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Familienstreit mit Geiselnahme

■ Unblutiges Ende nach zehn Stunden: Sohn hatte Rechtsanwalt seines Vaters als Geisel genommen Scherf unterschrieb „Straffreiheitsgarantie“, da wollte der Geiselnehmer in Ruhe nach Hause gehen

Unblutig endete gestern abend um 17.56 eine Geiselnahme in der Osterstraße in der Bremer Neustadt. Der Täter, ein 28jähriger Gastwirt namens Közsal Saga, hatte seine Geisel, einen Bremer Rechtsanwalt, freigelassen, das von ihm betriebene Cafe Paletti noch abgeschlossen und wollte anscheinend in Ruhe nach Hause gehen, als er von SEK-Beamten mühelos überwältigt wurde.

Der erste, der in Bremen von der Geiselnahme erfuhr, war Henning Scherf, als am Morgen zwischen acht und neun Uhr der Geiselnehmer höchst persönlich

beim Sozialsenator anrief. Scherf gab die Forderungen des Mannes an die Polizei weiter. Saga wollte erstens einen Waffenschein, zweitens eine Millionen Mark und drittens eine schriftliche Garantie von Scherf, daß auf eine Strafverfolgung verzichtet werde.

Gegen 12.00 Uhr ist dann die Osterstraße abgesperrt. Scharfschützen nehmen auf einem Vordach gegenüber vom Cafe Paletti, Gaststätte des Geislnehmers und Tatort, Aufstellung. Auch in den Fenstern eines gegenüberliegenden Hauses sind Gewehrläufe zu

sehen. In einem Geschäft für Anglerbedarf neben dem „Paletti“ quartiert sich das SEK ein. Bis 16.00 Uhr bleibt die Szenerie unverändert. Dann kommt ein Rechtsanwalt mit einem Alu-Koffer und begleitet von einem Zivilpolizisten, stellt das Köfferchen auf dem Bürgersteig vor dem Paletti ab, öffnet den Deckel, hält ihn so, daß der Inhalt im Paletti zu sehen ist und verschwindet dann wieder. In dem Koffer ist die verlangte Million und außerdem die Straffreiheitsgarantie, unterschrieben von Scherf.

Die eine Million Mark will

Saga nicht etwa erpressen, um sich hernach irgendwo ein schönes Leben zu machen, nein: Er versteht das Geld als Pfand. Damit will er einen Rechtsstreit wiederaufnehmen, den er gegen seinen Vater geführt und verloren hatte. Der Vater ist Besitzer des Hauses, in dem der Sohn die Gaststätte betreibt. Rechtsvertreter des Vaters war eben jener Rechtsanwalt, den Közsal Saga nun als Geisel genommen hat. Doch zunächst bleibt der Pfand noch auf der Straße stehen. Saga will noch einmal telefonisch mit Scherf sprechen. Er ist erbost, über einen Rundfunkbericht, in dem er seine Absichten nicht richtig wiedergegeben sieht. Gegen halb sechs kommt er dann doch, Geisel vorweg, um den Koffer ins Paletti zu holen. Doch inzwischen hat der Wind für eine Panne gesorgt und hat die Straffreiheits-Garantie aus dem Koffer auf den Bürgersteig geblasen. Als das wertlose Stück Papier schließlich auch im Paletti ist, fliegt die Waffe vor

die Tür. Gleich darauf ist die Aktion zu Ende.

Bei der Bremer Polizei war man hernach hochzufrieden, daß diese Geiselnahme ohne offensichtliche organisatorische Pannen über die Bühne ging. Die Einsatzleitung lag diesmal nicht bei Kripochef Peter Möller, der nach Angaben des Polizeipräsidenten Ernst Diekmann derzeit mit anderen Dingen stark beschäftigt ist, sondern bei Kriminal-Oberrat Krupski. Ein Notarztwagen stand bereit, die Absperrungen funktionierten und sogar an einen Seelsorger für die Angehörigen der Geisel war gesorgt. Und außer mit Henning Scherf, der zwar bereit war, notfalls auch vor Ort zu verhandeln, dies aber auf Anraten der Polizei unterließ, hatte sich kein Politiker in den Ablauf des Geschehens eingemischt. Auch Innensenator Peter Sakuth konnte nicht ins Lagezentrum: Er liegt mit einem frischen Achillessehnenriß im Krankenhaus.

hbk

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