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Bunt gemischt die Kasse gut verwaltet

Am kommenden Wochenende wählt die Bundestagsfraktion der Grünen einen neuen Vorstand / Während die „Aufbruch„-Gruppe personell gut gerüstet der Wahl entgegensieht, fehlen den Realos und Linken wg. Rotation profilierte NachrückerInnen / Lob und Kritik für den alten Vorstand  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

„Tschak-bumm“ skandierten rhythmisch und hingebungsvoll einige Mitglieder der Bundestagsfraktion der Grünen das Geräusch der Guillotine; „Satanas apanas - weiche Satan“, scholl ihnen aus der anderen Ecke entgegen, und mittendrin beschwor eine Gruppe lautstark mit der Parole „Liberte, Fraternite, Egalite“ bürgerliche Grundwerte.

Der Schein trügt. Es war nicht der Kampf vieler Linien bis aufs Messer, der am vergangenen Wochenende in Bonn zu erleben war. Vielmehr: Die Fraktion feierte, und die Einstudierung eines mehrstimmigen Kanons war Teil des Unterhaltungsprogramms. Die Abgeordneten und Angestellten der Fraktion nahmen die Anspielung augenzwinkernd hin und amüsierten sich lagerübergreifend.

Turnusgemäß wählt die Fraktion Ende dieser Woche auf einer Klausurtagung ihren sechsköpfigen Vorstand für das kommende Jahr: drei Sprecher und drei parlamentarische Geschäftsführer. Vor dem Hintergrund einer abgekämpften Partei, die mit dem noch nicht überwundenen Strömungsstreit, dem nicht verarbeiteten Wittgenstein-Debakel und einem kommissarischen Vorstand wohl noch eine längere Genesungszeit bevorsteht, kommt der Wahl einiges Gewicht zu.

Doch mit der Partei ist die Bundestagsfraktion nicht zu vergleichen, und die Fetenimpression nicht untypisch für den Zustand der Volksvertreter im Bonner Raumschiff. Der bisherige Vorstand hat es im letzten Jahr vermocht, die Fraktion aus dem Schlagschatten des innerparteiischen Streits herauszuhalten, wird ihm von allen Lagern zugestanden. „Langweilig und solide“, schnürt eine Abgeordnete ein bündiges Resümee seines Wirkens.

Harmonievorstand mit

Führungsschwächen

Bei seiner Wahl vor einem Jahr, nach einer Periode harter Auseinandersetzungen zwischen den Flügeln, hätten ihm das wenige zugetraut. Bunt zusammengesetzt mit der zum Ebermann -Lager zählenden Hamburgerin Regula Bott und der Berlinerin Ellen Olms, den Realos Hubert Kleinert und Christa Vennegerts, dem zwischen Aufbruch und Realo hängenden Helmut Lippelt und der unauffällig der Realo-Politik anhängenden Charlotte Garbe lag die Fortsetzung alten Haders näher.

„Wir sind der Vorstand eines Kaninchenzüchtervereins und haben die Kasse gut verwaltet“, sagt auch die stellvertretende Fraktionsgeschäftsführerin Ellen Olms. „Die Konflikte spielten sich in der Partei ab, in der Fraktion war Ruhe“, bewertet sie ihr eigenes Tun. Das bedeute nicht, daß sie damit zufrieden ist, die „Hausaufgaben“ gemacht zu haben, aber wie bei anderen Mitgliedern ist herauszuhören, daß sie solches Tun für notwendig erachtet. Ellen Olms bemängelt aber, daß der „Harmonievorstand“ kaum zu politischen Initiativen fand und die Fraktion zu schwach führte. Einzelpersonen hätten persönliche Meinungen ohne Abstimmung in der Gesamtfraktion als Grünen-Position vertreten können, sei die Folge gewesen.

Fraktionssprecherin Christa Vennegerts, die bereits ihre zweite Amtsperiode hinter sich hat und nicht erneut antreten darf, lobt die „sehr konstruktive und politisch sehr effiziente Arbeit“ der strömungspluralistischen Führung sogar als „zukunftsweisend“ für den Bundesvorstand der Partei. „Härte und Unfairneß“, wie sie es im ersten Durchgang erlebte, als es unter anderem wegen der Erklärung zu den Schüssen an der Startbahn West krachte und der Ökosozialist Thomas Ebermann die Vorstandsstellungnahme nicht mittrug, habe es nicht gegeben. Man habe sich als Vorstand der „Konsolidierungsphase“ verstanden. Das bedeute freilich auch, daß man „nicht mit großem Getue ein Glanzlicht nach dem anderen einfahren“ könne, wehrt sie sich gegen die Vorwürfe, der Vorstand sei zu blaß geblieben. Nun aber, ist sie überzeugt, werde es wieder notwendig sein, vom „Reagieren zum Agieren“ zu gelangen.

