Schwaben kommen langsam, aber...

Nach UNiMUT in den Hochburgen des studentischen Protestes, Frankfurt und Berlin, begehren StudentInnen aller Fachbereiche auch an der Stuttgarter Uni auf / Landesmittel fließen eher in Prestigeobjekte als damit studentischen Forderungen nachzukommen  ■  Aus Stuttgart Dietrich Willier

Schon vor zwanzig Jahren war es so. In Berlin und Frankfurt tobte der studentische Straßenkampf. In baden -württembergischen, schwäbischen Universitäten zumal, tobte die Revolution im Hirn und in den Seminaren. Dann zog die pietistisch-revolutionäre Avantgarde ab nach Preußen, hartnäckig fristeten Marxistische Gruppen und der Spätzle-ML ein sprödes, kaum bemerktes Dasein, Schwabens Alma Mater hatte den Basisaufstand glimpflich überstanden.

Und auch diesmal, zwanzig Jahre später - der schwäbische Revoluzzer weilt entweder noch immer in Berlin oder ist längst nach Nicaragua abgewandert -, kommt der Schwabe langsam, aber immerhin. „Je nachdem“ ist hier ein stehender Begriff. „Je nachdem“ ist eine Frage der Betrachtung, je nachdem ist die Späthsche Landespolitik, je nachdem ändert studentischer Protest das Innenleben hiesiger Universitäten

-oder nicht. Je nachdem tut der beispiellose High-Tech-Trip dieses Bundeslandes der studentischen Karriere wohl oder verhindert selbst ein Wohnquartier. In Stuttgart, einer technisch-naturwissenschaftlich dominierten Universität, mit, dank Lothar Späth, Drittmitteln aus der Industrie und Wirtschaft bis zum Hals, beginnt es zu rumoren. Das kleine Institut der PolitikwissenschaftlerInnen wird kurzerhand besetzt. Die ArchitektInnen, ein Zehntel aller Stuttgarter StudentInnen immerhin und der Stolz der Uni, werden aufsässig, Streik ist angesagt. Auch die MaschinenbauerInnen beschließen einen Warnstreik.

Schon Jahre nicht mehr, berichten studentische FachschaftsvertreterInnen, seien wie vergangene Woche mehrere tausend zu einer Vollversammlung gekommen. Eine studentische Frauenbeauftragte zieht sich stürmischen Applaus und maulige Männersprüche zu, der Beitrag einer Sprecherin der Marxistischen Gruppen wird tolerant verkürzt. Die BiologInnen fordern den Erhalt eines Instituts für Isotopenchemie, ein Chemiker spricht von alchimistischen Arbeitsmethoden in seinem Fach, die ArchitektInnen wollen „eigene Sachen machen“. Die InformatikerInnen wiederum haben viele schöne Rechner, aber keinen Platz, was damit anzustellen, und der Elektrotechniker sitzt mit weiteren 250 in einem Seminar. Über Arbeitsüberlastung und rigoroses Hinausprüfen klagen die KybernetikerInnen und die Luft- und RaumfahrttechnikerInnen wollen Öffentlichkeit darüber, ob sie eigentlich für SDI oder den Jäger90 forschen - „großer Applaus“.

Und immer noch ist alles friedlich, freundlich gar. Eher steht dem Schwaben der Ärger über die Kehrwoche als der nahe Aufstand ins Gesicht geschrieben. Wohnungsnot - in Stuttgart stehen für 20.000 StudentInnen 3.000 Plätze in Studentenwohnheimen gegenüber. Nur jeder sechste baden -württembergische Student ist durchs Bafög gefördert, im Durchschnitt 541 Mark. Doch Stuttgart ist nach München das teuerste Pflaster der Republik.

44 Prozent ist der Anteil der Studentinnen, die Hälfte von ihnen promoviert, als Professorinnen in der Lehre sind es noch ganze 2,2 Prozent. Gefordert wird der Aufbau feministischer Forschung und Lehre in allen Fachbereichen ebenso wie ein Frauenförderplan und Kindertagesstätten für Studentinnen.

120 Millionen Mark hat der flinke baden-württembergische Ministerpräsident zu Beginn des Jahres den Studierenden des Landes als Sofortmaßnahme zugesagt. „Etikettenschwindel“ protestieren GEW und SPD. Genau 40 Millionen nämlich beträgt die tatsächliche Eigenleistung des Landes, und davon entfällt allein die Hälfte auf studentischen Wohnungsbau, weitere 10 Millionen auf den Ausbau von Berufsakademien. Der bescheidene Rest, fürchten die StudentInnen, dürfte nach aller bisherigen Erfahrung in der Forschung und nicht in der Lehre hängenbleiben. Im Unterschied dazu werden mehrere hundert Millionen für Späthsche Prestigeobjekte in eine Mannheimer Privatuni und die wirtschaftsoffene Wissenschaft und Forschungsstadt Ulm gesteckt.

Drei Wochen vor Semesterende scheinen nun auch in Stuttgart studentische Aktionen nicht mehr abzureißen. Nach den PolitologInnen und MaschinenbauerInnen zogen zum Wochenbeginn die ArchitektInnen mit einer Besetzung nach, mit der Blockade universitärer Veranstaltungen soll die vorenthaltene Diskussion erzwungen werden. Und: Feste allenthalben. In fast allen Fachbereichen soll in Vollversammlungen dieser Woche das weitere Vorgehen abgesteckt und beschlossen werden.

„Die entwickelte Eigendynamik“, freut sich ein Maschinenbauer, „ist nur noch schwer zu beherrschen.“ Seit Abschaffung des Astas in alter Form durch den Ex -Marinerichter Hans Filbinger vor zwölf Jahren ist man in Stuttgart basisorganisiert, eine Fachschaftsvertreterversammlung vertritt die studentischen Interessen. Ebenso, und nicht von politischen Gruppen dominiert, soll auch die künftige „Studierenden-Vertretung“ aussehen, ausgestattet mit paritätischen Mitbestimmungsrechten in allen Gremien. Gefordert wird die Transparenz von Beschlüssen, öffentliche Sitzungen und Öffentlichkeit von Forschungsaufträgen aus Industrie und Wirtschaft ebenso wie interdisziplinäre Veranstaltungen, Technologiefolgen-Forschung, Friedensforschung und Rüstungskonversion. Mit Geld also ist es längst nicht mehr getan. Und wenn das jetzt wegen Semesterferien und anstehenden Prüfungen nicht mehr reicht, so StudentInnen verschiedener Fakultäten, geht es eben im Sommersemester weiter. Die Regelstudienzeit ist ohnehin längst nicht mehr einzuhalten, und dem Erfolg einer Generalinventur durch die Universitätsverwaltung sieht man bestenfalls mit Mißtrauen entgegen.