: Neofaschisten konnten die Polizei nur loben
■ Nur kleine Demonstration bei der Sammlung der rechtsradikale DVU („Deutsche Volksunion“) am Samstag in der Bremer Neustadt / Polizei nahm nach Abfahrt der Busse wahllos Herumstehende fest, die nach „DemonstrantIn“ gekleidet schienen
Laut Polizeibericht hat sich am Samstag in der Bremer Neustadt „schwerer Landfriedensbruch“ ereignet. Mehr als die Hälfte einer kleinen Demonstration, darunter die Mitarbeiterin des SPD-Bundestagsabgeordneten Ernst Walthemathe, wurde für einige Stunden in Sammelzellen der Ostertorwache verbracht. Ihr Vergehen: Sie hatten mehr oder weniger hilflos gegen eine Versammlung der DVU („Deutsche Volksunion“) protestiert und waren nachher völlig ahnungslos -ungläubig stehengeblieben, als sich Mannschaftswagen der Polizei näherten.
Der Tathergang im einzelnen: Ab 13.30 stehen in der Hohentorstraße zwei Busse der Firma „Sa
gehorn“, aus den Fenstern lugen siebzig meist ältere AnhängerInnen der „Deutschen Volksunion“ (DVU - Liste D). Die Busse sollen sie nach Neerstedt, südwestlich von Delmenhorst, bringen. Dort in einem Dorfgasthof will der Sohn des rechtsradikalen Parteigründers, Gerhard Frey jun., zwei Stunden lang ungestört eine Rede halten - über die vielen allzu lästigen Ausländer sowie über die mörderischen Abtreiberinnen.
Vor dem vorderen und größeren Bus stehen ca. acht kräftige junge Männer in Blue Jeans und Springerstiefeln. Auf ihren Jacken tragen sie schwarz-rote Sticker mit den Buchstaben „NF“. Das bedeutet „Nationalistische Front“. Diese Organisation entstand 1985 in Bielefeld, aus Resten zweier zuvor vom Bundesinnenminister aufgelösten terroristischer Gruppierungen, darunter der „Aktionsfront Nationaler Sozialisten“ des Michael Kühnen. Genereralsekretär der „Nationalistischen Front“ ist Meinolf Schönborn, 1985 rechtskräftig u.a. wegen „schwerer Körperverletzug eines politisch anders Denkenden“ verurteilt.
Als der erste Gegendemonstrant - noch allein auf weiter Flur - ein Farbei gegen den vorderen Bus wirft, stürzen sich drei der Neo-Nazis auf ihn, traktieren ihn mit ihren Springerstiefeln am ganzen Körper - auch im Gesicht. Der Demonstrant bleibt einige Minuten gekrümmt liegen.
Rund vierzig GegendemonstratInnen trudeln nach und nach
ein. Die meisten recht jung, in schwarzen Klamotten, Tücher um den Hals. Zwei, drei von ihnen wagen sich vor den Bus in die Nähe der abwartenden Neo-Nazis, zielen mit Farbeiern gegen die Frontscheibe des Busses, erzielen aber nur einen einzigen kläglichen Treffer. Das unentschlossene Häuflein sammelt sich gegenüber dem Bus auf der anderen Straßenseite, die Neonazis haben nur Spott für sie übrig. Als ein junger Neonazi anfängt, sie zu fotografieren, vermummen die DemonstrantInnen der Reihe nach ihre Gesichter mit Tüchern und Motorradmützen.
Drei Streifenwagen kommen angefahren, halten auf die Gruppe der DemonstrantInnen zu, ohne sich um die beiden Busse mit ihrer rechtsradikalen Fracht zu scheren. Ein Polizist kurbelt die Scheibe herunter und begrüßt einen der Demonstranten, der im Sommer von Neonazis krankenhausreif geschlagen worden war: „Na, Du alte Sau?“ Als der einen
Farbbeutel Richtung der Neo-Nazis schleudert, wird er nach einem kleinen Gerangel festgenommen und in ein Polizeifahrzeug gesetzt.
Als der größere der beiden Busse losfahren will, versuchen die DemonstrantInnen eine kleine Blockade. Viel könen sie nicht ausrichten, der Bus rollt langsam rückwärts, Polizisten treiben die DemonstrantInnen aus dem Weg. Ein Demonstrant zieht eine Tränengas-Flasche und sprüht dem älteren, beleibten Beamten, der zu Anfang schon durch provozierende Sprüche aufgefallen war, ins Gesicht. Der Beamte nimmt die Verfolgung auf, öffnet die Tür zu einem weißen Golf, der gerade auf einen Parkplatz rangiert, und setzt sich hinein. Der Golf setzt zur Verfolgung an, die endet aber bereits nach wenigen Metern vor einen Laternenmast.
Inzwischen ist der letzte DVU-Bus um die Kurve Richtung B 75 gebogen. Ein junger Demonstrant versucht in einem verzweifelten Alleingang den Bus aufzuhalten, er gerät um ein Haar unter die Räder, als der Busfahrer weiter stur auf's Gaspedal tritt.
Die magere Gegendemonstration löst sich langsam und frustriert auf. Plötzlich kommt polizeiliche Verstärkung in Form zahlreicher Mannschafts-und Streifenwagen angebraust. Die meisten AntifaschistInnen bleiben stehen und gucken oder versuchen, sich unauffällig unter eine wartende Menge von Kohl-und PinkelfahrerInnen zu mischen. Die Grünuniformierten schwärmen sofort aus, um die überraschten DemonstrantInnen möglichst restlos einzufangen. „Wen sollen wir jetzt eigentlich
verhaften?“ fragt ein Beamter seinen Kollegen beim Aussteigen. „Ja, das weiß ich auch nicht so genau“, ist die Antwort.
Schwarzgekleidete unter den Umstehenden werden offenbar bevorzugt. Aber auch Anne Mentzen, die SPD-Mitarbeiterin, wird in ihrem eleganten langen Wintermantel „wie ein nasser Sack“ in einen der Polizei-Transporter geschmissen. Neun Frauen und 19 Männer - mehr als die Hälfte der Gegendemonstration - finden sich schließlich in zwei Sammelzellen auf der Ostertorwache wieder. Der Beamte, der das Tränengas abbekommen hat, kommt - noch immer wütend - in die Männerzelle gerannt, und sucht nach dem
Sprüher, sagt: „Den knöpfe ich mir persönlich vor“.
DVU lobt Polizei
für ihren Einsatz
Die DVU allerdings, die ist, wenn auch nur im Nachhinein, sehr zufrieden mit dem Einsatz der Bremer Polizei. Auf ihrer Veranstaltung in Neerstedt hat sich ein Redner zunächst über den mangelnden Polizeischutz bei der Abfahrt der Busse in der Bremer Neustadt bitter beklagt. Doch als die Nachricht von der nachträglichen Verhaftung der „vermummten Chaoten“ bis Neerstedt dringt, findet ein Redner zum Abschluß der Saalveranstaltung doch noch lobende Worte für „unsere Polizei“.
Barbara Debus
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