Eine positive Rolle wird insbesondere dem 56jährigen Helmut Lippelt attestiert. Der Niedersachse habe sich ausdauernd um die Integration der Lager bemüht, heißt es in der Fraktion. Daß er dabei Kontroversen zuweilen auch zukleistert, wird allerdings auch angemerkt. „Er neigt zur Enthaltung“, schwebt selbst bei Christa Vennegerts Kritik mit.

Es mag als symptomatisch für den gegenwärtigen Zustand der Grünen gelten, was sich auch in der Fraktion niederschlägt: Die „Aufbruch„-Gruppe steht gerüstet da, den Realos und den Linken fehlen die Kandidaten. In eine personellen Klemme sind insbesondere letztere durch die Rotation geraten. Die Hamburger Ebermann und Bott und die Berlinerin Olms rotieren aus dem Bundestag raus, Nachrücker mit „Format“, wie es den dreien selbst aus dem anderen Lagern zugestanden wird, fehlen. Einzig die Linke Jutta Österle-Schwerin will antreten, doch werden ihr in der Fraktion wenig Chancen gegeben, Mehrheiten zu finden.

Gesucht: KanditdatInnen mit

Format

Ähnlich bei den Realos. Neben Vennegerts kann auch der parlamentarische Geschäftsführer und hessische Oberrealo Hubert Kleinert - „faul, aber erfahren“, so ein Fraktionsmitglied über ihn - nach zweimaligem Durchgang nicht wieder kandidieren. Auch die schwierige Geschlechtermathematik, die nur einen männlichen Sprecher unter den drei Sprecherposten zuläßt, bringt Probleme. Otto Schily möchte dafür kandidieren, doch die Niederlage gegen Ebermann vor zwei Jahren hat ihn vorsichtig und abwartend gemacht. Eine zweite Niederlage will er nicht einstecken müssen.

Antreten muß er voraussichtlich gegen Helmut Lippelt, der seinen Amtsbonus mitbringt. Das sieht nicht gut aus für Schily. Vor Wochenfrist hat es bei der Fraktionssitzung bereits einen Hinweis auf die Stimmung in der Fraktion gegeben. Schily, der in der Bundestagsdebatte zur Giftwaffenproduktion in Libyen die Rede halten wollte, fiel gegen die Fundamentalistin Luise Teubner durch. Es gehe nicht an, sich um die Fraktionsarbeit nicht zu kümmern und nur die „Rosinen“ herauszupicken, wurde Kritik laut. Selbst einige Realo-Stimmen durfte Teubner für sich verbuchen.

Antje Vollmer, deren Lager seit der gelungenen Urabstimmungsmobilisierung für einen „Aufbruch“ der Partei deutlich an Gewicht gewonnen hat, will ebenfalls antreten. Ihre Wahl gilt als sicher. Vor einem Jahr war sie noch mit einem kompletten „Sechserpack“ angetreten und gescheitert. Diesmal möchte sie ganz auf der Linie des „Aufbruch„ -Manifestes nicht den Linienstreit forcieren, sondern die anderen Lager mit einbinden. Im Fraktionsstreit um die Libyen-Debatte war ihr Werben um die Fundamentalisten deutlich; auch Stimmen aus dem Aufbruch-Lager sorgten für Schilys Niederlage.

Als parlamentarische Geschäftsführerin hat sich Antje Vollmer die in dieser Aufgabe bereits erfahrene ehemalige Krankenschwester und Aufbruch-Mitstreiterin Christa Nickels ausgesucht. In der Fraktion wird deren Organisationsgeschick und Standfestigkeit in Krisensituationen allgemein gelobt. Bei den Grünen in Nordrhein-Westfalen darf sich Antje Vollmer bedanken, daß Christa Nickels zur Verfügung steht. Deren Pläne nämlich, neben dem Bundestagsmandat als Vorstandsmitglied die angeschlagene Landespartei wieder aufzupäppeln, wurde vor zehn Tagen von den NRW-Grünen abgelehnt: Ein Doppelmandat käme nicht in Frage, entschied der Landesparteitag, da müsse sie schon ganz weg aus Bonn.

In der Fraktion werden weitere Namen gehandelt, so der Vorsitzende des Bildungsausschusses des Bundestages, Dietrich Wetzel (Realo), oder Marie-Luise Beck-Oberdorf, die der Aufbruch-Gruppe nahesteht. Weitere Namen werden sicherlich hinzukommen, bis sich die Fraktion am Wochenende im exklusiven Kurort Bad Neuenahr zur Klausur trifft. Möglich, daß Otto Schily doch noch mit Unterstützung aus ungewohnter Ecke ans Ziel kommt. Die Linken könnten Schily wählen, um über die latente Abneigung zwischen Antje Vollmer und Schily die Vorstandsarbeit zu torpedieren, falls sie keine eigenen Kandidatinnen finden, wird in der Fraktion gemunkelt.

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