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Vor Hungersnot in Kabul

■ Eine Million Flüchtlinge in der Hauptstadt / Bonn zieht Botschaftspersonal ab / Militärischer Nachschub reißt nicht ab / Mudschaheddin gespalten

Moskau/Peshawar (ap/afp) - Die Versorgungslage für die Bewohner der afghanischen Hauptstadt Kabul entwickelt sich zu einer Katastrophe. Da die wichtigsten Versorgungswege der Stadt durch den Schneefall der letzten Tage und die Aushungerungstaktik der Mudschaheddin abgeschnitten sind, hat die Sowjetunion am Wochenende 3.500 Tonnen Mehl und andere Nahrungsmittel nach Kabul fliegen lassen. Nach Informationen der UNO sind in Kabul 3,5 Millionen Menschen eingeschlossen und von einer Hungersnot bedroht. Akut gefährdet sind danach rund eine Million Flüchtlinge aus dem Innern des Landes. Wie 'Tass‘ meldete, soll die Luftbrücke einem „bedeutenden Mangel“ in der Hauptstadt abhelfen, der durch eine „Wirtschaftsblockade“ der Rebellen verursacht worden sei.

Wegen der Gefährdung und der schlechten Versorgungslage, so das Auswärtige Amt in Bonn, sind am Samstag auch die Angehörigen der Botschaft der Bundesrepublik vorübergehend aus Kabul abgezogen worden. Der Botschaftsbetrieb werde mit Hilfe afghanischer Mitarbeiter aufrechterhalten, hieß es. Von den zwölf EG-Staaten halten lediglich noch Franzosen, Briten, Italiener und Deutsche ihren Botschaftsbetrieb aufrecht.

Moskau hält indessen an dem Vorhaben fest, sein „Marionettenregime“ auch nach dem sowjetischem Abzug weiter zu stützen. Aus diplomatischen Kreisen in Islamabad verlautete, daß innerhalb einer Woche 40 sowjetische Transportflugzeuge mit Waffen an Bord auf dem Flughafen in Kabul angekommen seien. Außerdem hätten sowjetische Truppen Stellungen entlang des Salang-Passes bezogen, um so den Rückzug zu sichern. Nach Anschuldigungen der afghanischen Regierung wird aber auch Pakistan nicht müde, die Vereinbarungen des Genfer Abkommens zu brechen und Kommandos zur Unterstützung der Mudschaheddin nach Afghanistan einsickern zu lassen. Die offizielle afghanische Nachrichtenagentur 'Bachtar‘ meldete, zwei pakistanische Hubschrauber hätten kürzlich „Führer von Extremistengruppen und ausländische Berater“ in das Gebiet von Dschalalabad geflogen. Um diese letzte Bastion der afghanischen Regierungstruppen auf dem Weg zwischen der pakistanischen Grenze und Kabul flammten in der letzten Woche erneut schwere Gefechte auf. Insgesamt seien 200 pakistanische Kommandos einschließlich eines Nachschubkonvois mit Waffen und Lebensmitteln im Bezirk Ghosta nördlich von Dschalalabad eingetroffen.

Die im Exil stationierten Mudschaheddin-Organisationen konnten sich derweil noch nicht auf ein gemeinsames Konzept für eine zukünftige afghanische Regierung einigen. Vier der acht im Iran operierenden afghanischen Widerstandstruppen weigerten sich am Samstag, an einer für Februar geplanten Ratsversammlung von 480 Stammesoberhäuptern, Geistlichen und Intellektuellen teilzunehmen. Die vom Iran aus operierenden Schia-Muslime werfen der in Pakistan vorherrschenden Siebener-Allianz vor, ihnen keine repräsentative Vertretung in einer solchen „Shoora“ einräumen zu wollen.

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