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Das Beste aus Amerika

■ Die Sammlungen Guggenheim und Sonnabend in Berlin

Ulf Erdmann Ziegler

Irgendwas, das wußte ich, war nicht zu erkennen auf dem Plakat, das in ganz West-Berlin zu sehen war und das Bild einer Liegenden in der Diagonalen zeigte. So war ich zum Pressetermin der Nationalgalerie geeilt, einer von rund 200 Journalisten, und bestaunte nun den Akt, 1917, Öl auf Leinwand, 73*116,7cm, von Amadeo Modigliani, dem italienischen Maler, der die Gesichter immer so streckt, als seien es Keramikvasen.

Vor Ort: Sie hat die Augen geschlossen, was die Katalogautoren verleitet hat zu behaupten, Modigliani zeige „uns den liegenden weiblichen Akt im Schlaf“. Fest steht, daß sie nicht zusieht, wie sie betrachtet wird. Und daß sich unter ihrem fast strengen, durch wenige klare Bögen leicht stilisierten Gesicht ein Körper von höchst individueller Fleischlichkeit erstreckt oder streckt. Das Überraschende ist ihre Scham, die in der fotografischen Wiedergabe des Plakats verwaschen, undeutlich wirkte. Im Gemälde erscheint sie durch feste Wulste, die das Haar von den Schenkeln her rahmen, ziemlich nackt, und das Haar selbst auf merkwürdige Weise weich, so wie aus einer Nähe gesehen, aus der sich Schärfe nicht mehr einstellt. Ein bißchen mit Terpentin in die Farbe gegangen; Protokoll eines Wunsches oder einer Erfahrung jenseits der malerischen Situation. Während sich, eben außer dieser Stelle, von der Bearbeitung der Oberfläche nichts Vergleichbares findet auf diesem Bild, wird die Form, das Dreieck, an der Peripherie des Bildes, im Kopfbereich, mehrmals wiederholt und variiert. Jetzt zirkuliert der Blick.

Und nun schlägt sie die Augen auf. Aber unter den fein geschwungenen Brauen, in mandelförmige Schnitte eingelegt, liegt ein Türkis ohne Zeichnung, pupillenlos, Stein oder Glas. Dies ist nicht mehr der Akt von 1917, sondernJeanne Hebuterne mit gelbem Sweater, 1918/19. Obwohl die Augen doch wörtlich „leer“ sind, werde ich den Verdacht nicht los, sie könne mich sehen, so wie der ebenfalls türkisäugige Junge in blauer Jacke, dessen Bildnis mit dem der Jeanne Hebuterne jenen Akt einrahmt, in der Nationalgalerie, wo sich am Eröffnungsabend (am populären - die VIPs werden jetzt immer gesondert abgespeist) Tausende von Leuten auf den Füßen stehen. Eröffnet wird: „Guggenheim - 60 Meisterwerke aus der Solomon R. Guggenheim Foundation in New York und Venedig“.

Drei Modiglianis, vier Kandinskys, vier Picassos, drei Pollocks: das sind in diesem Rahmen pädagogische Meilensteine, konzeptuelle Errungenschaften. Ansonsten ist die Auswahl, wie das Paradigma „Meisterwerke“ schon ahnen läßt, wahllos. Ein Malewitsch, ein Magritte, ein Mondrian. Mit 60 von 6.000 Werken zeigt die Stiftung jedes hundertste aus ihrer Sammlung, statistisch.

„Zuhause“ sind die Bilder in der Sammlung Peggy Guggenheim in Venedig und im Guggenheim-Museum in New York, dem berühmten weißen Spiralbau von Frank Lloyd Wright. Unter dem gemeinsamen Namen verbirgt sich der Clinch: Während Onkel Solomon R. in New York solide Kapitalvermehrung im Kupferminengeschäft betrieb, machte sich seine Nichte Peggy

-ihr Vater war mit der 'Titanic‘ untergegangen -, gerade volljährig nach Paris auf. Dort feierte sie zwanzig Jahre lang mit Künstlern und Literaten Parties, bis sie sich 1938 entschloß, Kunst auszustellen (in London) und dann zu sammeln (wieder in Paris). Den Krieg verbrachte sie im wesentlichen in New York, wo sie in zweiter Ehe kurz mit Max Ernst verheiratet war. 1946 ging sie nach Venedig.

