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Animation ohne Transpiration

■ Offener Brief an den Club Mediterranee

Norbert Bolz

Ich schreibe Ihnen diesen kurzen Brief zum langen Abschied von der Gutenberg-Galaxis, weil ich eine Entdeckung gemacht habe, die weit mehr als sieben Fliegen mit einer Klappe schlägt: Ihr großartiges Projekt einer totalen Mediterraneisierung der Freizeit im West-Club kann eines der großen Probleme unserer postmodernen Gesellschaft lösen: Wohin mit den arbeitslosen Akademikern? Da Ihnen hier enormer Profit bei geringer Investition winkt, werden Sie mir sicher die zehn Minuten opfern, die ich zur Erläuterung meiner Endeckung brauche.

Zunächst der Stand der geistigen Dinge. Sie kennen sicher das Photo aus der Weltwirtschaftskrise der zwanziger Jahre, auf dem ein Mann zu sehen ist, der ein großes Schild umgehängt hat. Darauf steht: Übernehme jede Arbeit! Es gibt heute wieder eine große Gruppe von Menschen, die sich, mit etwas mehr Mut zu ihrer ökonomischen Wirklichkeit, ein ganz ähnliches Schild umhängen müßten: Denke jeden Gedanken! Denn nicht die ungelernten Arbeiter, das Sorgenkind der Bundesanstalt für Arbeit, sondern die arbeitslosen Akademiker sind heute zu allem bereit - wenn es nur geistig ist. Ihnen soziale Immobilität vorzuwerfen, wie die Berufssoziologen es lieben, ist ungerecht. Denn die heute wegen Überqualifiziertheit stempeln gehen müssen, wollten ja einmal einem tiefen Wunsch unseres Staates entsprechen. Vor Jahren hat man die „Bildungskatastrophe“ erfunden - und nun wird unser Land die Geisteswissenschaftler, die es rief, nicht mehr los. Unser System hat einen Nullbedarf an Geist, und fast muß man vermuten, daß es gerade deshalb so gut funktioniert. Sie werden das nicht als Polemik mißverstehen. Ich will nur gut erklären, wie es zur bisher größten Massierung ferischwebender Intelligenz in der Bundesrepublik kommen konnte. Daß mir hier nichts an Polemik liegt, sehen Sie schon daran, daß ich nicht von Proletarisierung rede das wäre romantisch! Ein Blick auf unsere Universitäten, genauer: deren philosophische Fakultäten, macht nämlich deutlich, daß sich die Akademiker nicht einem „Bewußtsein“ ihrer „Klasse“, sondern dem Nullpunkt ihrer Profanation nähern. Und das mit Recht. Denn Promotion und Habilitation krönen nicht mehr einen geisteswissenschaftlichen Studiengang, sondern sie setzten frei - in die Leere sozialer Bedarfslosigkeit. Wo diese sich mit politischer Unbedarftheit liiert, entsteht die Paranoia des Privatdozenten, die sich, meist auf der schmalen Basis eines Studienrätinnengehalts, in philosophischen Systemen entfaltet. Interessant sind für den Club Med nur die anderen, die, ausgestoßen von der Alma Mater, ihrer Gesinnung ledig werden. Auch das ist nicht kritisch gemeint. Denn wer macht die Geisteswissenschaftler denn gesinnungslos? Eben jene Politiker, die über mangelnde geistig-moralische Orientierung lamentieren und den Bafög -Kids zugleich vorhalten, gesellschaftlich irrelevante Studien zu treiben. Überhaupt: die gesellschaftliche Relevanz! Welch eigentümliche Karriere einer Formel. Einmal war es ein neomarxistischer Affront, der den unter Professorentalaren vermuteten Muff von tausend Jahren Überbau-Litanei lüften wollte. Heute hat sich die Kampfparole zur Kurzformel für die administrative Kontrolle des Studiums gewandelt. Irrelevant sind vor allem jene, die damals gesellschaftliche Relevanz der Studien forderten. Auch sie sind mittlerweile bereit, jeden Gedanken zu denken, um an Stipendien, Forschungsaufträge und Lehrstuhlvertretungen zu kommen. DFG, DAAD, CNRS, MSH, CIPh

-das sind einige der lebenswichtigen Kürzel für die freischwebende Intelligenz. Wer hier nichts locker machen kann, endet beim Taxi-Schein. Die Routiniers der akademischen Vorlust hingegen hangeln sich vom schlecht bezahlten Lehrauftrag zum Forschungsstipendium, vom Radiovortrag in Frankfurt zum Symposion in Paris. So verschleißen sich ungeheure geistige Kapazitäten im Leerlauf. Sie endlich zu nutzen, scheint mir ein volkswirtschaftliches Gebot der Stunde zu sein.

