: Späte Ermittlungen im Fall Yesilyurt
■ Türkische Staatsanwaltschaft leitet Verfahren wegen des Armeeüberfalls auf das kurdische Dorf Yesilyurt ein
Istanbul -Erst nach umfangreichen Berichten in den Medien über den Armeeüberfall auf das Dorf Yesilyurt, bei dem die BewohnerInnen mißhandelt wurden, hat die türkische Staatsanwaltschaft Cizve jetzt ein Ermittlungsverfahren gegen Soldaten und Offiziere eingeleitet. In der Nacht vom 14. auf den 15.Januar hatten Soldaten das kurdische Dorf besetzt (siehe taz vom 28.1.89). Nach Aussagen der DorfbewohnerInnen wurde der Dorfälteste gezwungen, Fäkalien zu sammeln und die Dorfeinwohner damit zu füttern. Alle Männer wurden mißhandelt und gefoltert. Der Rechtsanwalt des Dorfes hat inzwischen Dutzende von Zeugenaussagen der Dorfeinwohner und die ärztlichen Atteste, die Folterspuren nachweisen, an die Staatsanwaltschaft gesandt.
Major Cafer Caglayan, der den Einsatz leitete, mußte am Freitag vor dem Staatsanwalt aussagen. Er erschien in Begleitung eines Hauptmanns und zweier Soldaten im Justizgebäude Cizre. Bei Verlassen des Justizgebäudes richtete der Hauptmann seine Pistole auf den Fotografen der auflagenstärksten Tageszeitung 'Hürriyet‘: „Wenn Du weiter fotografierst, hast du gleich eine Kugel im Kopf.“
Zeitgleich zu den Aussagen des Majors vor der Staatsanwaltschaft - das Ermittlungsverfahren ist in vollem Gang - gab der türkische Innenminister Mustafa Kalemli eine Erklärung ab und bestritt die Vorwürfe. „Die Ausnahmerechtspräfektur und die Gendarmeriekommandantur haben den Fall geprüft und festgestellt, daß die Vorwürfe nicht stimmen.“ Die türkischen Zeitungen, die die Regierung in den vergangenen Tagen heftig attackiert hatten, förderten - so Kalemli - durch ihre Berichterstattung „dunkle Kräfte“
-gemeint ist die illegale kurdische Guerilla PKK. Auch Ministerpräsident Özal griff die türkischen Medien an. „Man darf die Menschen, die für die Einheit und Unteilbarkeit des Vaterlandes arbeiten, nicht stören.“ Ziel der Kritik ist vor allem die linksliberale Tageszeitung 'Cumhuriyet‘, in der seit Tagen der Fall Yesilyurt Aufmacher ist.
„Der Minister droht der Presse, den Richtern und den Staatsanwälten“, kommentiert Nevzat Helvaci, Vorsitzender des „Vereins für Menschenrechte, die Erklärung des Innenministers. Die Dorfeinwohner - 2.000 Menschen wurden Opfer des Armee-Einsatzes - wiederholten vor Helvaci, der sich in der Region aufhält, den genauen Ablauf der Ereignisse, die sie in ihrer Petition an den Staatsanwalt niedergeschrieben hatten. Auch die parlamentarische Opposition griff die Regierung an. Der sozialdemokratische Oppositionsführer Inönü kritisierte die Erklärung des Innenministers, der in ein „schwebendes Verfahren interveniert“.
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