Der Onkel hatte zehn Jahre früher ernsthaft zu sammeln begonnen. Er stand stark unter dem Einfluß einer deutschen Malerin namens Hilla Rebay, die leicht transzendent benebelt für abstrakte Kunst schwärmte und warb, insbesondere für Kandinsky. So kam die gegenstandslose Kunst nach Amerika. Aber weil Hilla Rebay ein Herz hatte für Künstler und Kunst auf der Flucht vor dem deutschen Faschismus, wurde auch gegenständliche Kunst gekauft. Als ihr Gönner Solomon R. starb, schon Jahre bevor das neue Museum 1959 fertig war, verdrängten (bis heute nur) männliche Direktoren die Kunst-Agentin und brachten ans Licht, was da war: eine riesige Sammlung europäischer Kunst der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts aller großen Stilrichtungen, von Surrealismus bis Suprematismus, von Kubismus bis Collage. Ein paar Jahre, bevor Peggy Guggenheim (1976) starb, hatte sie ihre venezianische Sammlung der Stiftung des Onkels zur Betreuung einverleibt. Weitere Sammlungen kamen dazu.

Dies und etwas mehr, bieder referiert, ist auch auf den Texttafeln der neuen Meisterwerke-Show zu lesen. So daß sich hinter den Bildern Geschichten auftun wie dunkle Tunnel. Man fragt sich, warum Peggy Guggenheim Max Ernst geheiratet hat und warum die Ehe mit dem Emigranten von so kurzer Dauer war; und ob sie auch in einem oder mehreren seiner erotomanen Bildern Platz hatte. Warum sich Jeanne Hebuterne einen Tag, nachdem Modigliani im Januar 1920 starb, das Leben nahm; und wie ihr Bildnis (und ich glaube, sie ist auch der „Akt“) nach New York gekommen ist (und nicht nach Venedig). „Maler, Modelle und Mittler: Eros und Geld im Bild“, könnte für mich eine Auswahl aus 6.000 Werken heißen, die an Umfang 60 Bilder nicht übersteigen müßte, aber an Information das Gegebene, die sich aber auch einstellen würde, per Vergleich.

Vergleich: Eine weitere Sammlung ist - allerdings nur noch bis zum 5.Februar - in Berlin zu sehen: „Museum der Avantgarde - Die Sammlung Sonnabend New York“. Ileana Sonnabend gehört zu den einflußreichsten und trendsetzenden Galerist(inn)en weltweit. So wie Hilla Rebay die europäische „Avantgarde“ nach Amerika brachte, ging Sonnabend Anfang der sechziger Jahre mit der jungen amerikanischen „Avantgarde“ (Rauschenberg, Johns etc.) nach Paris und setzte sie nach und nach durch. Das war übrigens eine Rückkehr, denn in Paris hatte sie - noch vor dem Krieg und ganz „an der Seite“ ihres damaligen Ehemannes, des Galeristen Leo Castelli ihren Kontakt zur Kunstszene aufgenommen. Sie flieht als „Europäerin“, wie es im Katalog mehrmals heißt, nach Amerika (und kommt in New York 1941 an, wie Peggy Guggenheim) - ob als Jüdin auf der Flucht, wird nicht klar.

Mit dem Namen ihres zweiten Mannes, des Dante-Forschers Michael Sonnabend, kommt sie zwanzig Jahre später nach Paris zurück, nun als eigenständige Galeristin, und gelegentlich Sammlerin, später manchmal Verkaufende wider Willen. Aus einer Nebenbemerkung (in einer von zehn Laudatios auf die Sammlerin, die der Katalog enthält) können wir schließen, daß sie aus Bukarest stammt, Castelli aus Triest. Über das Geburtsdatum kein Wort - beim Künstler gehört es fast zum Werk. Keine der Erinnerungen an „erste Begegnungen“ setzt vor 1960 ein. So werden Heldenleben geschrieben: vom Standpunkt des Erfolgs rückwärts bis an den Punkt, wo er sich abzuzeichnen beginnt.

Härter als das obligatorische Geschwafel traf mich die Enttäuschung, die mich in der durch Stellwände brutal fragmentierten Zentralhalle des Museumsbahnhofs anfiel (die Flügel, die doch sehr behütete Räume abgeben, bleiben ungenutzt). Erst dachte ich, es wäre eine Tageslaune, aber beim zweiten Mal war die Art - Ton und Klang - der Enttäuschung so gleich, daß mich die Gründe zu interessieren begannen. Schließlich gibt es hier Ikonen der Pop Art zu sehen: Johns‘ US-Flag above White, Rauschenbergs kruden Vietnam-KommentarKite, Warhols obskuren Siebdruck White Burning Car Twice. Dann über die arte povera zur Konzeptkunst (viel Neon) um 1970. Gegen Ende des Durchgangs die ganz jungen amerikanischen Objektkünstler (Koons, Bickerton) und zum Schluß, wie Fremdkörper, ein paar deutsche Maler: Immendorf, Kiefer, Penck.