Und eben hier tritt der Club Med auf den Plan! Ich will Ihnen nicht schmeicheln, aber: Der Club Med hat die Idee der Animation erfunden. Ihr liegt die erstaunliche Tatsache zugrunde, daß die Leute hilflos werden, sobald sie, wie im Urlaub, aus dem Alltag heraustreten. Statt sich zu erholen, langweilen sie sich; statt die freie Zeit zu genießen, erstarren sie im Liegestuhl. Und es war nun der großartige Gedanke des Club Med, eigens Techniker der Beseelung, Spezialisten der Belebung dieser trägen Masse einzusetzen. Hute gilt es nun, noch einen weiteren Schritt zu tun. Wie ich Ihren Programmen entnehme, haben Sie ja selbst schon gemerkt, daß es mit Volleyball, Gesellschaftsspiel und Minisafari nicht mehr getan ist - die Beseelung muß etwas höher ansetzen. Mein Vorschlag ist nun einfach der, arbeitslose Akademiker zu intellektuellen Animateuren umzuschulen. Auf der Basis von BAT IIa könnten Sie sofort über ein großes Reservoir an Experten für geistiges Wellenreiten verfügen.

Diese Konstruktion ist konjunkturzyklenunabhängig und krisensicher. Denn nicht nur wächst ständig der Bedarf nach gesitiger Ausfüllung des Freizeitvakuums. Auch umgekehrt entwickeln die Geisteswissenschaften immer mehr Attitüden, die dem Freizeitverhalten zum Verwechseln ähnlich sehen. Ihr ideales Subjekt ist der Wissenschaftsimpressario, der Weltformeln erfindet und philosophische Legenden erzählt. Der Geisteswissenschaftler von heute ist ein intellektueller Verpackungskünstler; was am Denken zählt, ist das Theoriedesign. Das hat objektive Gründe: Auf der ganzen Linie wird der Kult des Denkens von seiner Ausstellung verdrängt. Und da öffnet sich eben eine Marktlücke: die Ausstellung des Kult des Denkens. Der Club Med hätte dabei nicht mehr zu tun, als die geisteswissenschaftlichen Amateure als geistige Animateure in Funktion zu setzen. Und nun stellen Sie sich vor, wie sich der Club Mediterranee in einen Kurzzeit-Zauberberg verwandelt: Philosophen leiten als Settembrinis und Naphtas ein fröhliches Jogging der Hirne an; Psychologen elektrisieren ihrer selbst überdrüssige Ehepaare mit Blitzpsychoanalysen; Dichter legen, für jeden Urlauber vom Swimmingpool aus sichtbar, letzte Hand an ihr Werk. Wie Sie sehen, will ich auf ein systematisches Intellektuellen-Leasing hinaus. Denn im Zeitalter der intelligenten Technik ist nichts kurioser und damit unterhaltsamer als ein geistiger Mensch - je selbstverständlicher die Elektronik eines BMW, desto rätselhafter die Gehirnwindungen eines Philosophen. Den grundlegenden Mechanismus beim Intellektuellen-Leasing will ich Ihnen an einem ganz einfachen Vergleich erläutern. Niemand wäre wohl besonders erfreut, im Büro oder auf der Straße einem Mann mit Kriegsbemalung, Federschmuck und Waffe zu begegnen. Um so enthusiastischer begrüßen wir ihn im Fernsehen. Genauso ist es mit den Geisteswissenschaftlern. Ihr philosophischer Totemismus kann uns im Alltag des Informationszeitalters nur störend dazwischenkommen. Aber wir schätzen sie als inkarnierte Nostalgie, als Leitfossilien unserer horizonterweiterenden Sonntagsreden. Mit einem Wort: Die arbeitslosen Akademiker sollten von den letzten Indianern lernen, die ihren aussichtslosen Kampf gegen die Bleichgesichter des Realitätsprinzips aufgegeben haben, um ihnen, gegen geringes Entgelt, Szenen aus jenem heroischen Leben vorzuspielen. Auch hier könnte der Club Med die Nase vorn haben: Bieten Sie Ihren ja längst nich mehr nur sonnenhungrigen Kunden Einblicke in die Indianer -Reservate des Denkens.

Alteuropäische Experten für die Phantome der Freiheit, nämlich Seele und Geist, sollen Leuten, deren Seelen sich in der Bilderflut des Fernsehens auflösen und deren Geist von Computern ersetzt worden ist, für kurze Zeit ermöglichen, in die Rolle Des Menschen zu schlüpfen. Die Menschwerdung des Menschen im Urlaub: der glatte Spiegel des Meeres, der ungetrübte Schein der Sonne, der perfekte Service des Club Med und die Kurzzeit-Erlösung von der Telekommunikation durch Emissäre aus der Vergangenheit. Kostengünstige Verkörperungen von Dichtung und Wahrheit bieten den unglücklichen Appendices von Computer und Medien den Trost der alten Welt. Und wie das römische Imperium einmal Philosophen des alten Griechenland importierte und zu Privatlehrern reicher Familien umschulte, so könnten unsere vielzuvielen Akademiker, die den Arbeitsmarkt hoffnungslos belasten, zu neuen Graeculo des alteuropäischen Wissens werden: Reiseführer in die Exotik einer längst verschollenen Innerlichkeit.

So einfach also ist Ihre Aufgabe. Der Club Med hat genial erkannt, daß Urlaub die Zeit für eine Kosmetik der Existenz ist. Nun gilt es nur noch, den eigentlichen Gegenstand dieser Existenzkosmetik ins Auge zu fassen. Ein altes Lied Frank Zappas weist den Weg: What's the ugliest part of your body? Some say your nose, some say your toes, but I think it's your mind.

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