarma, Ausgangssperre bei Nacht, Straßenkontrollen.Wenn ein Auto durchsucht wird - so geschehen auch mit dem Kleinbus der Bremer Delegation gehen die Soldaten im Straßengraben in Deckung, ihre deutschen Gewehre (G 3) schußbereit.

In den Bergen operieren die Partisanen der PKK. Ihnen genügt die kulturelle Autonomie nicht, von denen die Sozialdemokraten in den Städten des Westens reden. Die PKK verlangt einen kurdischen Staat. Dargecit, das Heimatdorf des in der Folter gestorbenen Sadet Celebi, ist einer der wichtigsten Stützpunkte der Guerilla, davon gehen jedenfalls die türkischen Behörden aus. Von Celebis Brüdern

sitzen zwei im berüchtigten Militärgefängnis von Diyarbakir, weil sie die PKK unterstützt haben sollen. Fast jeder Erwachsene im Dorf hat die Folter auf den Polizeirevieren kennengelernt: Palästinahaken, Prügel, Elektroschocks. Hunderte gingen in die Industriegebiete der Türkei oder ins Ausland.

Die Bremer Delegierten hören zu, notieren, machen Fotos. Jochen Zenker, Leiter des Bremer Gesundheitsamts, geht mit seiner Filmkamera durchs Dorf. Ein Junge reitet ihm auf seinem Esel entgegen, die linke Faust in einem löcherigen Wollhandschuh hoch über seinen Kopf gereckt. Über Hilfe für die Witwe des zu Tode Gefolterten wird unter den Bremern kurz diskutiert. Rechtsberatung von Bremen aus, um doch noch eine Autopsie durchzusetzen? Ronald Mönch, Rektor der Hochschule Bremen, legt ein paar Geldscheine, die die Witwe nicht annehmen wollte, auf die Kommode.

Die Zeltstadt

Die kurdische Stadt Mardin liegt oben auf der Kante des Hochlandes. Zu ihren Füßen, in der Tiefeben, ein Lager für 13.000 Flüchtlinge, die Ende August 1988 vor den irakischen Angriffen über die Grenze strömten. Die irakischen Kurden in ihren autonomen Gebieten im Grenzland hatten im Golfkrieg den Iran unterstützt. Der Irak strafte sie mit Giftgas. Jetzt leben sie in Zelten und werden den ganzen Winter darin verbringen. Schön sieht die riesige Zeltstadt nur von weitem aus. „Wie die Türken vor Wien“, erinnert man sich in der Bremer Delegation an den gymnasialen Geschichtsunterricht. Doch aus der Nähe: Der kalte Wind aus den Bergen schüttelt die betagten Zelte des türkischen

„Roten Halbmonds“ erbarmungslos. Mit Plastikfolien sind sie stellenweise verstärkt. Gegen den kalten Lehmboden schützt die Flüchtlinge ebenfalls nur eine Plastikfolie. Darüber ist eine Wolldecke gebreitet. Beheizt werden die Zelte mit Kanonenöfen. Die Ofenrohre sind durch die Zeltbahnen nach draußen geführt. Just in Nasenhöhe quillt der Rauch der Holzfeuer aus den Rohren, der Wind schleppt die Schwaden durch das Lager.

Als die Bremer Delegierten das Lager in der vergangenen Woche besuchen, ist das Wetter milde: Temperaturen um den Gefrierpunkt, ein funkelnder Sternenhimmel, als sie nach Gesprächen mit Flüchtlingen spät abends aus den Zelten treten, kein Schnee. Am ersten Weihnachtstag hatte der Sturm 25 Zelte umgeworfen. In allen Zelten hatten die Erwachsenen stundenlang das Holzgestänge festgehalten, um den Zusammenbruch ihrer Behausungen zu verhindern. Damals starben rund 40 Kinder an der Kälte. Begraben sind sie, zusammen mit 50 anderen, die seit dem Aufbau des Lagers gestorben sind, auf einem eingezäunten Stück Land, wenige Kilometer entfernt. Grabmale gibt es keine. Um die Gräber ihrer Kinder wiederzufinden, haben die Eltern die Stellen mit einem Stück Holz, einem Holblockstein oder einer Konservendose markiert. Nur in Polizeibegleitung ist des den kurdischen Flüchtlinge erlaubt den Kinderfriedhof zu besuchen.

Mit vollen Notizbüchern und vollen Videokasetten ist die Delegation nach Bremen zurückgekehrt. Und die Folgen? Was die Abgesandten für praktische Konsequenzen aus ihrem Besuch ziehen, das wollen sie erst am Montag öffentlich machen.

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