Meine Enttäuschung ist die einer Person, die verspätet in ein Klassenzimmer eintritt und sich bei jedem Mitschüler, inklusive Blick in die Augen, persönlich entschuldigen muß, zu spät gekommen zu sein. Jeder, der schon dasitzt, hat seinen Auftritt gehabt. Einen stillen, triumphalen, oder einen mit viel Geschrei und blutigen Nasen. Es ist die Schulklasse „Avantgarde“, die nicht nur schon alles gelernt, begriffen, verworfen hat, sondern deren soziales Leben obwohl auf der Höhe seiner gesellschaftlichen Repräsentation - mit dem geruhsamen Abstand eines Klassentreffens nach zwanzig Jahren berückblickt werden kann. Und hier also ich, das schreiende Baby von 1959, als das Guggenheim-Museum eröffnet wurde.

Hier ist die Nahtstelle. Denn Modigliani und seine zu treue Hebuterne: Für sie bin ich nie zu spät. Seine Farben und ihr Geschlecht kann auch ein Betrachter in 300 Jahren nicht begreifen (oder: sich nicht entziehen), so wie wir heute noch, getroffen, vor Caravaggios Amor als Sieger stehen (Gemäldegalerie Berlin-Dahlem, Eintritt frei).

Nun gehen die Pop- und Konzeptkünstler der Sammlung Sonnabend nicht in erster Linie auf Distanz zu Modigliani und Picasso. Sondern zu jenen Malern, die den Surrealismus der exilierten Europäer in Amerika in eine sehr belebte, non -technische Abstraktion getragen haben, auf sehr verschiedene Weise: Pollock, Newman, de Kooning, Rothko. Sie haben die Malerei an die tödliche Grenze getrieben. Sie waren zu gut, als daß ihnen jemand hätte folgen können ( die Nationalgalerie, im Winterschlaf, versteckt ihren einzigen Newman).

Also wurde die Kunst aufgeladen mit Alltag (Schrott), Öffentlichkeit (Pressefotos, Warenzeichen), industrieller Aura (Konzeptkunst/minimal). Der Regelbruch erscheint im Nachhinein als Absprache, und schlimmer noch: tausendfach referiert als kunsthistorische Notwendigkeit (die ich nicht bestreite): sieht man ihn nicht mehr. Was man den Objekten kaum Bilder - ansieht, ist, daß Frau Sonnabend sich durchgesetzt hat. Die Freie Schule von damals ist das Eliteinternat von heute. Guten Morgen.

Das große Lookers‘ Digest europäischer moderner Malerei in der Nationalgalerie wurde ermöglicht durch den zugehörigen „Verein der Freunde“. Transport und Versicherung der Sammlung Sonnabend „wurde in großzügiger Weise durch die Stiftung Deutsche Klassenlotterie, Berlin, ermöglicht“, unter Regie einer Organisation „Zeitgeist, Gesellschaft und Förderung der Künste in Berlin e.V.“, Kunstsammler vor allem. Was an der Universität Drittmittelforschung heißt, funktioniert im Kunstbetrieb ähnlich. Private bieten an, und die öffentlichen Institutionen stellen ihre Leute und Räume zur Verfügung. Das spart Geld und Nachdenken. Die Frage, ob wir eine Guggenheim-Show brauchen oder eine Sammlung Sonnabend ohne Prätext, kann an private Initiativen kaum gerichtet werden. Es ist nunmal Privatsache, welchen Schlips man trägt. Die Sammler, „Förderer“ und Händler kontrollieren dann natürlich auch die Textredaktion der Kataloge. Wer sein Gold vorzeigt, wird zu vermeiden wissen, daß ihm dabei jemand auf die Hände pinkelt.

60 Meisterwerke aus der Solomon R. Guggenhgeim Foundation in New York und Venedig, Nationalgalerie Berlin, bis zum 19.März 1989, Katalog 39 Mark; Museum der Avantgarde. Die Sammlung Sonnabend New York, Hamburger Bahnhof, Berlin, bis zum 5.Februar 1989, Katalog 30 Mark

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