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1 + 1 Orpheus im Betunienfeld

■ Am Donnerstag las Neu-Denk-Guru Klaus Theweleit im Ambiente aus „Orpheus und (eigentlich nicht) Eurydike“ und bis weit nach 22 Uhr: Von Ü-Figuren, Nap-Pol, male couple, und eins plus eins macht sowieso selten zwei

Draußen stehen Leute im Winterabend. Drinnen ist auch kein Platz mehr. Alle warten auf Klaus. „Ist sie das?“ fragt ein Fotograf. „Sie ist ein er“, sage ich. Er heißt Klaus Theweleit. Ich sage meist Theleweit, was auch irgendwie paßt.

Klaus hat fröhliches Fisselhaar und ist auf den ersten Blick ziemlich lila. Selbst die Feincordhose ist weinrot. Er spricht leise, sanft, aber deutlich und enorm viel. So schreibt er auch. Sein neues Epos „Orpheus und (durchgestrichen) Eurydike“ umfaßt 1220 Seiten, mit ca. 100 Seiten Anmerkungen und viel postmodern zusammmengeklaubten Heiligenbildern, Filmausschnitten, Comics, Erinnerungsfotos und Kunstwerken, und ist trotzdem bloß der erste Band vom Großwerk „Buch der Könige“, auf das ich, nachdem es schon das Leben meiner Freunde verändert und auf SPEX-Papst Diederich Diederichsen offenbar erhellend gewirkt hat, allergrößte Hoffnungen gesetzt hatte.

Nach der gestrigen Lesung, bloß als Lesung angekündigt, aber als Happening inszeniert (das obere Ambiente -Literaturcafe erwies sich als der Heerschar bremlischer Theweleit-Jünger nicht gewachsen, man zog wohlorganisiert und mäßig schimpfend mit Tee-, Wein- und Biergläsern in die Hallen der unteren Etage, „He, Ihr müßt aber bitte hier oben bezahlen“, ich saß ritt

lings mit Pils auf einem Mäuerchen zwischen weißblühenden Blumenkästen - Betunien? - und hatte Lust auf „Tumult in Palumbien“, meinen Lieblings-Marsupilarmi-Comic, bekam aber statt Marsupilarmis schlichtem „Huba!Huba!“ eine feinziselierte Theorie zum Menschenopfer in der Kunstproduktion und mein Schatz darüber schlechte Laune), nach dieser Lesung also, kann ich mich des Gefühls nicht

erwehren, daß es auf den 850 Seiten, die ich noch nicht gelesen habe, einfach so weiter geht wie auf den 250 ersten. Irrwitzig, also: Ich und mein Bücherschrank. Dieser lila gekleidete Mensch mit Zisselbärtchen weiß und weiß und weiß und hört gar nicht mehr auf zu wissen, daß man ganz schwindelig davon wird. Mach doch mal einer das Fenster auf und könnt Ihr nicht aufhören zu rauchen und kannst Du ihn sehen?

Ich konnte. Das hat es aber auch nicht erleichtert.

Theweleit preßt in pseudostrukturalistische, also mathematisch anmutende Förmchen, was er als (Kunst)Geschichtsdetektiv alles ausgegraben hat: Benn und Kafka und Monteverdi und Brecht und Dante, Godard auch und die Kinks und noch viel mehr mit den dazugehörigen Liebschaften. Und alles Paaren ergibt 1 und 1 ist eben nicht gleich 2,

sondern höchsten 1,5, also die Hälfte von 3. Oder 1, nämlich 1 hoch 2 plus 0. Einer wächst, eine ist hin. Das schlug manch einem den Beaujolais ins Gesicht und die Ambiente -Tür mehrfach ins Schloß. Man floh. Selbst Frauen mit ihrer „ungleich besser entwickelten Fähigkeit des Zuhörens und anteilnehmenden Erinnerns“ (Theweleit). Gingen einfach weg.

Während Theweleits erstes Werk („Männerphantasien“ - zur Neu-Geburt des männlichen Menschen im soldatischen und damit die Erklärung des Faschismus) immerhin sämtliche diensttuende Herrschaften zu interessieren hatte, wird es nur eine Minderheit wirklich kümmern, ob Kunst-Geburt im gleichberechtigten Liebespaar möglich ist oder bloß im orpheusischen male-couple, ob mediale Frauen von ihren Dichter-, Musik- und Pinselfürsten wirklich nur ausgenutzt und als Drama inszeniert wurden (Herta Benn begeht Selbstmord, Monteverdis beide Sänger-Frauen sterben früh an Blattern, vielen anderen ging es wahrscheinlich auch nicht gut) und ob die Liebesbeziehung aller Kunst-Produzenten sich nicht doch bloß auf das Medium beschränkt. Orpheus liebt seine Leier, Kafka das Radio, Benn das Schreibmaschinistische an Herta. Ich liebe ...., aber hört mir so lange jemand zu?

Petra Höfer

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