: Mit Kriegsopfern gegen Arbeitslose
In aller Hektik will Bundesminister Blüm ein für Arbeitslose günstiges Urteil des Bundessozialgerichts aushebeln / Elternunabhängige Arbeitslosenhilfe soll wieder rückgängig gemacht werden ■ Von Martin Kempe
Berlin (taz) - Was haben die Kriegsopfer mit den Arbeitslosen zu tun? „Nichts“, räumte ein Sprecher des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gegenüber der taz ein. Aber dennoch fand er nichts Besonderes an der Kabinettsentscheidung vom Dienstag, im Rahmen eines Gesetzentwurfs zur Anpassung der Kriegsopferrenten die Anspüche von Arbeitslosen auf elternunabhängige Arbeitslosenhilfe gesetzlich wieder einzuschränken. Begründet wurde diese außergewöhnliche Aktion des Sozialministers mit Eilbedürftigkeit: Schließlich stehen rund 400.000Mark jährlich auf dem Spiel, die Arbeitlose vom Arbeitsamt beanspruchen könnten.
Mit dem Gesetzentwurf will Blüms Ministerium eine verfassungsrechtlich bedenkliche Verordnung vom Dezember vergangenen Jahres legalisieren. Im September hatte das Bundessozialgericht letztinstanzlich entschieden, daß bei der Bemessung der Arbeitslosenhilfe das Einkommen unterhaltspflichtiger Familienangehöriger nicht angerechnet werden darf. Tausende von Arbeitslosen konnten sich auf grund dieses Urteils Hoffnung auf ein Ende der lebenslangen, entwürdigenden Abhängigkeit z.B. von ihren Eltern und auf volle Gewährung der Arbeitslosenhilfe machen. Doch das Blüm -Ministerium hatte im Dezember kurzerhand eine Verordnung erlassen, die das Urteil schlicht ignorierte. Ab 1.1.'89 sollte bei der Arbeitslosenhilfe das Einkommen von Verwandten wieder angerechnet werden - unabhängig davon, ob diese tatsächlich Unterhalt zahlen.
Man war sich offenbar klar über die verfassungsrechtliche Fragwürdigkeit dieses Vorgehens und zimmerte in aller Eile einen entsprechenden Gesetzestext, der nun flugs - bei den Kriegsopfern untergeschoben - durch das Kabinett geschleust wurde. In der Begründung für den Gesetzentwurf heißt es, daß Arbeitslose, die z.B. den Canossagang zu ihren Eltern verweigern, d.h. „ihre unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten nicht erfüllen“, im Sinne des Arbeitsförderungsgesetzes „nicht bedürftig“ sind. „Wer es nämlich unterläßt, alles Erforderliche zu tun, um die Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch zu erfüllen, kann nicht erwarten, daß die Allgemeinheit mit einer Leistung für ihn eintritt“, meint man im Ministerium. Das Gesetz solle dazu beitragen, daß die Bundesanstalt für Arbeit ihre vom Bundessozialgericht als rechtswidrig erkannte Praxis „beibehalten“ kann und so „Mehrausgaben für die Arbeitslosenhilfe von bis zu 400 Millionen Mark jährlich vermieden werden“.
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