piwik no script img

WOHNUNGSNOT STATT PAPRIKA

■ In der Filmbühne beginnt die Woche des ungarischen Films

In Ungarn dreht sich's nur um das Eine. Und dieses Eine ist der fast ausstieglose Kreisverkehr um Gefängnis, Wohnungsnot und daraus resultierenden Beziehungsproblemen. Dieser sicher völlig falsche oder zumindest sträflich oberflächliche Eindruck über den Alltag in Ungarn stellte sich durch die zufällige Auswahl von drei Filmen aus einer Reihe von sieben her, die alle in der nächsten Woche in der Filmühne am Steinplatz laufen. Die Filme „Toleranz“ und „Leichte Körperverletzung“ erzählen fast die gleiche Geschichte von nahezu wahlverwandten Liebespaaren auf eine völlig unterschiedliche Weise.

Leidet der Zuschauer beim ersten Film (von Pal Erdöss, auch: „Die Prinzessin“ und „Countdown“) fast unwillkürlich mit Andreas und Eva an der Ungerechtigkeit und Widrigkeit der mühseligen Lebensumstände - Eva verbringt ihren Arbeitstag am Fließband mit tausenden von toten und gelblich fahlen Brathähnchen der ungarischen Lebensmittelproduktion und wird dort auch noch von ihrem kaum weniger unappetitlichen Vorarbeiter (sexismus. sezza) belästigt, so baut „Leichte Körperverletzung“ auf ganz andere Effekte auf.

Da wird der gutmütige Csaba gerade aus dem Gefängnis entlasen, ersteinmal - gewissermaßen zur Begrüßung - vom neuen Liebhaber seiner Frau zusammengeschlagen. Mit gefühligem Mitleiden aber hält sich der Regisseur György Szomjas nicht auf. Vielmehr wird - fast dokumentarisch - die absurde Situation in Schwarz-Weiß verdichtet, die entsteht, als man bald zu dritt in der kleinen Wohnung haust.

Csaba läßt sich durch die kraftprotzende Faktizität der Ereignisse notgedrungen von seiner wunderschönen, aber entnervend narzißtischen und Ehefrau scheiden, das Wohnrecht in der gemeinsamen Wohnung jedoch bleibt ihm nach ungarischer Scheidungsgesetzgebung erhalten.

So leben sie nun, Csaba, Eva und Miklos, Schiebewand an Schiebewand, und wenn sie sich nicht umgebracht haben, streiten sie sich noch heute. Der etwas clevere Miklos, unter dessen berechnend-nationaler Obhut sich Eva, obgleich sie Csaba noch liebt, Sicherheit und Schutz verspricht, legt es darauf an, den aufbrausenden Rivalen und unliebsamen Wohngenossen zu Schlägereien zu provozieren, ihn dann bei der örtlichen Polizei anzuzeigen um ihn möglichst bald wieder ins Gefängnis zu bringen, wo er ihn weit weniger stört als in der Wohnung.

Am Gelingen dieses charakterlosen Plans läßt der Filmn keinen Moment zweifeln. Atemberaubend sind jedoch die skurril überdrehten und gleichzeitig hemmungslos wutschnaubenden Szenen zwischen den beiden Männern. Zum Beispiel wendet Miklos, äußerlich ein Mafiosi der untersten Sohle, mit breitem Schlips und fiesem Grinsen sein gesamtes armseliges handwerkliches Können auf, um den Warmwasserknopf des Badeboilers abzumontieren, mit dem ehrgeizigen Ziel, den Rivalen unter Eiswasser japsen zu hören.

Weitere hinterhältige Anregungen, um die Dynamik in heillos zerstrittenen WGs anzukurbeln, können gewonnen werden:

von Do, 26.1. bis Mi, 1.2. jeweils um 18.30 Uhr in folgender Reihenfolge in der Filmbühne: Tagebuch für meine Kinder / Countdown / Die Prinzessin / Der Zeuge / Toleranz / Leichte Körperverletzung / Totrealistisch.

Susanne Raubold

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen